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FSJ im Hospiz
Den Weg zum Tod lebenswert machen

Sich mit dem Tod zu befassen, fällt vielen Menschen schwer. Gerade Hospize stehen für Orte, an denen es allein um Leid und große Trauer geht. Dass das ein Klischee ist, erlebt gerade Leonie Knolle, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr in einem Hamburger Hospiz macht.

Von Axel Schröder |
    In einem Hospiz bekommt ein Gast Bestand
    Einfach zuhören oder die Hände halten - solchen Beistand erfahren die Menschen im Hospiz (imago / Ute Grabowsky)
    Leonie Knolle räumt noch schnell die Spülmaschine ein, macht klar Schiff in der Hospiz-Küche. Für den Nachmittagskaffee hat die 18jährige noch einen Russischen Zupfkuchen gebacken, wirft einen Blick auf den Übersichtsplan an der Wand:
    "Das ist die Liste für die Zimmerverteilung. Wir haben dreizehn Zimmer, zwölf werden immer belegt. Und da stehen dann die Namen der Gäste."
    "Wie lange bist Du schon dabei?"
    "Gute Frage. – Ich glaube, anderthalb Monate. Ich habe am 1. September erst angefangen. Bis jetzt macht’s mir Spaß."
    Leonie Knolle macht im DRK-Hospiz in Hamburg-Harburg ihr Freiwilliges Soziales Jahr, erst im Sommer hat sie ihr Abitur-Zeugnis bekommen, sich zwei Monate lang eine Auszeit und Urlaub gegönnt, um dann im Hospiz anzufangen. Einigen ihrer Freundinnen musste sie etwas länger erklären, warum sie diesen Schritt tut, warum sie sich nicht einen Job sucht, bei dem es mehr als die rund 300 Euro im Hospiz gibt. In einer Ecke im Flur hängen dicke helle Birkenstämme von der Decke bis knapp über den Boden. Wenn ein Gast stirbt, wird eine Kerze in einer der gläsernen Kugeln entzündet, die im Birkengeäst hängen.
    Bereicherung für den Hospiz-Alltag
    "Mein erster Blick morgens, wenn ich hier hinkomme, geht wirklich zu den Kerzen. Ich denke immer: Na? Heute? Oder nicht? Das ist wirklich so der erste Blick, wenn ich hier hinkomme."
    Die Freiwillige macht sich auf den Weg zu Barbara Spira, einer älteren Dame, die schon seit Februar im Hospiz lebt. Seit fünf Jahren gibt es die Einrichtung, seitdem haben hier fünf junge Menschen ihr Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Und den Alltag im Hospiz sehr bereichert, sagt Marion Basler, stellvertretende Leiterin der Einrichtung:
    "Die helfen absolut! Den Menschen, die hier leben, aber die helfen auch uns als Team. Junge Menschen, die hier ins Haus kommen, bringen junges Leben mit, sind unvoreingenommen, bringen Spaß. Und gerade Leonie, mit ihrer zauberhaften Art, begeistert uns schon nach sehr kurzer Zeit."
    "Wodurch zeichnet sich die aus?"
    "Sie ist fröhlich, sie geht auf die Leute zu, sie nimmt jeden Menschen wie er ist und das in ihrem jungen Alter. Und das finde ich schon sehr beeindruckend."
    Sie selbst, erzählt Leonie Knolle, habe seit jeher ein unkompliziertes Verhältnis zum Tod. Und deshalb ging sie ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Hospiz auch eher mit Neugierde auf die neue Aufgabe an als mit einem mulmigen Gefühl:
    "Ich wusste noch gar nicht genau, was mich erwartet. Ich wusste nicht genau, in welchem Abstand die Menschen auch sterben, das wusste ich nicht. Und da war ich wirklich gespannt, wie es sein wird. Jetzt habe ich schon einen kleinen Eindruck. Und natürlich atmet man mal durch. Man denkt: ‚Huh! Jetzt waren es doch schon einige Menschen. Aber dann denke ich wieder: Es ist halt so. Wenn es so ist, dann soll es so sein und dann ist es auch gut so, wie es jetzt gekommen ist."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Barbara Spira (li.) und Leonie Knolle im „Hospiz für Hamburgs Süden“ in Hamburg-Harburg. (Axel Schröder, Deutschlandradio)
    Sie klopft bei Frau Spira, an der Tür zu Zimmer 4. Die beiden begrüßen sich. Barbara Spira ist Anfang Sechzig. Eine eher kleine, hagere Frau. Anfang des Jahres, direkt aus dem Krankenhaus heraus, schickten die Ärzte sie ins Hospiz. Die Tumore in Zwerchfell, Lunge, Leber und Unterleib zu operieren, mache keinen Sinn, sagt Barbara Spira. Aber die Entscheidung, ihre alte Wohnung zu verlassen, in ein Zimmer im Hospiz zu ziehen, war ganz und gar nicht einfach:
    "Ganz furchtbar. Weil man nicht weiß, was auf einen zukommt. Man hört: 'Hospiz!' Und gleich verbindet man das auch mit dem Sterben. Und das ist ja nicht so. Ich bin das beste Beispiel. Ich habe schon viele kommen und gehen sehen. Gewöhnen kann man sich daran nicht. Aber man weiß, warum man hier ist. Und das hilft auch. Aber manchmal verdränge ich das auch. Dann sitzt man hier im Wohnzimmer, so wie wir es vorhin gemacht haben, unterhalten uns, klönen ein bisschen. Dafür ist dann ja auch Leonie da: einen ein bisschen zu bespaßen, sag ich mal. Aber wie gesagt: wenn dann diese Tage kommen, wo es einem nicht gut geht, dann weiß man, warum man hier ist."
    Leonie lehnt am Fußende des Betts, das eigentlich wie ein ganz normales Bett aussieht. Wäre es nicht ein bisschen höher als andere, wäre da nicht die Halteschlaufe am Kopfende. Durch die bodentiefen Fenster fällt der Blick auf die kleine Terrasse, auf die leuchtend gelb zugedeckte Rasenfläche.
    "Das ist traumhaft. Jetzt mit den ganzen Blättern. Das ist malerisch. Herrlich. Ich bin ja auch im Februar gekommen. Und da hat es ja auch noch geschneit. Und dann war hier alles weiß. Ich habe Glück mit diesem Zimmer. Auf der anderen Seit haben die Balkone und gucken leider auf einen Parkplatz. Hier ist es herrlich. Und da vergisst man auch einiges, wenn man rausguckt. Wenn man hier so im Bett liegt. Einfach traumhaft."
    Im Hospiz geht es eher ums Leben
    Themen, über die sich die beiden austauschen, gibt es jedenfalls genug.
    "Zum Beispiel über Fußball! Ich bin St. Pauli-Fan."
    "Ich HSV!"
    "Da haben wir doch schon Gesprächsrunden genug!"
    Ganz sicher geht es im Hospiz nicht ständig nur ums Sterben. Sondern eher ums Leben, darum, dieses Leben auf den letzten Metern so schön es eben geht zu verbringen. Dabei hilft das Pflegepersonal, dabei hilft vielen der so genannte "Raum der Stille" im ersten Stock oder die Ehrenamtlichen, die kleine Ausflüge mit den Hospizbewohnern unternehmen. Und eben junge Menschen wie Leonie, die in der Küche hilft, einfach zuhört, die Hände hält, oder die, die nicht mehr laufen können, im Rollstuhl mit nach Draußen nimmt. Einfühlsam, aufmerksam, mit ihrer ruhigen Art. Ab und zu, erzählt sie, braucht es aber auch einen besonderen Humor:
    "Selbst mit den Gästen, aber auch mir den Angehörigen geht man manchmal sarkastisch um. Man muss natürlich gucken, wer einem gegenübersteht. Aber manchmal komme ich morgens rein in ein Zimmer und sage so: ‚Na? Geht’s beschissen?‘ Und sie so: ‚Ja, wie immer.‘ Und ich: ‚Dann sind wir uns ja einig!‘ Ich glaube, das macht es auch einfach einfacher."
    "Ein bisschen Galgenhumor, nicht wahr? Den habe ich ja. Den habe ich sowieso. Aber den hatte ich zum Teil auch schon verloren als ich hierher kam wie ein Häufchen Elend. Ich habe ja auch sechs Wochen hier gelegen. Ich konnte ja nicht mal allein – hier nebenan ist das Badezimmer – da konnte ich nicht alleine hin."
    Die beiden Frauen verabschieden sich. Leonie hat Feierabend, steht morgen wieder in aller Frühe in der Küche, bereitet das Frühstück vor. Hilft mit, den Menschen auf ihrem Weg zum Tod das Leben lebenswert zu machen.