Dina Netz: Es geht um die Ehre zwei Männer, aber noch um viel mehr. Der französische Medienkritiker Philippe Karsenty ist jetzt nach jahrelangem Prozess freigesprochen worden. Ihm hatte der Israel-Korrespondent des französischen Staatssenders "France 2" vorgeworfen, seine Ehre zu verletzen. Der Medienkritiker hatte Zweifel an der Richtigkeit von Bildern geäußert, die der Korrespondent Enderlin und sein Kameramann erst nach Paris und dann um die Welt geschickt hatten. Es waren nicht irgendwelche Bilder. Darauf war zu sehen, wie der palästinensische Junge Mohammed al-Dura erschossen wird von der israelischen Armee. Bilder, die zumindest ein Anlass waren für die folgende zweite Intifada. Philippe Karsenty hat jetzt unter anderem erreicht, dass das gesamte Bildmaterial von der vermeintlichen Ermordung beim Prozess gezeigt werden musste. Es zeigt Mohammed al-Dura nach dem Schusswechsel lebend. Die Journalistin Esther Schapira hat 2002 einen Fernsehfilm über den Fall Mohammed al-Dura gedreht und damit den Anstoß für Karsentys Recherchen geliefert. Ich habe sie gefragt: Frau Schapira, was beweist dieser Freispruch Philippe Karsentys jetzt?
Esther Schapira: Der Freispruch heißt noch nicht, dass in der Sache geprüft worden wäre, wie war es wirklich. Aber die Zweifel, die Karsenty angemeldet sind, sind so substanziell, dass das Gericht sagt, ja, man darf hier von einer Fälschung sprechen, ohne sich der Verleumdung schuldig zu machen.
Netz: Befasst sich denn jetzt im Folgenden irgendjemand mit der Frage, ob das nun die echten Bilder sind oder nicht. Wer klärt das denn jetzt?
Schapira: Das Ganze ist auch eine politische Frage. Wer hat wirklich Interesse daran, das Ganze aufzuhellen, und wie kooperativ wird "France 2" sich zeigen? Bislang haben sie nur gemauert, das war auch meine Erfahrung damals. Um es zu beantworten, bräuchten wir entweder die Leiche Mohammed al-Duras, die untersucht werden müsste, und dann wüssten wir auch, ob das Kind wirklich tot ist, oder wir müssten zumindest die Gewissheit haben, dass das Filmmaterial, was wir jetzt als gesamtes Filmmaterial angeblich vorgeführt bekommen haben, auch wirklich das Originalmaterial ist. Daran hab ich immer noch massive Zweifel.
Netz: Sie haben, Frau Schapira, die Bilder ja auch gesehen, als sie bei dem Prozess gezeigt wurden. Was, glauben Sie denn, kann man jetzt immerhin als sicher annehmen?
Schapira: Als sicher können wir annehmen, dass das Kind am Ende der jetzt veröffentlichen Sequenz noch gelebt hat. Das heißt, definitiv zeigt diese Sequenz nicht, wie Mohammed al-Dura erschossen wurde. Wir können auch ausschließen, dass das Ganze eine blutige Angelegenheit war, der Vater von neun Schüssen durchbohrt wurde, das Kind drei Schüsse abbekommen hat. Dann müsste sehr viel mehr Blut zu sehen sein, das ist nicht zu sehen. Insofern ist das schon eine kleine Sensation, denn genau das war ja das, was um die Welt ging, die Ermordung des Jungen Mohammed al-Dura. Die ist definitiv im Bild nicht festgehalten.
Netz: Sie haben gerade schon gesagt, "France 2" hat sehr gemauert bei den Recherchen. Wie kann man sich denn das erklären? Wenn es wirklich so wäre, dass man wissentlich Bildmaterial, das Dinge beweist, unter Verschluss gehalten hat, dann ist das ja schon ein starkes Stück französische Fernsehgeschichte. Was ist denn da los gewesen?
Schapira: Na, wir müssen uns zunächst mal vor Augen führen, was in diesem Krieg, der ganz stark ein Medienkrieg ist, tagtäglich passiert. Es geht darum, möglichst schnell möglichst sensationelle Bilder um die Welt zu schicken. Nirgendwo drängeln sich so viele Kollegen auf so engem Raum wie gerade in Nahost, wie gerade in Israel. Ich gehe nicht davon aus, dass "France 2" bewusst eine Fälschung in Umlauf gebracht hat. Das hat auch Karsenty nie behauptet. Aber bei genauerer Betrachtung des Materials hätten sie selbst die Fragezeichen formulieren müssen, die wir ja dann auch in unserem Film gestellt haben und hätten dann alles dazu beitragen müssen, es aufzuklären. Stattdessen haben sie an ihrer Sensation dieser Bilder festgehalten und haben wohl reagiert nach dem Motto "Augen zu und durch".
Netz: Es ist ja im Medienbetrieb immer so, dass die Gegendarstellung eigentlich niemanden mehr erreicht, weil die Darstellung alleine schon so sensationell war. Wissen Sie denn schon Reaktionen aus der arabischen Welt, jetzt auf diese veröffentlichten Bilder und auf das Urteil?
Schapira: Nein. Soweit ich weiß, wird es weitgehend ausgeblendet, das verwundert auch nicht. Denn natürlich ist nicht in erster Linie das Aufklärungsinteresse das Vorherrschende. Ich bezweifele auch, dass die Wahrheit selbst an dem Bild und an der Ikone Mohammed al-Dura als Märtyrer viel ändern wird. Viel entscheidender ist letztlich die Frage, wird in dieser Form wie bisher mit dem Bild noch weiter geworfen werden können. Es ist ja benutzt worden als Rekrutierungsvideo von El Kaida, es ist die Ikone des palästinensischen Medienkrieges. Ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht, zumindest im Westen, da die Vorsicht größer geworden ist, mit diesem Bild so zu operieren. In der arabischen Welt, fürchte ich, wird es nicht viel verändern.
Netz: Ist diese Bildfälschung oder, sagen wir mal, zumindest diese manipulative Verwendung von Bildern nicht wirklich einer der eklatantesten Fälle der vergangenen Jahre im Fernsehjournalismus?
Schapira: Mit Sicherheit. Es gibt auch Historiker, die es vergleichen mit der Fälschung der Protokolle der Weisen von Zion, in der modernen Fassung sozusagen. Das ändert nur nichts daran, dass es gar kein Unrechtsbewusstsein in dieser Form gibt. Dies ist jetzt ein Fall, der aufgeflogen ist. Aber es passiert tagtäglich. Die israelischen Soldaten sprechen in diesem Zusammenhang von "For camera only". Das heißt, Zusammenbrechende, Verletzte, die spektakulär davongetragen werden, sogar zu Grabe getragen werden, obwohl nachweislich da gar keine Leiche drauf liegt. Und der Intendant des palästinensischen Fernsehens hat uns damals in unserem Film geantwortet, er fühle sich einer höheren Wahrheit verpflichtet. Und die Bilder, die sie senden, würden sein Illustrationen dieser höheren politischen Wahrheit. Das ist eine völlig andere Auffassung von Journalismus, als wir sie haben. Und das ist das für mich eigentlich Erschütternde übrigens daran, wie leichtfertig wir alle diesen Bildern aufsitzen und diesen Fälschungen, weil wir bereit sind zu glauben, was wir sehen.
Netz: Sehen und sehen wollen. Das waren Einschätzungen von Esther Schapira, Autorin des Films "Drei Kugeln und ein totes Kind - Wer erschoss Mohammed al-Dura?".
Esther Schapira: Der Freispruch heißt noch nicht, dass in der Sache geprüft worden wäre, wie war es wirklich. Aber die Zweifel, die Karsenty angemeldet sind, sind so substanziell, dass das Gericht sagt, ja, man darf hier von einer Fälschung sprechen, ohne sich der Verleumdung schuldig zu machen.
Netz: Befasst sich denn jetzt im Folgenden irgendjemand mit der Frage, ob das nun die echten Bilder sind oder nicht. Wer klärt das denn jetzt?
Schapira: Das Ganze ist auch eine politische Frage. Wer hat wirklich Interesse daran, das Ganze aufzuhellen, und wie kooperativ wird "France 2" sich zeigen? Bislang haben sie nur gemauert, das war auch meine Erfahrung damals. Um es zu beantworten, bräuchten wir entweder die Leiche Mohammed al-Duras, die untersucht werden müsste, und dann wüssten wir auch, ob das Kind wirklich tot ist, oder wir müssten zumindest die Gewissheit haben, dass das Filmmaterial, was wir jetzt als gesamtes Filmmaterial angeblich vorgeführt bekommen haben, auch wirklich das Originalmaterial ist. Daran hab ich immer noch massive Zweifel.
Netz: Sie haben, Frau Schapira, die Bilder ja auch gesehen, als sie bei dem Prozess gezeigt wurden. Was, glauben Sie denn, kann man jetzt immerhin als sicher annehmen?
Schapira: Als sicher können wir annehmen, dass das Kind am Ende der jetzt veröffentlichen Sequenz noch gelebt hat. Das heißt, definitiv zeigt diese Sequenz nicht, wie Mohammed al-Dura erschossen wurde. Wir können auch ausschließen, dass das Ganze eine blutige Angelegenheit war, der Vater von neun Schüssen durchbohrt wurde, das Kind drei Schüsse abbekommen hat. Dann müsste sehr viel mehr Blut zu sehen sein, das ist nicht zu sehen. Insofern ist das schon eine kleine Sensation, denn genau das war ja das, was um die Welt ging, die Ermordung des Jungen Mohammed al-Dura. Die ist definitiv im Bild nicht festgehalten.
Netz: Sie haben gerade schon gesagt, "France 2" hat sehr gemauert bei den Recherchen. Wie kann man sich denn das erklären? Wenn es wirklich so wäre, dass man wissentlich Bildmaterial, das Dinge beweist, unter Verschluss gehalten hat, dann ist das ja schon ein starkes Stück französische Fernsehgeschichte. Was ist denn da los gewesen?
Schapira: Na, wir müssen uns zunächst mal vor Augen führen, was in diesem Krieg, der ganz stark ein Medienkrieg ist, tagtäglich passiert. Es geht darum, möglichst schnell möglichst sensationelle Bilder um die Welt zu schicken. Nirgendwo drängeln sich so viele Kollegen auf so engem Raum wie gerade in Nahost, wie gerade in Israel. Ich gehe nicht davon aus, dass "France 2" bewusst eine Fälschung in Umlauf gebracht hat. Das hat auch Karsenty nie behauptet. Aber bei genauerer Betrachtung des Materials hätten sie selbst die Fragezeichen formulieren müssen, die wir ja dann auch in unserem Film gestellt haben und hätten dann alles dazu beitragen müssen, es aufzuklären. Stattdessen haben sie an ihrer Sensation dieser Bilder festgehalten und haben wohl reagiert nach dem Motto "Augen zu und durch".
Netz: Es ist ja im Medienbetrieb immer so, dass die Gegendarstellung eigentlich niemanden mehr erreicht, weil die Darstellung alleine schon so sensationell war. Wissen Sie denn schon Reaktionen aus der arabischen Welt, jetzt auf diese veröffentlichten Bilder und auf das Urteil?
Schapira: Nein. Soweit ich weiß, wird es weitgehend ausgeblendet, das verwundert auch nicht. Denn natürlich ist nicht in erster Linie das Aufklärungsinteresse das Vorherrschende. Ich bezweifele auch, dass die Wahrheit selbst an dem Bild und an der Ikone Mohammed al-Dura als Märtyrer viel ändern wird. Viel entscheidender ist letztlich die Frage, wird in dieser Form wie bisher mit dem Bild noch weiter geworfen werden können. Es ist ja benutzt worden als Rekrutierungsvideo von El Kaida, es ist die Ikone des palästinensischen Medienkrieges. Ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht, zumindest im Westen, da die Vorsicht größer geworden ist, mit diesem Bild so zu operieren. In der arabischen Welt, fürchte ich, wird es nicht viel verändern.
Netz: Ist diese Bildfälschung oder, sagen wir mal, zumindest diese manipulative Verwendung von Bildern nicht wirklich einer der eklatantesten Fälle der vergangenen Jahre im Fernsehjournalismus?
Schapira: Mit Sicherheit. Es gibt auch Historiker, die es vergleichen mit der Fälschung der Protokolle der Weisen von Zion, in der modernen Fassung sozusagen. Das ändert nur nichts daran, dass es gar kein Unrechtsbewusstsein in dieser Form gibt. Dies ist jetzt ein Fall, der aufgeflogen ist. Aber es passiert tagtäglich. Die israelischen Soldaten sprechen in diesem Zusammenhang von "For camera only". Das heißt, Zusammenbrechende, Verletzte, die spektakulär davongetragen werden, sogar zu Grabe getragen werden, obwohl nachweislich da gar keine Leiche drauf liegt. Und der Intendant des palästinensischen Fernsehens hat uns damals in unserem Film geantwortet, er fühle sich einer höheren Wahrheit verpflichtet. Und die Bilder, die sie senden, würden sein Illustrationen dieser höheren politischen Wahrheit. Das ist eine völlig andere Auffassung von Journalismus, als wir sie haben. Und das ist das für mich eigentlich Erschütternde übrigens daran, wie leichtfertig wir alle diesen Bildern aufsitzen und diesen Fälschungen, weil wir bereit sind zu glauben, was wir sehen.
Netz: Sehen und sehen wollen. Das waren Einschätzungen von Esther Schapira, Autorin des Films "Drei Kugeln und ein totes Kind - Wer erschoss Mohammed al-Dura?".