"Seit zehn Jahren bin ich in Afghanistan - ein Krieg, der länger geht als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen. Ich werde solange darüber berichten, bis dieser Krieg zu Ende ist. Und das ist die Aufgabe. Ich kann doch nicht sagen: puh, Afghanistan, jetzt reicht es mir aber, jetzt mache ich was Neues. Ich bleibe eigentlich immer bei der Geschichte, bis sie zu Ende ist. Und selbst wenn die Truppen abziehen, ist die Geschichte nicht zu Ende. Das ist mein Leben, ich kann gar nichts anderes. Ich glaube, ich würde das machen, bis ich nicht mehr laufen kann."
Anja Niedringhaus wurde erschossen - mit 48 Jahren. Sie war am 4. April 2014 in Afghanistan unterwegs, um über die Präsidentschaftswahl zu berichten. Die Kamera, die die Reporterin umhängen hatte, als sie erschossen wurde, ist in einer Ausstellung im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum zu sehen. Direkt daneben die letzten Bilder, die auf dem Chip waren: Soldaten, die sie freundlich anlächeln. Und sie sind typisch für die bekannte Reporterin von Associated Press.
Verständigung auch ohne Dolmetscher
Niedringhaus hatte ein Händchen für Details, besondere Momente und skurrile Situationen im Kriegsgeschehen: ein afghanischer Soldat, der sich in Badeschlappen mit einem Make-Up-Spiegel rasiert. Oder ein irakisches Kind, das sich mit ängstlichem Blick die Ohren zuhält, als ein US-Soldat an ihm vorbei auf Patrouille geht. Sonya Winterberg, Kollegin und Kuratorin der Ausstellung, erinnert sich an die offene und engagierte Ausstrahlung von Anja Niedringhaus.
"Ich glaube, diese Offenheit hat es ihr ermöglicht, auch zum Beispiel mit Menschen in Kontakt zu treten, deren Sprache sie nicht sprach. Und das war ja was, was sie im Irak brauchte, in Afghanistan. Wenn mal kein Dolmetscher in der Nähe ist, den anderen um Einverständnis im Blick zu fragen: Darf ich dich fotografieren? In einer Situation, die vielleicht sehr verletzlich ist oder sehr sensibel. Und das hat sie gut verstanden."
Jede Recherche gut geplant
Ihre Bilder gingen um die Welt, oft ohne ihren Namen, nur mit dem Kürzel der Agentur: AP. Die Fotos füllten Doppelseiten von internationalen Tageszeitungen wie der "New York Times" genauso wie beim deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Anja Niedringhaus war oft ganz nah dran am Kriegsgeschehen und konnte Emotionen gut im Bild einfangen. Nicht nur beim Truppeneinsatz im Irak, sondern auch im Alltag von Frauen und Kindern im Krieg in Afghanistan. Ein Junge, der einen Drachen steigen lässt, gehört genauso dazu wie ein Bild von einem Panzer in unmittelbarer Nähe zu spielenden Kindern am Wasser. Fotografien, die eigene Geschichten erzählen und zum Frieden mahnen. Dabei war sie keine Draufgängerin, bestätigen Kolleginnen und Kollegen, sondern ging stets sehr umsichtig und geplant vor.
"Sie musste sich durchsetzen gegen ihre männlichen Kollegen"
Die Journalistin Sonya Winterberg, die mit Anja Niedringhaus auch befreundet war: "Also ich glaube, sie war auf jeden Fall eine mutige Frau, sie war couragiert. Das muss man glaube ich auch sein in diesem Beruf. Wir haben heute 15 Prozent Frauen im Fotojournalismus. Das waren früher noch weniger, also da waren wir eher, in der Zeit, in der sie angefangen hat, so bei um die 5 Prozent. Sie musste sich durchsetzen gegen ihre männlichen Kollegen. Sie musste natürlich auch bestehen. Sie sagte immer wieder: I'm not a pussy. I'm not a sissy'. Also sie hat immer wieder gesagt: Ich bin nicht feige. Mir kann keiner was vormachen."
Außerdem hatte sie technisches Geschick: "Um Bilder übertragen zu können, hatte sie immer einen Korkenzieher und ein Taschenmesser dabei, um praktisch die Telefonleitungen so manipulieren zu können, dass sie die dann auch zur Datenübertragung nutzen konnte."
Die Bilder von Anja Niedringhaus sind scharf, exakt und strahlen eine starke Präsenz aus. Damit erfüllt sie genau die Anforderungen des aktuellen Fotojournalismus. Jedes Bild zieht den Betrachter sofort in den Bann und gibt ihm oder ihr das Gefühl, mit in der fotografierten Szene zu sein. Ein Beispiel: eine Frau, die in Sarajewo über die Straße in gehockter Haltung zum Einkaufen geht, weil sie sich vor Scharfschützen fürchtet.
Sportfotografie, um nicht abzustumpfen
Auch bei den Sportfotografien, die sie von Olympiaden oder Wimbledon machte, dokumentiert Anja Niedringhaus spannende Momente mit der Kamera. Im Sport fand sie Abstand zum Krieg, denn sie wollte nicht abstumpfen.
Als Fotojournalisin lockten die Ereignisse sie dorthin, wo sie Zeitzeugin sein konnte. Ihre Mission waren aber eindeutig die Fotoreportagen für den Frieden, wie sie es nannte. Fast ein Vierteljahrhundert lang wurde die gebürtige Ostwestfälin nicht müde, der Welt zu zeigen, was an den Kriegsschauplätzen vor sich geht - vom Balkan bis nach Afghanistan: "Ich habe die Aufgabe, darüber zu berichten und dann zu hoffen, dass sich was ändert."
Noch einen Tag vor ihrem Tod war ein Foto von ihr auf der ersten Seite der internationalen Ausgabe der "New York Times". Am Tag danach wurde sie selbst zum Aufmacher.