"Wir müssen raus ins Leben - da, wo´s laut ist, da, wo´s brodelt, da, wo´s manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt."
Dresden, 13. November 2009, kurz nach 18 Uhr, Totenstille in der überfüllten Messehalle. Jeder Platz ist besetzt. Sigmar Gabriel ist gerade dabei, Schlussfolgerungen aus einer historische Wahlniederlage zu ziehen.
"Wir müssen dahin, wo´s anstrengend ist, liebe Genossen, weil nur da, wo´s anstrengend ist, da ist das Leben."
Reden kann er. Mancher sieht die traditionsreiche Volkspartei damals vor dem Ende. Mit 23 Prozent ist die SPD gedemütigt worden. Abgestraft für parteiinterne Querelen, geprügelt für die Rente mit 67 – so ist sie aus der ersten Großen Koalition mit Angela Merkel herausgekommen, und ausgerechnet deren früherer Umweltminister soll sie nun wieder auf die Beine bringen.
"Es hilft nichts, Ihr müsst noch wählen."
Und wie sie ihn wählen. 94,2 Prozent der über 500 Delegierten stimmen für den Hoffnungsträger. Seit 1990 hat die SPD neun Parteivorsitzende verschlissen. Gabriel ist mit seinen fünf Jahren an der Spitze bald der dienstälteste SPD-Chef seit Willy Brandt, der 23 Jahre lang die Geschicke der Partei führte
"Sigmar Gabriel ist zu verdanken, dass er in einer ganz schwierigen Zeit, in der wir sehr sehr schlechte Wahlergebnisse gerade auf Bundesebene eingefahren haben, dass es ihm gelungen ist, die Partei zusammenzuhalten", lobt Christine Lambrecht, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion.
Die Zeit der wilden Flügelkämpfe ist vorbei
Tatsächlich ist es ruhig in der SPD. Wilde Flügelkämpfe hat es schon lange nicht mehr gegeben. Garantin des Erfolgs war auch Andrea Nahles. Als Generalsekretärin reformierte sie die SPD; die Mitglieder über die Große Koalition abstimmen zu lassen, war ein riskantes Experiment, am Ende ist es geglückt. Ludwig Stiegler, SPD-Urgestein aus Bayern, über den Höhenflug des Sigmar Gabriel
"Ein Parteivorsitzender regiert nicht mit Befehl und Gehorsam, sondern mit Überzeugung, und Sigmar Gabriel kann überzeugen."
Noch kann er. Aber wie lange noch? Auf die Rente mit 67 folgt eine mit 63, die SPD setzt den Mindestlohn durch, die Gewerkschaften sind wieder im Boot, aber in den Umfragen verharren die Sozis im 25-Prozent-Loch.
"Als Discount-SPD ist die SPD nicht zu haben, sondern Politikwechsel oder gar nichts."
Weiter aufwärts mit Sigmar Gabriel
Ralf Stegner, einer von Gabriels Stellvertretern hatte schon früh höchste Ansprüche gestellt. Am Wochenende wird er dabei sein, wenn sich in Magdeburg eine neue SPD-Linke formiert. "Hektische und unsouveräne Versuche, die Programmatik der SPD wieder nach rechts zu verschieben und damit eine vermeintliche Mitte anzusprechen, sind der falsche Weg!" heißt es im Gründungsaufruf. Das geht gegen Gabriel. Manchen gilt der Wirtschaftsminister inzwischen als zu unternehmerfreundlich. Die Vermögenssteuer hat er für tot erklärt, sich von Steuererhöhungen zu Lasten der Wohlhabenden verabschiedet - vorsichtig werden Fragen und Forderungen gestellt.
"Parteilinken ist ganz wichtig, dass wir finanzielle Spielräume haben, um gesellschaftliche Projekte voranzubringen. Und wir werden darüber diskutieren müssen in der Partei bis 2017, wie wir uns diese Spielräume schaffen."
Christine Lambrecht verweist auf 2017, dem Jahr der nächsten Wahl. Ein anderer Kanzlerkandidat als Gabriel ist nicht in Sicht. Auch keine realistische Machtoption, solange die Linkspartei als nicht koalitionsfähig gilt. Kaum vorstellbar, dass es immer weiter aufwärts geht – mit Sigmar Gabriel.