Kommentar zu Corona
Vertrauensverlust wirkt immer noch nach

Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in Deutschland sind die Spuren der Pandemie noch sichtbar. Anfangs agierte die Politik recht gut. Doch später wurde durch gravierende Fehler Vertrauen verspielt und die Polarisierung der Gesellschaft befördert.

Ein Kommentar von Ralf Krauter |
Während der Coronapandemie klebt ein 3G-Hinweis an einer Berliner S-Bahn. Einsteigen dürfen nur Fahrgäste, die von der Coronavirus-Infektion genesen, gegen das Coronavirus geimpft oder getestet sind, zur Eindämmung einer Verbreitung des Coronavirus.
Sehr kontrovers diskutiert wurden Hinweise auf die 3G-Regeln wie hier an einer Berliner S-Bahn. Für eine Fahrt musste man von einer Corona-Infektion genesen, gegen das Virus geimpft oder getestet sein. (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Die Corona-Pandemie ist längst vorbei, aber vergessen ist sie noch lange nicht. Kein anderes Ereignis in den vergangenen 25 Jahren hat den Alltag in Deutschland so auf den Kopf gestellt. Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Quarantäneregeln, Schulschließungen, Impfdebatten und 3G-Regeln haben unser Leben nachhaltig verändert. 187.000 Menschen in Deutschland konnten sie aber nicht retten: Sie starben zwischen Flensburg und Füssen an oder mit Covid-19. Ihre Familien und Freunde trauern bis heute.
Hätten wir als Gesellschaft mehr tun müssen, um das tödliche Virus einzudämmen? Oder ging der Staat zu weit, als er unsere Bürgerrechte massiv eingeschränkt hat, um Infektionsketten zu unterbrechen und vulnerable Gruppen zu schützen? Je nachdem, wen man fragt, fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Weil das Thema bis heute für Streit sorgt, ist es höchste Zeit, die politischen Entscheidungen während der Coronapandemie nochmal kritisch aufzuarbeiten. Aber bitte ohne Schuldzuweisungen und Schaum vor dem Mund, sondern mit einem nüchternen Blick auf die Zahlen und Fakten.

Anfangs vieles richtig gemacht

Verglichen mit anderen Ländern in Europa ist Deutschland recht glimpflich durch die Coronakrise gekommen. Die Übersterblichkeit war mit 6 Prozent vergleichbar wie in Schweden und Norwegen. In Finnland, Spanien, Polen und Großbritannien gab es prozentual mehr zusätzliche Todesfälle durch Covid-19. Deutschlands Krankenhäuser waren zwar mehrmals am Limit, aber nie komplett überlastet. Die Hilfslosigkeit der Ärzte in Bergamo, die Kühllaster in New York, in denen sich die Leichen stapelten - all das blieb uns erspart.
Deshalb gilt es zunächst einmal festzuhalten: Die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern, die schnell schwierige Entscheidungen treffen mussten, haben vieles richtig gemacht. Zumindest im Frühjahr 2020, als es darum ging die erste Coronawelle zu brechen. Der erste Lockdown war notwendig. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens hat Zigtausenden das Leben gerettet. Und anders als etwa in Spanien oder China, war bei uns nie jemand in seiner Wohnung eingesperrt.

Schulen viel zu lange geschlossen

Doch ab Sommer 2020 wurden leider gravierende Fehler gemacht. Beispiel Nummer 1: Statt die Atempause nach der ersten Welle zu nutzen, um Kitas, Schulen und Pflegeheime auf die zweite Welle vorzubereiten, drehten Bundesregierung und Ministerpräsidenten Däumchen. Eine Kakophonie echter und selbsternannter Experten vernebelte ihren Blick für notwendige Entscheidungen. Der zweite Lockdown im Herbst war zu spät und zu lax. Die Winterwelle verlief deshalb so heftig, dass rund 60.000 Menschen an Covid-19 gestorben sind. Besonders tragisch dabei: Kurz darauf waren die ersten Impfstoffe verfügbar, die schwere Verläufe von Covid-19 verhindern.
Fehler Nummer zwei: Die Schulen blieben in Deutschland viel zu lange geschlossen, obwohl schon nach dem ersten Lockdown klar war, wie stark Kinder und Jugendliche darunter leiden. Psychische Störungen nahmen merklich zu. Im Winter 2020 hätten die Schulen deshalb nicht nochmal monatelang dicht gemacht werden dürfen. Der Blick nach Frankreich zeigt: Hätten die Bundesländer statt der Schulen die Büros geschlossen, um Kontakte zu reduzieren, wäre der Effekt ähnlich gewesen, die Jugend aber weniger belastet worden.

3G-Regeln schadeten dem Zusammenhalt

Fehler Nummer drei: Als im Herbst 2021 die Deltavariante grassierte, übte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gezielt Druck auf jene aus, die noch nicht geimpft waren. Seine Motive waren redlich, weil damals hauptsächlich Ungeimpfte die Intensivstationen füllten. Doch die 3G-Regeln grenzten Ungeimpfte vom gesellschaftlichen Leben aus. Das half zwar kurzfristig, die Infektionszahlen zu senken, schadete aber dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Druck erzeugt Gegendruck. Hier wurde Vertrauen verspielt und die Polarisierung der Gesellschaft befördert, von der populistische Parteien bis heute profitieren.
In Krisenzeiten ist das Vertrauen der Menschen das größte Kapital politischer Entscheider. Sie müssen klar kommunizieren, was nötig ist. Sie müssen die Bedürfnisse aller im Blick behalten und die Lasten fair verteilen. Der wachsende Vertrauensverlust während der Coronapandemie in Deutschland ist ein Lehrstück darüber, was künftig besser laufen muss.
Fünf Jahre nach ihrem Ausbruch sollten sich Politiker in Bund und Ländern deshalb selbstkritisch fragen, welche Lektionen sie gelernt haben. Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt.