"Etwa 2.000 Studenten mögen es sein, die sich zu dieser abendlichen Stunde im Henry-Ford-Bau auf dem Gelände der Freien Universität versammelt haben. Über Lautsprecher werden fortlaufend kurze Reden gehalten, es werden telefonische und telegrafische Solidaritätserklärungen verlesen ..."
Schon am Nachmittag des 22. Juni 1966 hatten sich etwa 3.000 Studenten der Freien Universität Berlin auf dem Campus unter dem Sitzungssaal des Akademischen Senats der FU versammelt. Das "Aktionskomitee der FU" – ein Zusammenschluss vieler verschiedener Studentenorganisationen - hatte zu einer Demonstration für eine "durchdachte Hochschul- und Studienreform" aufgerufen und sich auch gegen Zwangsexmatrikulationen ausgesprochen. Denn mit Semesterbeginn war die Studienzeit an der Juristischen Fakultät auf neun Semester beschränkt worden. Die Medizinische Fakultät hatte eine befristete Zulassung beschlossen, wer also nicht nach drei Semestern das Vorphysikum bestanden hatte, wurde exmatrikuliert. Die Empörung der Studenten war groß. Auch einige wenige Professoren schlossen sich dem Protest an, unter ihnen der Soziologe Dietrich Goldschmidt.
"Gerade diese Universität ist ja durch eine solche Initiative seitens auch der Studenten zustande gekommen, gegründet worden, und ich halte es für absolut lebensnotwendig für die Universität, dass die Beteiligung der Studenten an der Verantwortung für die Universität erhalten bleibt."
"Nicht vorschreiben lassen, wie die Satzung der FU auszulegen ist"
In der Tat, die Freie Universität im Westteil der Stadt war auf Initiative von Studenten der im Ostteil gelegenen "Berliner Universität" im Dezember 1948 gegründet worden. Mitten im Kalten Krieg, im Blockade-Winter und mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht. Die Satzung dieser Neugründung gewährte den Studenten zum ersten Mal eine Beteiligung an der akademischen Verwaltung.
"Wir Studenten dürfen uns nicht an einer Universität, die wir selbst gegründet haben, von reaktionären Professoren vorschreiben lassen, wie die Satzung der FU auszulegen ist", betonte einer der Redner auf der Vollversammlung aller Fakultäten am Tag vor dem 22. Juni und erinnerte die Kommilitonen an die neue Demonstrationsform der kalifornischen Studenten in Berkeley, das "Sit-in".
Die Anregung blieb nicht ohne Wirkung. Am Nachmittag des 22. Juni fand parallel zur Sitzung des Akademischen Senats ein "Sit-in" von mehreren tausend Studenten erst im Freien, später dann in der Vorhalle des Auditorium Maximum statt. In Grußtelegrammen an den AStA solidarisierten sich westdeutsche Professoren ebenso wie Studentenorganisationen anderer Universitäten mit den FU-Studenten, der Kabarettist Wolfgang Neuss kam auf den Campus, um aus seinen Programmen vorzutragen. Schließlich wurde aus dem "Sit-in" ein "Teach-in". Nach vielen Redebeiträgen und ausführlichen Diskussionen wurde eine Resolution verabschiedet.
"Resolution vom 22. Juni 1966, verabschiedet von den zum 'Sit-in' versammelten Studenten der Freien Universität Berlin. Wir kämpfen nicht nur um das Recht, längere Zeit zu studieren und unsere Meinung stärker äußern zu können. Das ist nur die halbe Sache. Es geht uns vielmehr darum, dass Entscheidungen, die die Studenten betreffen, demokratisch und unter Mitwirkung der Studenten getroffen werden.Es gilt, die Freiheit in der Universität als Problem zu sehen, das über den Rahmen der Universität hinausweist. Aus diesem Grund sieht die Studentenschaft die Notwendigkeit, mit allen demokratischen Organisationen in der Gesellschaft zusammenzuarbeiten, um ihre Forderungen durchzusetzen."
Kurz vor ein Uhr nachts wurde die Aktion beendet. Ein Reporter des Sender Freies Berlin bezeichnete sie als "eine Aktion ohne Beispiel in der Geschichte der Freien Universität" und bat den AStA-Vorsitzenden Knut Nevermann um ein Fazit.
"Wir haben heute nicht nur gefordert, dass die befristete Zulassung und Zwangsexmatrikulation abgeschafft werden soll an unserer Universität, sondern wir haben zugleich gefordert, dass ein paritätischer Ausschuss eingesetzt werden soll von Professoren, Assistenten und Studenten, um eine Planung und Durchführung einer umfassenden Studienreform sicherzustellen."
Eine umfassende Studienreform ließ noch auf sich warten. Die Studentenproteste aber verlagerten sich immer mehr vom Campus in das Zentrum der Stadt.