Jörg Münchenberg: Italien hat gewählt, aber das Endergebnis wird wegen des komplizierten Wahlrechts erst gegen Mittag vorliegen. Mittlerweile aber zeichnet sich ab, dass wohl keiner der drei Blöcke eine Mehrheit bekommen hat. Die Ausgangslage: Das Mitte-Rechts-Bündnis unter Silvio Berlusconi, der sich mit der rassistischen Lega zusammengetan hat, liegt laut Hochrechnungen auf Platz eins, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, die aber mit niemand koalieren will, auf Platz zwei, und Wahlverlierer, die Sozialdemokraten unter Ex-Regierungschef Matteo Renzi. – Am Telefon nun der Politologe und Italien-Fachmann Roman Maruhn. Herr Maruhn, einen schönen guten Morgen.
Roman Maruhn: Guten Morgen.
Münchenberg: Herr Maruhn, die bislang regierende Mitte-Links-Regierung unter Ministerpräsident Paolo Gentiloni ist abgestraft worden. Dabei wurde ja der doch eher unaufgeregte und pragmatische Regierungsstil von Gentiloni vielfach gelobt. Warum haben die Sozialdemokraten bei den Wählern trotzdem nicht punkten können, Ihrer Einschätzung nach?
Themen Migration und Einwanderung haben an Bedeutung gewonnen
Maruhn: Na ja, die Bilanz der Regierung insgesamt, auch seines Vorgängers Matteo Renzi, ist eigentlich ganz anständig. Das ist die Regierung, die Italien wirklich aus der schwersten Krise herausgeführt hat. Aber scheinbar eben doch nicht so mit einem breiten Erfolg, mit einem breiten Durchschlag bis in die unteren sozialen Schichten hinein.
Zweitens hat sich etwas über den Wahlkampf gelegt in den letzten Wochen des Wahlkampfs, womit eigentlich niemand gerechnet hat, dass das Thema Migration und Ausländer, Benachteiligung von Italienern, Bevorzugung von Einwanderern im Land auf einmal eine so große Bedeutung gewonnen hat, dass es den Parteien sehr leicht gefallen ist, die dagegen argumentieren, die gegen Einwanderung sind, auch gegen die Hilfsmissionen, die Italien im Mittelmeer durchführt, das scheinbar in Stimmen umzusetzen. Davon hat ganz massiv die Lega, die Lega Nord unter Salvini profitiert, die ganz Rechtsaußen Parteien, die neofaschistischen Parteien ganz Rechtsaußen weniger, aber scheinbar auch Movimento 5 Stelle hat da eine etwas rigidere Einstellung gegenüber und das hat sich scheinbar auch in den Wählerstimmen niedergeschlagen. Das war ein ganz großes Thema.
Münchenberg: Sie haben die Lega angesprochen, die ja zusammengegangen ist, mit der Forza Italia ein Bündnis geschlossen hat. Da steht ja Silvio Berlusconi an der Spitze. Da muss man schon sagen, da reiben sich doch viele verdutzt die Augen: ein 81-Jähriger, verurteilt wegen Steuerbetrug, er stand auch wegen eines Sexskandals um eine Minderjährige vor Gericht, hat Italien abgewirtschaftet, so die Kritiker. Wie schafft es so ein Mann zurück ins politische Geschäft? Oder anders gefragt: Schätzen die Italiener am Ende mehr den Skandal und die Show als die vielleicht langweilige Seriosität?
Maruhn: Wenn man jetzt wirklich Silvio Berlusconi in dieser Wahl als einen Wahlsieger betrachtet, was er nicht ist, dann muss man einfach sagen, da wird ein gutes Angebot gemacht von Silvio Berlusconi. Er hat vieles angekündigt. Er hat auch angekündigt, dass Schwarzbauten unter Umständen sehr schnell legalisiert werden könnten. Er hat eine Flat Tax angekündigt, über deren Umsetzung und Gegenfinanzierung er natürlich nichts gesagt hat. Das war einfach ein gutes Angebot, was er auf den Tisch gelegt hat, und viele Italiener sagen, bevor man groß jetzt die nationalen Schulden abbaut, nehme ich doch einen persönlichen Vorteil.
Und dann ist es einfach so: Er hat nicht gewonnen. Ich denke, das war eine große Wahlniederlage auch für Silvio Berlusconi und Forza Italia. Er ist fünf Prozentpunkte hinter der Lega. Ursprünglich hat man die Forza Italia innerhalb dieses Mitte-Rechts-Bündnisses vorne auf gesehen. Jetzt liegt sie fünf Prozentpunkte hinterher. Selbst wenn es für ein Rechtsbündnis gereicht hätte, wäre sicherlich nicht Silvio Berlusconis Strohmann Tajani Ministerpräsident geworden, sondern das wäre Matteo Salvini geworden. Aber es reicht für dieses Rechtsbündnis nicht. Ich denke, dass jetzt man mit dieser Wahlniederlage auf alle Fälle für Silvio Berlusconi sagen kann, dass diese politische Karriere jetzt dann tatsächlich langsam zum Ende kommt.
Fünf-Sterne-Bewegung "zeigt auch ein bisschen Bremsspuren"
Münchenberg: Aber dass Berlusconi jetzt doch überraschend so schlecht abgeschnitten hat, liegt das daran, dass die Forza Italia im Vergleich zu den anderen populistischen Parteien oder den Rechtsparteien zu moderat aufgetreten ist?
Maruhn: Vermutlich. Ich denke mal, er hat auch ähnliche Sachen gesagt, die Salvini gesagt hat, aber nicht in der Schärfe und nicht in der Klarheit, und dann wurde wahrscheinlich Forza Italia auch nie als so durchsetzungsfähig und stark wahrgenommen, auch in den vergangenen Regierungen. Die Bilanzen der Regierungen, an denen Berlusconi beteiligt war, in Sachen Reformen, in Sachen greifbaren politischen fortschritten, die waren immer sehr mager, weil sehr viel auf den Interessensausgleich der Koalitionspartner bedacht war. Die Lega Nord hat es einfach geschafft, oder beziehungsweise Lega, den Sprung in das ganze Italien von einer ursprünglichen Regionalpartei zu schaffen, und diese Themen der Frage der Ausländer, der Einwanderer, der sozialen Fragen, der Italiener an sich auch in ganz starker Abgrenzung zu Migranten am besten zu artikulieren.
Münchenberg: Herr Maruhn, lassen Sie uns mal auf den Dritten im Bunde schauen, die Fünf-Sterne-Bewegung. Die steht ja zum Beispiel jetzt in Rom sehr stark unter Kritik. Der Bürgermeisterin Virginia Raggi werden äußerst schlechte Noten verteilt. Warum hat das alles die Wähler trotzdem nicht beeindruckt, denn die Fünf-Sterne-Bewegung ist ja, wenn man die Einzelparteien betrachtet, Wahlsieger?
Maruhn: Ja! Wir haben einen weiteren Erfolgsweg des Movimento 5 Stelle, obwohl er eigentlich ein bisschen diesen Mythos, dass er von außen kommt, dass er nichts mit Parteien zu tun hat, dass er eine Bewegung ist und keine Partei, eigentlich verliert. Die Bewegung zeigt auch ein bisschen Bremsspuren. Nichts desto trotz hat Movimento 5 Stelle es hervorragend geschafft, zum Beispiel ganz stark im Süden aufzusteigen, dort stärkste Partei zu werden. Das ist eine Entwicklung, die haben wir aber auch wirklich schon seit 2012. 2012 ist Movimento 5 Stelle in Sizilien schon stärkste Partei geworden. Das ließ sich ein bisschen hochrechnen, dass es in diesem großen Maß jetzt zum Erfolg führt. 30,9, 31 Prozent vermutlich in der Abgeordnetenkammer. Das ist sicherlich auch noch eine weitere große Überraschung dieser Wahlen und ich denke, dass da auch der Staatspräsident nicht darum kommen wird, mit dieser Partei bei der Frage einer Regierungsbildung ganz zuerst sprechen zu müssen.
"Ich denke, der Präsident hat jetzt ganz schwere Arbeit zu tun"
Münchenberg: Herr Maruhn, ganz kurz. Ihre Prognose? Schwierige Ausgangslage, keine klaren Wahlsieger. Wie wird es ausgehen? Neuwahlen, oder wird sich ein Bündnis finden?
Maruhn: Italienische Kommentatoren haben auch gesagt, die erste große Probe ist Ende Monats die Wahl der Präsidenten der beiden Kammern. Dort könnten bereits flexible Mehrheiten zwischen Movimento 5 Stelle und zum Beispiel Lega Interessensausgleiche finden und sich vielleicht gegenseitig dort die Präsidenten zuschanzen. Unter Umständen ist da eine Koalition möglich. Ich denke, der Präsident hat jetzt ganz schwere Arbeit zu tun.
Münchenberg: Der Politologe und Italien-Kenner Roman Maruhn. Herr Maruhn, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Maruhn: Gerne!
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