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Fünf Jahre danach
Literaturkritiker: "Charlie Hebdo"-Attentat hat französische Literatur geprägt

Das Attentat auf Mitglieder der französischen Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" im Jahr 2015 ist literarisch intensiv verarbeitet worden. Die Bücher und Graphic Novels zu dem Anschlag würden eine größere Wirkung im In- und Ausland haben als das Magazin selbst, so der Literaturkritiker Dirk Fuhrig im Dlf.

Dirk Fuhrig im Gespräch mit Änne Seidel |
Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel
Alles ist vergeben? Auch der Anschlag hat "Charlie Hebdo" nicht eingeschüchtert (imago stock&people)
Das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" jährt sich zum fünften Mal. Islamistische Terroristen hatten 2015 viele Mitglieder der Redaktion erschossen. Mittlerweile haben mehrere der Überlebenden den Anschlag auch literarisch verarbeitet, in Romanen und Graphic Novels. Etwa der Autor Philippe Lancon, dem am 7. Januar 2015 eine Kugel den Unterkiefer zerschmettert hatte. Das Schreiben half ihm, weiterzuleben.
"Literatur seit den Anschlägen ist markant mitgeprägt worden von diesen Attentaten"
Literaturkritiker Dirk Fuhrig hat nicht nur das Buch von Philippe Lancon, "Der Fetzen", sondern auch viele andere Titel gelesen und sagt, das Attentat habe die französische Literatur geprägt. Allein die Menge der literarischen Produktion in unterschiedlichen Ausprägungen sei enorm gewesen, sagte er im Dlf.
"Also man kann sagen, die zeitgenössische Literatur seit den Anschlägen ist schon, zumindest markant mitgeprägt worden von diesen Attentaten." Auf die Frage, ob da ein neues Genre entstanden ist, antwortet Fuhrig: "Ich würde sagen, es ist eine Notwendigkeit gewesen, was den Zeitgeist geprägt hat, was diese Epoche geprägt hat. Auch, dass es viele Graphic Novels geworden sind ist interessant, hat natürlich damit zu tun, dass 'Charlie Hebdo' eine Zeitung ist, die stark von Bildern lebt, die Mitarbeiter Comic-Zeichner sind."
Buchcover: Philippe Lançon: „Der Fetzen“
Ex-"Charlie Hebdo"-Redakteur Philippe Lançon: „Der Fetzen“ - Leben im Reich außerhalb der Zeit
Beim Attentat auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 wurde der Journalist Philippe Lançon schwer verletzt. In "Der Fetzen" verarbeitet der Überlebende die Monate danach literarisch.
In Deutschland ist wahrscheinlich das Buch von Philippe Lancon, "Der Fetzen", am bekanntesten. Das Schreiben war für ihn eine Überlebensstrategie. Dazu Dirk Fuhrig: "Er beschreibt den Prozess, wie er wieder zu einem Menschen wurde, indem er schreibt. Er hat sofort angefangen nach dem Attentat wieder Texte zu schreiben im Krankenhaus."
"Ich glaube, dass die Bücher stärkere Wirkung haben als im Moment 'Charlie Hebdo' als Magazin es hat"
Der Eindruck drängt sich auf, dass die Bücher über "Charlie Hebdo" am Ende heute wichtiger oder relevanter sind als die Zeitschrift "Charlie Hebdo". Dazu Kritiker Fuhrig:
"Auf die Idee könnte man fast kommen, zumal der neue Chefherausgeber des Magazins, Riss, gerade ein Buch in Frankreich veröffentlicht hat, das gibt es noch nicht auf deutsch, wo er auf dieses Attentat zurückkommt. In diesem Text ist er scharf, er zeigt sich unerbittlich mit allen Gegnern der Meinungsfreiheit, seien sie von rechts oder von links. Und man kann fast sagen, dass dieses Buch zusammen mit all den anderen Büchern wirkmächtiger ist, und vielleicht stärker ins Bewusstsein dringt als das Heft, das mittlerweile wieder so auf 60.000 Auflage geschrumpft ist, nach den großen Solidaritätswellen, die es am Anfang gab. Das ist ungefähr der Stand von vor dem Attentat. Also, ich glaube, dass die Bücher, gerade auch die Graphic Novels, wahrscheinlich länger bleiben werden und auch im Ausland stärkere Wirkung haben als im Moment 'Charlie Hebdo' als Magazin es hat."
u.a. erwähnte Literatur:
Luz: Katharsis, S. Fischer, 16,99 Euro
Luz: Wir waren Charlie, Reprodukt, 29 Euro
Philippe Lançon: Der Fetzen, Klett-Cotta, 25 Euro
Catherine Meurisse: Die Leichtigkeit, Carlsen, 20 Euro
Catherine Meurisse: Weites Land, Carlsen, 18 Euro
Riss: Une minute quarante-neuf secondes, Actes Sud, 21 Euro