Führerschein-Reform
Warum die EU schärfere Regeln für ältere Autofahrer diskutiert

Die EU-Kommission will die Regeln für Führerscheininhaber ab 70 Jahren verschärfen. Sie sollen regelmäßig überprüfen lassen, ob sie noch fahrtauglich sind. In einigen europäischen Staaten ist das schon üblich. Aus Deutschland kommt Widerstand.

    Ein Rentner-Ehepaar sitzt im Auto. Der Mann fährt, die Frau schaut zu ihm herüber.
    Ab 70 Jahren alle fünf Jahre den Führerschein auffrischen? Viele deutsche Politiker sind von einer solchen EU-Reform nicht überzeugt. (picture alliance / Westend61 / Maria Maar)
    Die EU-Kommission schlägt vor, dass Seniorinnen und Senioren in Zukunft regelmäßig Gesundheitschecks machen. So steht es im Entwurf für eine europäische Verkehrsrichtlinie. Sie soll dazu beitragen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf null zu bringen. Der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments diskutiert den Vorschlag der Kommission kontrovers.
    Bundesverkehrsminister Volker Wissing will die Pläne der EU in Deutschland nicht umsetzen. Der FDP-Politiker sagt, er sei dagegen, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen. In Deutschland wären bis zu 15 Millionen Autofahrerinnen und Autofahrer betroffen.

    Übersicht

    Was plant die EU-Kommission?

    Der Entwurf einer neuen europäischen Verkehrsrichtlinie sieht vor, dass Autofahrerinnen und Autofahrer ab einem Alter von 70 Jahren alle fünf Jahre den Führerschein auffrischen müssen. Dabei soll auch ihr Gesundheitszustand durch eine verpflichtende ärztliche Untersuchung oder durch eine Selbsteinschätzung abgefragt werden. Nach den Plänen der Kommission sollen die EU-Mitgliedsstaaten selbst entscheiden können, welche der beiden Varianten bei ihnen gelten sollen. 
    Der deutsche EU-Abgeordnete Markus Ferber von der CSU ist Mitglied im Verkehrsausschuss. Er rechnet nicht damit, dass es noch in dieser Legislaturperiode des EU-Parlaments zu einer Einigung kommen wird. EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament müssten zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Aber der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments diskutiere den Vorschlag der Kommission kontrovers, auch im Rat sei der Streit groß.
    Laut Ferber hat die EU grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz in Führerscheinfragen, "weil das Führerscheindokument in ganz Europa anerkannt wird". Sowohl die Führerschein-Scheckkarte als auch die Führerscheinklassen sind europaweit einheitlich. Deshalb muss man im Moment keine neue Führerscheinprüfung ablegen, wenn man in ein anderes EU-Land zieht. Das war nicht immer so.
    Unter den Deutschen gibt es kein eindeutiges Meinungsbild. 47 Prozent der Befragten einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov würden eine Verschärfung der Regeln befürworten. 46 Prozent würden das ablehnen, acht Prozent machten keine Angabe. Wobei die Jüngeren eher für die regelmäßigen Prüfungen für ältere Fahrerinnen und Fahrer stimmten als die älteren Befragten, die teilweise davon betroffen wären.

    Welche Regeln gelten für Senioren bisher in den EU-Ländern?

    In den 27 EU-Mitgliedsstaaten gibt es sehr unterschiedliche Führerscheinregelungen für ältere Menschen. Deutschland schreibt bisher weder Gesundheitschecks noch eine Selbsteinschätzung vor.
    Anders ist das in Portugal. Hier müssen Autofahrerinnen und -fahrer ab dem 50. Lebensjahr ihren Führerschein verlängern lassen und ab dem 60. Lebensjahr auch noch ein ärztliches Attest vorlegen, das ihre Gesundheit und Sehstärke bestätigt. Dieses Zertifikat kostet rund 50 Euro und muss alle fünf Jahre erneuert werden, ab dem 70. Lebensjahr alle zwei Jahre. Unter bestimmten Umständen wird ein psychologischer Eignungstest fällig. Zum Beispiel dann, wenn man die Verlängerung versäumt hat. Dieser Test kann auch eine praktische Fahrprüfung beinhalten. Fahrer von Lkws, Bussen, Schultransport etc. müssen bereits ab 50 ein Attest vorlegen.
    Ähnlich strenge Regeln haben Italien, Tschechien und Spanien. Diese Regeln können deutsche Autofahrerinnen und -fahrer bisher nur betreffen, wenn sie in ein solches Land ziehen und dort ihren Erstwohnsitz haben.  

    Was sagen die Kritiker zur Verschärfung der Regeln?

    Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt verpflichtende Gesundheitschecks für Seniorinnen und Senioren am Steuer ab: "Es gibt keine signifikant hohen Unfallzahlen in dieser Altersgruppe, deswegen halten wir das für eine unverhältnismäßige Maßnahme."
    Für den Europapolitiker Markus Ferber von der CSU spricht gegen die EU-Reform, dass man den "Alten, die normalerweise sowieso schon vorsichtig fahren, die Möglichkeit nimmt, eigenständig zu bleiben".
    Der 42-jährige Fahrlehrer Markus Jakob aus München befürchtet, dass wer zu einem Fahrfitness-Check verpflichtet wird, nicht positiv darauf reagiert. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die sich freiwillig zu einem solchen Programm entschließen, sehr gern Tipps annehmen, auch im Alter. Er wünscht sich, dass noch mehr Menschen einen freiwilligen Fahrfitness-Check machen. Die Teilnehmerzahlen bei den Automobilklubs seien ausbaufähig. Gleichzeitig sieht er den EU-Vorschlag als mögliche Altersdiskriminierung: „Warum muss ein junger Mensch nicht regelmäßig nachweisen, dass er Auto fahren kann?“ 
    Die Grünen im Europaparlament sind in der Frage gespalten. Verkehrspolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg sagt: "Wir als deutsche Grüne haben von Anfang an aus deutscher Sicht starke Bedenken angemeldet." Sie findet es problematisch, Mängel bei Sicherheitsstandards und in der Klimapolitik über die Führerscheinrichtlinie beheben zu wollen.

    Was sagen Befürworter zu strengeren Regeln?

    Karima Delli, die grüne Vorsitzende des Verkehrsausschusses des EU-Parlaments, möchte dagegen den Entwurf der EU-Kommission verschärfen. Die französische Politikerin fordert, dass die Mitgliedsstaaten ärztliche Untersuchungen vorschreiben, damit sie auch eingehalten werden. Damit wären regelmäßige Gesundheitsatteste auch für deutsche Autofahrerinnen und -fahrer ab dem 60. Lebensjahr Pflicht.
    Malte Gallée, grüner EU-Abgeordneter aus Bamberg, hält eine solche Maßnahme für richtig, um das Ziel von null Verkehrstoten bis 2050 zu erreichen. Ärztliche Untersuchungen und regelmäßige Fahreignungsprüfungen findet der mit 30 Jahren jüngste deutsche EU-Parlamentarier sinnvoll: „Wir sehen in anderen Ländern, dass das schon vorbildlich funktioniert." Als Beispiele nennt er Portugal, Tschechien oder Italien.

    Verursachen ältere Verkehrsteilnehmer mehr Unfälle?

    Zahlen des Statistischen Bundesamtes sagen: Nein. Im Jahr 2021 waren 22 Prozent der Bevölkerung in Deutschland 65 Jahre und älter – aber nur 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten. Das kann laut Statistikern unter anderem daran liegen, dass ältere Menschen seltener als junge am Straßenverkehr teilnehmen. Zum anderen daran, dass sie laut Polizeistatistiken langsamer fahren und mehr Abstand halten.
    Ältere Autofahrerinnen und -fahrer sind laut Alexander Kreipl vom ADAC seltener an Unfällen wegen überhöhter Geschwindigkeit beteiligt. Diese machen Kreipl zufolge etwa 30 Prozent aller Crashs aus. "Das liegt daran, dass die älteren Verkehrsteilnehmer viel durch Erfahrung wettmachen. Die sind viel defensiver im Verkehr unterwegs. Schauen weiter voraus und fahren auch ein bisschen weniger. Sie sind in der Statistik in keiner Weise auffällig." Dagegen seien Fahranfänger zwischen 18 und 24 wesentlich mehr in Unfälle verwickelt.

    Ein genauer Blick auf die absoluten Zahlen lohnt sich

    Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, sieht das anders. Für ihn zeigen die absoluten Zahlen der Statistik zwar auf den ersten Blick, dass Senioren kein überhöhtes Unfallrisiko haben. Aber man müsse im Detail schauen: "Senioren fahren viel weniger mit dem Auto. Auf die Kilometerfahrleistung bezogen haben Senioren ein höheres Unfallrisiko, ähnlich hoch wie 18- bis 24-Jährige."
    Statistisch belegt ist auch: Wenn ältere Menschen ab 65 Jahren in einen Autounfall verwickelt waren, trugen sie in mehr als zwei Dritteln der Fälle die Hauptschuld. Bei über 75-Jährigen etwa in drei Vierteln der Fälle. Ältere Pkw-Fahrerinnen und -Fahrer missachten überdurchschnittlich häufig die Vorfahrt und verursachen beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren mehr Unfälle als Jüngere. 
    Nach einer Untersuchung von Kfz-Versicherungsgesellschaften sind Ältere auch für 40 Prozent aller Geisterfahrer-Unfälle verantwortlich, weil sie überdurchschnittlich häufig in die falsche Autobahn-Auffahrt einbiegen. Im Großstadtverkehr tun sich ältere Autofahrer bisweilen beim Rechtsabbiegen schwer, hat der ADAC beobachtet. Dann bemerken sie Fahrradfahrer zu spät, die auf kreuzenden Radwegstreifen Vorfahrt haben.
    Eine Statistik über das fahrleistungsbezogene Verunglücktenrisiko nach Altersgruppen.
    Angegeben sind die Altersgruppen der Hauptverursacher. Zu den Verunglückten zählen alle Unfallbeteiligten (Haupt- und Nicht-Hauptverursacher) (Hardy Holte)

    Was können Seniorinnen und Senioren eigenverantwortlich tun?

    Der ADAC rät, mit sich selbst kritisch umzugehen: Habe ich irgendwo Defizite? Sind meine Augen noch in Ordnung? Höre ich noch gut? Kenne ich noch alle Verkehrsregeln? Jeder sei gefordert, sich zu hinterfragen, und dies mit zunehmendem Alter auch mit ärztlicher Begleitung durchzuführen.
    Automobilklubs, Prüfgesellschaften und andere Anbieter bieten darüber hinaus spezielle Fahrfitness-Checks für ältere Menschen an, die man in der Regel selbst bezahlen muss. Bei diesen Tests fahren Teilnehmer mit einem amtlichen Fahrlehrer. Man muss nicht fürchten, seinen Führerschein zu verlieren. Absolventinnen und Absolventen erhalten lediglich eine ehrliche Analyse ihres Fahrverhaltens.

    Viele Aha-Erlebnisse bei freiwilliger Schulung

    Die Landesverkehrswacht in Niedersachsen hat 2015 ein solches freiwilliges Programm eingeführt. Die fünfstündigen Schulungen "Fit im Auto" werden in vielen niedersächsischen Regionen angeboten. Auf dem Programm stehen eine Einführung durch die Polizei, ein Sicherheitstraining mit dem eigenen Auto auf einem Übungsplatz sowie eine Fahrt mit Fahrlehrer oder -lehrerin im Fahrschulwagen. Mehr als 10.500 Menschen landesweit haben die Kurse bisher absolviert. Andere Bundesländer wie Bayern haben das Konzept übernommen.
    Es zeige sich, dass durch gezielte Übungen altersbedingte Defizite beim Autofahren ausgeglichen werden könnten, sagt Roswitha Bothe von der Landesverkehrswacht. An Seminartagen gibt es Bothe zufolge viele Aha-Erlebnisse. Und: Es gebe nur sehr wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denen im Anschluss an das Seminar nahegelegt werden müsse, den Führerschein freiwillig abzugeben.

    mfied, dpa