Es hätte ein fröhlicher Fußballabend werden können: 3:1 gewann im Stadion von Port Said der Verein Al Masri gegen den eigentlichen Topfavoriten Al Ahly – das wäre ungefähr so, als würde Werder Bremen 3:1 gegen Bayern München siegen. Doch als das Spiel abgepfiffen wurde, kam es zur Katastrophe: Fans der Heimmannschaft stürmten das Spielfeld, unter ihnen bewaffnete Schläger. Sie griffen gezielt Fans und Spieler der Ahly-Mannschaft an – mit Knüppeln und Messern. Die Sicherheitskräfte schauten mehr oder weniger tatenlos zu, die Ausgänge des Stadions waren Berichten zufolge verschlossen – so dass es für die Opfer kein Entkommen gab.
"Das war ein schrecklicher Tag – ich werde das nie vergessen", so Ägyptens Fußballstar Mohammed Abu Treika. "Zwei Menschen sind in der Kabine in meinen Armen gestorben."
74 Tote gab es an diesem Fußballabend, erschlagen, erstochen, totgetrampelt – der schwärzeste Tag in Ägyptens Fußballgeschichte. Tomek Kaczmarek, der damalige Co-Trainer der ägyptischen Nationalmannschaft:
"Dem Abu Treika ist wohl halt ein Kind in den Armen gestorben und die letzten Worte, die er gesagt hatte, waren halt: 'Käptn, ich wollte dich schon immer mal treffen.' Und dann macht der Junge wohl die Augen zu und stirbt. Und da sind halt Momente und Emotionen, die, glaube ich, einen nicht so schnell los lassen."
Schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte
Schnell wurde der Vorwurf laut, das Massaker von Port Said sei politisch motiviert und geplant gewesen. Wieso konnten Fans mit langen Messern ins Stadion gelangen? Warum griffen die Polizisten bei dem Blutbad nicht ein, sondern schauten einfach zu, wie auf Fernsehbildern zu sehen ist? Wer schaltete plötzlich das Flutlicht ab? Warum waren die Ausgänge des Stadions verschlossen? Für viele Ägypter war die Sache klar:
"Die Sicherheitskräfte sind von A bis Z verantwortlich für das Blutbad, so der Bruder eines der Opfer. Sie haben die Fans nicht geschützt, sondern zugeschaut. Die Angreifer waren keine Fans der gegnerischen Mannschaft, sondern gekaufte Schlägerbanden. Die Sicherheitskräfte sind verantwortlich für all das."
Der damalige ägyptische Sicherheitsapparat war eng mit dem Regime von Ex-Diktator Mubarak verbunden. Kritiker sind überzeugt: Das Blutbad in Port Said war eine Rache an den Ahly Fans - dafür, dass sich die Ultras genau ein Jahr zuvor bei der ägyptischen Revolution schützend vor die friedlichen Demonstranten gestellt hatten. Und dadurch letztlich den Rücktritt von Mubarak herbeiführten – so dieser politische Aktivist der Revolutionsbewegung.
"Die Ultras sind diejenigen, die den Platz richtig gegen Pro-Mubarak beschützt haben. Und die sind ein Grund, warum die Polizei zurückgegangen ist und auf dem Platz verloren hat. Und deshalb die Polizei findet Rache."
Weniger Leistung vor leeren Rängen
Die Ausschreitungen in Port Said haben den Fußball in Ägypten verändert. Denn als Konsequenz sind Fans von allen Fußballspielen ausgeschlossen – die Vereine spielen seit fünf Jahren vor leeren Rängen. Und das wirke sich massiv auf die Leistung der Spieler aus, sagt Abdel Hamid Farrag, Sportchef der Zeitung "Al Fagr":
"Es ist wie ein Theaterstück ohne Publikum. Die Fans sind für den Fußball die Grundlage des Sports. Und wenn die Fans nicht dabei sein dürfen, wird dem Sport seine Grundlage entzogen. Deshalb sind die Mannschaften immer schlechter geworden – bei drei afrikanischen Meisterschaften war Ägypten nicht vertreten."
"Es ist wie eine Hochzeit ohne Gäste, ergänzt Enas Mazhar, Fußballkommentatorin der Ahram Weekly. Keine Emotionen, kein Anfeuern, keine Show. Fußball ist so langweilig geworden. Aber jetzt wird alles anders – wenn wir den Afrika-Cup holen."
Es ist das erste Mal, dass die ägyptische Nationalmannschaft wieder Erfolg hat: Heute Abend steht Ägypten im Halbfinale gegen Burkina Faso – auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Blutbad von Port Said.
"Das heute wird die Wiedergeburt des ägyptischen Fußballs, innerhalb und außerhalb des Landes. Wir haben sieben Mal in der Vergangenheit den Afrika-Cup gewonnen, jetzt versuchen wir es ein achtes Mal – wir haben gute Chancen. Ägypten ist zurück."
Ein ganzes Land fiebert heute Abend mit, wenn die Nationalmannschaft antritt. Denn eines hat der Fußball in Ägypten der Politik voraus: Er schafft, auch die zu einen, die politisch unvereinbar zerstritten sind.