"Viele Menschen machen einen Bogen rund ums Thema Religion, weil Religion - oder ich nenne es jetzt mal Glaube - tangiert ja eben auch die Grenze und Eckpunkte unseres Lebens."
Kreuz, Anker und Herz
Petra Pientka ist Chefin eines Familienunternehmens in Iserlohn und Umgebung, Herrin über mittlerweile neun Autohäuser mit insgesamt rund 200 Beschäftigten - darunter 40 Auszubildende. Christen, Muslime, Atheisten - alles dabei.
"Ich würde mal sagen, wir haben so einen ziemlich normalen Querschnitt von der Gesamtbevölkerung."
"Die Arbeitswelt ist nicht säkular"
Petra Pientka hat an einer Studie teilgenommen, die Ali Gümüsay für das, noch recht junge, gemeinnützige Unternehmen "Lead" aus Berlin angefertigt hat. "Lead" steht, so heißt es auf der Webseite, für ein anderes, modernes Führungsverständnis. Mit Spaß und auf Augenhöhe. Ali Gümüsay ist Wirtschaftswissenschaftler, hat in Hamburg und Oxford studiert und hat für die Studie "Religion und Führung - alte Weisheit für eine neue Welt?" Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft befragt. Dabei waren mittelständische Familienunternehmer genauso wie Vorstände von DAX-Unternehmen.
"Global ist die Arbeitswelt überhaupt nicht säkular. Über 80 Prozent der Weltbevölkerung sind religiös affiliiert und es prägt ihre alltägliche Praxis", erklärt Gümüsay.
Allerdings teilt er die Beobachtung von Petra Pientka:
"Man redet in der Wirtschaft nicht über Politik, über Geld und über Religion, das sind so die drei Tabu-Themen. Mittlerweile wird über Geld schon immer mehr gesprochen und auch über Politik - aber Religion ist weiter ein Tabu-Thema."
"Gewinnmaximierung als Ziel macht keinen Sinn"
Grund genug für eine Studie. Die Chefs wurden gefragt:
"Wie prägt Religion Sie als Führungskraft?"
Und wie gehen Sie mit den Spannungsverhältnissen um, die sich daraus ergeben? Wie weit darf zum Beispiel Profitstreben gehen? Vertragen sich religiöse Werte mit Gewinnorientierung? Petra Pientka hat dazu eine eindeutige Haltung:
"Wir müssen Gewinne machen, ist klar, aber das ist ein ganz anderer Ansatz. Das eine ist, wir brauchen einen gewissen Minimum-Gewinn, damit wir unsere Tilgungen bedienen können, aber es macht ja gar keinen Sinn, Gewinnmaximierung als Ziel zu sehen - da ist man ja nie am Schluss."
Religiös und profitorientert
Eine Haltung, die auch im Islam existiert. Gewinne zu erwirtschaften ist gut - aber sie sollen zum Wohl des Menschen eingesetzt werden. Das heißt, je mehr Gewinn man erwirtschaftet, desto mehr Gutes kann man tun. Ali Gümüsay sagt:
"Leider gibt es viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die ich getroffen habe, die sagen: Na ja, ich bin sehr religiös, aber mein unternehmerisches Handeln ist absolut profitorientiert. Also genau das Gegenteil."
Wie geht das zusammen? Und vor allem -
"Woran liegt das? Ich glaube, es liegt wirklich daran, dass sie 'Religion ist Privatsache' so sehr internalisiert haben, dass sie nicht verstehen, dass ihr Wertekanon sie auch auf der Arbeit prägen sollte."
"Wer ohne Sünde ist ..."
Einige der Befragten orientieren sich, wie Petra Pientka auch, an kleinen Symbolen. Sie helfen, sich immer wieder an die Werte, die man sich gegeben hat, an denen man sich orientieren will, zu erinnern. Mal insgeheim, mal offensiv.
"Eine Führungskraft hat mir erzählt, sie hat einen Stein auf ihrem Schreibtisch. Und sie sagt halt: Na ja, der Stein fällt nicht weiter auf, das ist halt ein Stein, der da so rumliegt. Sie hat mir gesagt, wenn sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht und die machen Fehler - dann sieht die auf den Stein und denkt an den Bibelvers 'Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.'"
Ein anderes Beispiel: Ein Bürgermeister, der schon sehr lange im Amt ist, hat ein Kreuz gegenüber seinem Schreibtisch aufgehängt, um bescheiden und demütig zu bleiben. Gümüsay erklärt:
"Ich glaube, eine große Gefahr - ohnehin von Führungskräften - ist, je weiter oder je länger man oben ist, desto isolierter ist man. Und deswegen das Korrektiv von Religion."
"Sonntag-Montag-Trennung"
Aber, so hat Ali Gümüsay in der Studie erfahren - bei vielen rückt Religion erst nach der Rente wieder in den Vordergrund. Oder nur am Wochenende.
"Viele Führungskräfte sprechen von einer Sonntag-Montag-Trennung. Das heißt: Sonntags sind sie tiefreligiös und montags müssen sie wieder in die Arbeitswelt hinein."
Dass diese Teilung der Identität für viele aber frustrierend ist, das sei klar. Denn Grundsätzlich sind Werte, da seien sich fast alle Führungskräfte einig, etwas Gutes. Auch das Marketing hat sie für sich entdeckt. Stichwort CSR – Petra Pientka sagt:
"Corporate Social Responsibility - was ja, glaube ich, bei irgendwelchen Seminaren - das flattert ja immer mal ins Haus, solche Einladungen - auch gelehrt wird. So nach dem Motto: Ihr Manager, macht das mal, das ist gut für die Firma. Ja, das merken Menschen, warum ich das mache."
Religion und Vielfalt
Ali Gümüsays Fazit: Religiöse Werte spielen in der Wirtschaft, auch wenn sie vielfach tabuisiert werden, eine große Rolle.
"Man kann ja auch überlegen, ob nicht Religion ein Vielfaltsthema ist, dass man sagt, na ja, wir haben unterschiedliche Religionen in unserem Unternehmen und gerade in unserer globalisierten Welt noch viel stärker - und die Frage ist dann halt: Was heißt das eigentlich für mein Unternehmen?"
Für Petra Pientka heißt das zum Beispiel, schon im Einstellungsgespräch mögliche Probleme zu thematisieren - und auch klare Grenzen zu ziehen. Sie sagt, für sie sei es zum Beispiel schwierig, Religion im Arbeitsalltag zu viel Raum zu geben. In Ausnahmefällen sei Sonntagsarbeit unumgänglich - und um im Ramadan zu Fasten, sollte sich der muslimische Mitarbeiter Urlaub nehmen. Das gemeinsame Arbeiten, sagt sie, geht vor.
"Und da kann ich nicht immer nur sagen, ja, du musst Rücksicht nehmen, weil das ist ja aus religiösen Gründen - das finde ich nicht fair", sagt Petra Pientka.
Darüber reden, das ist genau einer der Handlungsvorschläge aus Ali Gümüsays Studie:
"Nicht darüber zu reden, ist definitiv ein Problem", sagt Gümüsay.