Die Kehrtwende ist bis heute ohne Beispiel. Am 11. März 2011 explodieren in Fukushima drei von sechs Blöcken des Atomkraftwerks, drei Monate später zieht eine Industrienation radikal den Stecker.
"Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert", wird die Kanzlerin wenige Tage später im Bundestag einräumen und die Stimmung der meisten Deutschen damit treffen: bloß raus aus der Atomenergie. Und so geht es Schlag auf Schlag. Wenige Tage nach Fukushima das Atommoratorium. Die sieben ältesten Atomkraftwerke und der als Pannenreaktor gebrandmarkte Meiler in Krümmel werden sofort abgeschaltet und sollen nie wieder ans Netz gehen. Nun - im Juni 2011 - folgt das Aus für die restlichen neun Atomkraftwerke im Land.
"Es wird eine stufenweise Abschaltung geben, dass jedem Kernkraftwerk ein Endproduktionsdatum zugeordnet ist und damit auch völlig Klarheit herrscht und keinerlei Ausweichmöglichkeiten mehr bestehen."
Nord-Süd-Trassen scheitern am Nein Bayerns
Damit steht fest: 2022 werden die letzten drei deutschen Atommeiler endgültig abgeschaltet. Doch zum Atomausstieg gehört ein ganzes Bündel weiterer Gesetze - Hausbesitzer sollen mehr Geld zum Energiesparen erhalten, die Erneuerbaren Energien sollen massiv ausgebaut werden, ebenso die Stromnetze, so der damalige Wirtschaftsminister Philip Rösler.
"Bisher ist die Planungs- und Bauzeit im Bereich der Netze mit zehn Jahren anzusetzen, Ziel ist mit unseren Gesetzgebungsmaßnahmen, dieses auf vier Jahre zu senken."
Doch soweit kommt es nicht. Zwar wird nun schneller geplant, doch schon 2014 scheitern ausgerechnet die wichtigen Nord-Süd-Trassen am einsamen Nein aus Bayern.
"Wenn ein Großprojekt nötig ist, werde ich der Erste sein, der dafür eintritt. Aber wenn ich selbst nicht voll überzeugt bin, kann ich auch Bevölkerung nicht überzeugen", so Horst Seehofer im Oktober 2014.
Sein Nein wirft alle Netzausbaupläne um Jahre zurück, während der Ausbau der Erneuerbaren erst so richtig in Gang kommt. 2010 – im Jahr vor Fukushima – kommen noch knapp 23 Prozent des Stroms aus Atomkraftwerken, der Anteil der Erneuerbaren: 14 Prozent. Deren Anteil hat sich fünf Jahre später auf 33 Prozent mehr als verdoppelt und die Nöte im Übertragungsnetz werden immer größer, so Wirtschaftsminister Gabriel:
"Wir haben irre Zustände, wir produzieren im Norden Strom, zu viel, verschenken den oder drücken ihn den Polen ins Netz, die müssen ihre Kraftwerke runterfahren oder schreiben rote Zahlen. Im Süden schalten wir ein Atomkraftwerk nach dem anderen ab, haben aber keine Leitungen und bitten die Österreicher uns mit alten Ölkraftwerken den Strom zu liefern, das allerdings ist eine Karnevalsveranstaltung."
Die Gabriel nun mit der vor wenigen Tagen vorgestellten EEG-Reform beenden will.
Energiekonzerne fordern Schadensersatz
23 Milliarden Euro müssen die Stromkunden in diesem Jahr über die EEG-Umlage für die Energiewende aufbringen. Dabei ist Strom an der Strombörse seit Fukushima deutlich billiger geworden. Von fünf bis sechs Cent je Kilowattstunde ist sein Preis auf zeitweilig noch knapp über zwei Cent gesunken. Das macht vor allem den vier großen Energiekonzernen EON; RWE, Vattenfall und EnBW zu schaffen. 2011 schwammen sie noch im Geld, 2016 schreiben sie tiefrote Zahlen. Dabei haben auch sie noch eine Rechnung offen. Insgesamt fordern die Energieriesen vom Staat fast 20 Milliarden Euro Schadenersatz - für das aus ihrer Sicht überhastete Moratorium direkt nach Fukushima und für die Gewinne, die ihnen durch den heute vor fünf Jahren beschlossene endgültigen Atomausstieg entgehen. Allein EON fordert über acht Milliarden, so Konzernchef Johannes Theyssen.
"Den Schaden können sie an vielen Tatsachen sehen. Allein durch Entscheidung der Bereg ging Aktienwert um acht Milliarden zurück und das Gleiche können wir errechnen, wenn wir entgangene Stromerlöse rechnen zu damaligen Preisen – sie kommen auf ähnliche Zahlen auf vielen Wegen."
Ob das Geld tatsächlich fließt, entscheidet in den nächsten Monaten das Bundesverfassungsgericht.