Peter Kapern: Morgen vor 100 Jahren ist August Bebel gestorben, der Arbeiterkaiser, wie er genannt wurde. Er hat mit Wilhelm Liebknecht die Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei aus der Taufe gehoben, später mit Ferdinand Lassalles Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein zur SPD fusioniert. Bebel starb in Zürich, wo es heute eine Gedenkveranstaltung geben wird. Mit dabei ist der Historiker Jürgen Schmidt, der gerade eine brandneue Bebel-Biographie vorgelegt hat. Ihn habe ich vor einer halben Stunde gefragt, wie wichtig August Bebel heute noch für die SPD ist.
Jürgen Schmidt: Ja zum einen ist er natürlich deshalb eine zentrale Figur, weil er die Kaiserreich-Sozialdemokratie wirklich für 40 Jahre geprägt hat und die Führungsfigur der Sozialdemokratie geworden ist. Von daher ist er natürlich schon so eine Art Fixstern, auf den natürlich auch heute die Sozialdemokratie gerne zurückguckt, wie man jetzt ja auch an den ganzen Feierlichkeiten sieht, die heute und morgen überall stattfinden und auch schon vorher stattgefunden haben. Ich denke, für die Sozialdemokratie insgesamt ist er natürlich von großer Bedeutung, weil Bebel schon die Figur gewesen ist, die ganz stark dafür plädiert hat, was man heute als politisches Engagement, als bürgerschaftliches Engagement bezeichnet. Ein Aspekt, den man früher vielleicht bei Bebel eher übersehen hatte, wo er stärker die Rolle des Parteisoldaten und des Klassenkämpfers hatte.
Kapern: Was macht den Kern von Bebels Wesen aus? Welcher Charakterzug war es, der ihn dazu geeignet gemacht hat, die SPD sozusagen durch das ganze Kaiserreich zu führen?
Schmidt: Ich denke, es ist vor allem wirklich eine Form von Zähigkeit, weil Bebel war eher von kleiner Statur und war auch körperlich alles andere als kräftig und als Halbwaise und später dann als Waise lebte er auch in schwierigen, nicht in Unterschichtsverhältnissen, aber in schwierigen Verhältnissen. War von daher auch anfällig für Krankheiten. Von daher war es dann eher diese Form der Zähigkeit, des Durchkämpfens. Das hat ihn, glaube ich, dann besonders ausgezeichnet, dass er dann so eine Führungsfigur werden konnte und dann auch diese Position einnehmen konnte. Weil von seiner Bildung her kam er natürlich gegen Theoretiker wie Marx und Engels oder auch Wilhelm Liebknecht von einem ganz anderen Bildungshintergrund. Vielleicht würde Zähigkeit das am besten charakterisieren.
Kapern: Er war ein Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen. Hat ihm das damals Glaubwürdigkeit verliehen und verleiht das heute einem SPD-Politiker auch noch Glaubwürdigkeit?
Schmidt: Ja ich denke, dieses war der zentrale Punkt überhaupt, weil Bebel ist früher schon als Handwerksmeister erfolgreich geworden, hat ein Unternehmen gegründet und hat damit durchaus viel Geld verdient. Und später dann mit seinen Publikationen, vor allem "Die Frau und der Sozialismus", ist er ja auch wirklich reich geworden. Das wurde ihm aber nie oder von den allerwenigsten vorgehalten, zumindest nicht von seinen Parteifreunden und Wählern. Sondern es lebte diese Glaubwürdigkeit wirklich davon, dass er aus diesen untersten Verhältnissen sich hochgearbeitet hat und damit auch sozusagen symbolhaft für die Bewegung stand, die Teil des politischen Systems sein wollte und versucht hat, sich damit zu integrieren, und gleichzeitig auch in einem spannungsreichen Konfliktverhältnis mit dem Staat stand. Das hat Bebel mit seinem Aufstieg auch in einer Form zum Ausdruck gebracht.
Kapern: Sie haben es gesagt, Herr Schmidt: August Bebel war eigentlich ein schwer reicher Mann, und da denkt man jetzt automatisch an Peer Steinbrück, den Kanzlerkandidaten, und seine Rednerhonorare. Die Debatte darum hat ihm den Einstieg in den Wahlkampf grundsätzlich vollständig verhagelt, und Bebel wurde eigentlich nie zulasten gelegt, dass er so reich war. Gibt es da heute andere Maßstäbe, oder was macht den Unterschied aus?
Schmidt: Ja ich denke schon, dass das durch diese Sozialisation von Bebel aus diesem Milieu am Rande der Unterschicht einen ganz anderen Nimbus natürlich geschafft hat und von daher auch andere Wertmaßstäbe angelegt wurden, als heute an Politiker angelegt werden. Das ist, glaube ich, schon ein ganz zentraler Unterschied, ja.
Kapern: Bebel wurde der Arbeiterführer, sogar der Arbeiterkaiser genannt. Mit der Nähe zum einfachen Mann hat die SPD ja im Moment so ihre liebe Mühe. Liegt das daran, dass es kaum noch Arbeiter gibt, oder dass die SPD-Spitzenpolitiker dies verlernt haben?
Schmidt: Nein. Ich denke, es ist einfach ein ganz grundsätzlicher Wandel in diesem Gesellschaftssystem. Die Sozialdemokratie des Kaiserreichs ist in einem sozialdemokratischen Milieu groß geworden, wo wirklich eine Organisation aufgebaut wurde, die, wie es hieß, von der Wiege bis zur Bahre ihre Mitglieder auch betreut hat. Wo ein soziales Milieu vorhanden war, in dem Arbeiter von der Kneipe über den Verein, über den Radsportclub sich zusammengefunden haben. Diese Milieustrukturen und damit auch diese Identitäten sind heute weitaus brüchiger und zum Teil auch überhaupt nicht mehr vorhanden. Von daher ist das, glaube ich, auch eine gewisse Illusion zu glauben, an kleine Leute sozusagen über Milieustrukturen noch mal heranzukommen.
Kapern: Das heißt, August Bebel taugt der SPD nur noch für Gedenkveranstaltungen, oder könnte sich ein SPD-Spitzenpolitiker heute bei Bebel auch noch was abschauen?
Schmidt: Ich denke, es sind vor allem zumindest drei Elemente, die heute noch durchaus wichtig wären: Das ist einmal diese Form des Aufstiegs über Bildung, was auch heute nach wie vor zentral ist. Und dann dieses bürgerschaftliche, zivilgesellschaftliche Engagement, für das Bebel steht und für das ja auch die Sozialdemokratie heute eintritt. Und ein dritter Aspekt ist natürlich nach wie vor dieses Gerechtigkeitsempfinden und dieser Versuch des sozialen Ausgleichs, für den natürlich Bebel auch stand und zentral stand. Von daher sind da schon drei zentrale Anknüpfungspunkte, die Bebel aktuell machen und die es auch der Sozialdemokratie ermöglichen, daran anzuknüpfen, ohne ausschließlich jetzt Feierlichkeiten sozusagen zu veranstalten.
Kapern: Der Historiker und Bebel-Biograf Jürgen Schmidt. – Übrigens die Bebel-Uhr, die angeblich von einem SPD-Vorsitzenden zum nächsten weitergereicht wird, die gibt es gar nicht, hat Sigmar Gabriel, der Bebel-Nachfolger, heute wissen lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jürgen Schmidt: Ja zum einen ist er natürlich deshalb eine zentrale Figur, weil er die Kaiserreich-Sozialdemokratie wirklich für 40 Jahre geprägt hat und die Führungsfigur der Sozialdemokratie geworden ist. Von daher ist er natürlich schon so eine Art Fixstern, auf den natürlich auch heute die Sozialdemokratie gerne zurückguckt, wie man jetzt ja auch an den ganzen Feierlichkeiten sieht, die heute und morgen überall stattfinden und auch schon vorher stattgefunden haben. Ich denke, für die Sozialdemokratie insgesamt ist er natürlich von großer Bedeutung, weil Bebel schon die Figur gewesen ist, die ganz stark dafür plädiert hat, was man heute als politisches Engagement, als bürgerschaftliches Engagement bezeichnet. Ein Aspekt, den man früher vielleicht bei Bebel eher übersehen hatte, wo er stärker die Rolle des Parteisoldaten und des Klassenkämpfers hatte.
Kapern: Was macht den Kern von Bebels Wesen aus? Welcher Charakterzug war es, der ihn dazu geeignet gemacht hat, die SPD sozusagen durch das ganze Kaiserreich zu führen?
Schmidt: Ich denke, es ist vor allem wirklich eine Form von Zähigkeit, weil Bebel war eher von kleiner Statur und war auch körperlich alles andere als kräftig und als Halbwaise und später dann als Waise lebte er auch in schwierigen, nicht in Unterschichtsverhältnissen, aber in schwierigen Verhältnissen. War von daher auch anfällig für Krankheiten. Von daher war es dann eher diese Form der Zähigkeit, des Durchkämpfens. Das hat ihn, glaube ich, dann besonders ausgezeichnet, dass er dann so eine Führungsfigur werden konnte und dann auch diese Position einnehmen konnte. Weil von seiner Bildung her kam er natürlich gegen Theoretiker wie Marx und Engels oder auch Wilhelm Liebknecht von einem ganz anderen Bildungshintergrund. Vielleicht würde Zähigkeit das am besten charakterisieren.
Kapern: Er war ein Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen. Hat ihm das damals Glaubwürdigkeit verliehen und verleiht das heute einem SPD-Politiker auch noch Glaubwürdigkeit?
Schmidt: Ja ich denke, dieses war der zentrale Punkt überhaupt, weil Bebel ist früher schon als Handwerksmeister erfolgreich geworden, hat ein Unternehmen gegründet und hat damit durchaus viel Geld verdient. Und später dann mit seinen Publikationen, vor allem "Die Frau und der Sozialismus", ist er ja auch wirklich reich geworden. Das wurde ihm aber nie oder von den allerwenigsten vorgehalten, zumindest nicht von seinen Parteifreunden und Wählern. Sondern es lebte diese Glaubwürdigkeit wirklich davon, dass er aus diesen untersten Verhältnissen sich hochgearbeitet hat und damit auch sozusagen symbolhaft für die Bewegung stand, die Teil des politischen Systems sein wollte und versucht hat, sich damit zu integrieren, und gleichzeitig auch in einem spannungsreichen Konfliktverhältnis mit dem Staat stand. Das hat Bebel mit seinem Aufstieg auch in einer Form zum Ausdruck gebracht.
Kapern: Sie haben es gesagt, Herr Schmidt: August Bebel war eigentlich ein schwer reicher Mann, und da denkt man jetzt automatisch an Peer Steinbrück, den Kanzlerkandidaten, und seine Rednerhonorare. Die Debatte darum hat ihm den Einstieg in den Wahlkampf grundsätzlich vollständig verhagelt, und Bebel wurde eigentlich nie zulasten gelegt, dass er so reich war. Gibt es da heute andere Maßstäbe, oder was macht den Unterschied aus?
Schmidt: Ja ich denke schon, dass das durch diese Sozialisation von Bebel aus diesem Milieu am Rande der Unterschicht einen ganz anderen Nimbus natürlich geschafft hat und von daher auch andere Wertmaßstäbe angelegt wurden, als heute an Politiker angelegt werden. Das ist, glaube ich, schon ein ganz zentraler Unterschied, ja.
Kapern: Bebel wurde der Arbeiterführer, sogar der Arbeiterkaiser genannt. Mit der Nähe zum einfachen Mann hat die SPD ja im Moment so ihre liebe Mühe. Liegt das daran, dass es kaum noch Arbeiter gibt, oder dass die SPD-Spitzenpolitiker dies verlernt haben?
Schmidt: Nein. Ich denke, es ist einfach ein ganz grundsätzlicher Wandel in diesem Gesellschaftssystem. Die Sozialdemokratie des Kaiserreichs ist in einem sozialdemokratischen Milieu groß geworden, wo wirklich eine Organisation aufgebaut wurde, die, wie es hieß, von der Wiege bis zur Bahre ihre Mitglieder auch betreut hat. Wo ein soziales Milieu vorhanden war, in dem Arbeiter von der Kneipe über den Verein, über den Radsportclub sich zusammengefunden haben. Diese Milieustrukturen und damit auch diese Identitäten sind heute weitaus brüchiger und zum Teil auch überhaupt nicht mehr vorhanden. Von daher ist das, glaube ich, auch eine gewisse Illusion zu glauben, an kleine Leute sozusagen über Milieustrukturen noch mal heranzukommen.
Kapern: Das heißt, August Bebel taugt der SPD nur noch für Gedenkveranstaltungen, oder könnte sich ein SPD-Spitzenpolitiker heute bei Bebel auch noch was abschauen?
Schmidt: Ich denke, es sind vor allem zumindest drei Elemente, die heute noch durchaus wichtig wären: Das ist einmal diese Form des Aufstiegs über Bildung, was auch heute nach wie vor zentral ist. Und dann dieses bürgerschaftliche, zivilgesellschaftliche Engagement, für das Bebel steht und für das ja auch die Sozialdemokratie heute eintritt. Und ein dritter Aspekt ist natürlich nach wie vor dieses Gerechtigkeitsempfinden und dieser Versuch des sozialen Ausgleichs, für den natürlich Bebel auch stand und zentral stand. Von daher sind da schon drei zentrale Anknüpfungspunkte, die Bebel aktuell machen und die es auch der Sozialdemokratie ermöglichen, daran anzuknüpfen, ohne ausschließlich jetzt Feierlichkeiten sozusagen zu veranstalten.
Kapern: Der Historiker und Bebel-Biograf Jürgen Schmidt. – Übrigens die Bebel-Uhr, die angeblich von einem SPD-Vorsitzenden zum nächsten weitergereicht wird, die gibt es gar nicht, hat Sigmar Gabriel, der Bebel-Nachfolger, heute wissen lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.