Folklore im Tunnel unter dem Maidan, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, zwischen Metro-Eingang und Shopping Mall: Die fünf jungen Männer sitzen und singen fast täglich auf den Treppenstufen, in dicken Jacken, stundenlang. Oben, auf dem breiten Kreschatik, dem zentralen Boulevard, rauschen teure Autos über den Asphalt, vorbei an Werbung und Wahlplakaten. Die Umfragen sehen zwei altbekannte Gesichter ganz vorn: vor dem amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Was ist nur los mit diesem Land, fragt die Künstlerin und Autorin Yevgenia Belorusets.
"So viele Revolutionen, so viele große Veränderungen, wie Erdbeben, dazu der Krieg – und wir sehen die gleiche politische Oberfläche, die gleichen Bilder – wie ist das möglich?"
Wir treffen uns im Café des Pinchuk Art Centers, das im Design auffällig mit dem Café der Tate Modern verwandt ist. Für die international aktive, zum Teil in Berlin lebende feministische Künstlerin Belorusets ist das moderne Museum des Oligarchen Viktor Pinchuk ein derzeit alternativloser Ort für ihre Installation über Gegenstände der Weiblichkeit. Ihr neues Buch: "Glückliches Fallen" enthält Kurzgeschichten, die weiblichen Stimmen aus der Ostukraine gewidmet sind. Was also ist los mit diesem Land? Yevgenia Belorusets meint:
"So viele Revolutionen, so viele große Veränderungen, wie Erdbeben, dazu der Krieg – und wir sehen die gleiche politische Oberfläche, die gleichen Bilder – wie ist das möglich?"
Wir treffen uns im Café des Pinchuk Art Centers, das im Design auffällig mit dem Café der Tate Modern verwandt ist. Für die international aktive, zum Teil in Berlin lebende feministische Künstlerin Belorusets ist das moderne Museum des Oligarchen Viktor Pinchuk ein derzeit alternativloser Ort für ihre Installation über Gegenstände der Weiblichkeit. Ihr neues Buch: "Glückliches Fallen" enthält Kurzgeschichten, die weiblichen Stimmen aus der Ostukraine gewidmet sind. Was also ist los mit diesem Land? Yevgenia Belorusets meint:
"Die wichtigste positive Veränderung nach dem Euro-Maidan ist das Gefühl, man könne etwas aufbauen, eine Menschenrechtsorganisation oder andere Initiative oder NGO. Etwas schaffen und voranbringen. Das ist die größte und für mich einzige wirklich wichtige positive Entwicklung seit dem Maidan."
Rechte politische Bewegungen werden stärker
Ihre Aufzählung der negativen Entwicklungen ist länger: Die 38-jährige Belorusets beklagt eine Zunahme rechter Bewegungen, den Einfluss von Kriegspropaganda und vor allem einen eklatanten Mangel an politischer Aufklärung und Bildung.
"Die Menschen verstehen noch immer nicht, wie sie eine wichtige politische Wahl treffen können. Sie verstehen jetzt vielleicht, wie man protestiert, das ist die Schule des Maidan. Sie können Menschenrechtsinitiativen aufbauen, mit Journalisten sprechen, ihre Rechte verteidigen, das ist eine große Wende. Aber sie verstehen nicht, wie sie mit der großen Politik verbunden sind. Die ist noch immer eine unabhängige Insel. Man sieht sie, versteht aber nicht, wie Menschen dorthin kommen."
Viel radikaler argumentiert Oksana Sabuschko, die weltgewandte, philosophisch geschulte Erzählerin der "Feldstudien über ukrainischen Sex". Auch sie ist davon überzeugt, dass die sowjetisch geprägte Unmündigkeit noch in vielen Köpfen sitzt. Vor allem aber sieht sie ihr Land in einem beispielhaften Kriegszustand.
"Die Menschen verstehen noch immer nicht, wie sie eine wichtige politische Wahl treffen können. Sie verstehen jetzt vielleicht, wie man protestiert, das ist die Schule des Maidan. Sie können Menschenrechtsinitiativen aufbauen, mit Journalisten sprechen, ihre Rechte verteidigen, das ist eine große Wende. Aber sie verstehen nicht, wie sie mit der großen Politik verbunden sind. Die ist noch immer eine unabhängige Insel. Man sieht sie, versteht aber nicht, wie Menschen dorthin kommen."
Viel radikaler argumentiert Oksana Sabuschko, die weltgewandte, philosophisch geschulte Erzählerin der "Feldstudien über ukrainischen Sex". Auch sie ist davon überzeugt, dass die sowjetisch geprägte Unmündigkeit noch in vielen Köpfen sitzt. Vor allem aber sieht sie ihr Land in einem beispielhaften Kriegszustand.
Der Einfluss des Kremls als Ursache vielen Übels
"In einem Krieg des 21. Jahrhunderts, der weniger auf die Bombardierung von Städten als vielmehr auf die Gehirne gerichtet ist, so dass die Menschen mit bombardierten Gehirnen dem Aggressor freiwillig die Schlüssel zu ihren Städten überreichen."
Oksana Sabuschkos aktueller Essayband heißt "Der lange Abschied von der Angst". Im Frühjahr 2014, als viele ostukrainische Städte von einer feindlichen Übernahme bedroht waren, glaubte Sabuschko, ihr Land würde zerfallen. Dass die Bürger diesem, wie sie sagt, geplanten Szenario widerstanden, bedeute einen Hoffnungsschimmer nicht nur für die Ukraine, sondern für die gesamte Zivilisation.
In der Ukraine, so die 58-jährige Sabuschko, gehe es nicht nur um die eigene Würde. Das Land kämpfe einen langen, schwierigen, unerlässlichen Krieg der Vernunft gegen einen neuen Totalitarismus, der an die totale Manipulierbarkeit von Gesellschaften glaubt. Dass die ukrainische Wirtschaft und das Fernsehen zum Großteil noch immer von Oligarchen kontrolliert werden, betrachtet Sabuschko als Metastasen des Krebses, dessen Krankheitsherd noch immer der Kreml sei.
Oksana Sabuschkos aktueller Essayband heißt "Der lange Abschied von der Angst". Im Frühjahr 2014, als viele ostukrainische Städte von einer feindlichen Übernahme bedroht waren, glaubte Sabuschko, ihr Land würde zerfallen. Dass die Bürger diesem, wie sie sagt, geplanten Szenario widerstanden, bedeute einen Hoffnungsschimmer nicht nur für die Ukraine, sondern für die gesamte Zivilisation.
In der Ukraine, so die 58-jährige Sabuschko, gehe es nicht nur um die eigene Würde. Das Land kämpfe einen langen, schwierigen, unerlässlichen Krieg der Vernunft gegen einen neuen Totalitarismus, der an die totale Manipulierbarkeit von Gesellschaften glaubt. Dass die ukrainische Wirtschaft und das Fernsehen zum Großteil noch immer von Oligarchen kontrolliert werden, betrachtet Sabuschko als Metastasen des Krebses, dessen Krankheitsherd noch immer der Kreml sei.