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"Fünftes Rad am Wagen"

2009 war kein gutes Jahr für die Lehrerschaft, sagt Ludwig Eckinger. Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer habe einen viel zu geringen Stellenwert an den Hochschulen. Sie werde "sozusagen nebenbei erledigt".

Ludwig Eckinger im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Deutschland braucht Lehrer, mehr qualifizierte Lehrer. Dieser Ruf erfolgte auch in diesem Jahr wieder bundesweit. Zu hören waren aber auch enttäuschte Lehramtsabsolventen, die keine Anstellung bekommen hatten oder nur kurzzeitige Verträge, oder auch Quereinsteiger, die nicht immer mit gleich offenen Armen an Schulen aufgenommen wurden. Viel Diskussion gab es auch um Anwerbekampagnen für Lehrer, mit denen sich die Bundesländer die gesuchten Kräfte nun gegenseitig abspenstig machen wollen. Ludwig Eckinger hat als Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, der zweitgrößten Bildungsgewerkschaft in Deutschland, 16 Jahre lang das Geschehen rund um die Lehrerschaft verfolgt, schließlich war er selbst einer. Seit dem Frühsommer nun ist er aber im Ruhestand, kann die Dinge mit etwas Abstand betrachten. Guten Tag, Herr Eckinger!

    Ludwig Eckinger: Guten Tag, Frau Maleike!

    Maleike: Was sagen Sie denn, was war 2009 für den Lehrerstand in Deutschland für ein Jahr?

    Eckinger: Also, ich denke, es war letzten Endes kein gutes Jahr, denn es wird über die Statusverbesserung der Lehrerinnen und Lehrer nur geredet und wirklich etwas geschehen ist eigentlich nicht.

    Maleike: Warum ist das denn eigentlich so?

    Eckinger: Also, ich denke, das geht schon zurück auf das Studium an den Universitäten, dort hat die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer einen viel zu geringen Stellenwert, es wird sozusagen nebenbei erledigt, sie ist fünftes Rad am Wagen und das ist wirklich ein Skandal.

    Maleike: Das schreit ja eigentlich danach, dass man vielleicht über neue Modelle sich Gedanken machen muss. Die Kultusministerkonferenz hat das versprochen, dass sie sich mit der Lehrerbildung beschäftigen wird. Was denken Sie denn, was wäre der beste Weg für die Lehrerbildung in Deutschland?

    Eckinger: Zunächst einmal ist völlig unstrittig, dass sie an den Universitäten stattfinden muss. Die Teillösung in Baden-Württemberg ist bestimmt kein Modell, wo also eine ganze Reihe von Lehrergruppen noch an den pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden. Aber die Universitäten selbst müssen viel mehr dazu beitragen, dass die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Profession ernst genommen werden, das heißt, dass die eigentlichen Wissenschaften, die im Lehrerberuf dann eine Bedeutung haben, auch an den Universitäten schon zur Geltung kommen, sprich, die Pädagogik, die Didaktik, die Methodik.

    Maleike: Aber es gibt doch jetzt wahnsinnig viele Studien zu diesem Thema, es gibt unendlich viele Vorschläge, wie man es machen kann. Warum tut sich nichts?

    Eckinger: Ja, es gibt ganz viele und mein Verband hat auch ganz viel dazu beigetragen, dass es Modelle gibt, aber das Problem ist nach wie vor, dass die Kultusministerkonferenz zwar Beschlüsse fassen kann, aber dann in die Länder geht, die Kultusminister fahren heim und zu Hause wird es dann nicht erledigt. Die Universitäten unterlaufen teilweise Beschlüsse, das heißt also, wenn es noch so gute theoretische Modelle gibt, es mangelt an der Umsetzung. Und da sehe ich ein Riesenproblem auch in der Autonomie der Universitäten, dass die sozusagen machen können, was sie wollen.

    Maleike: Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass der Lehrermangel oder die Lehrermisere, sagen wir es vielleicht mal so, eigentlich auch durch den Bildungsföderalismus gefördert, bedingt ist?

    Eckinger: So ist es. Ich habe das immer befürchtet und das ist jetzt in vollem Maße eingetreten, dass dieses Gerangel um Kompetenzen neue Blüten treibt und es ist zwar jetzt erkannt, selbst von der Bundeskanzlerin, dass das ein großer Fehler war, die Föderalismusreform in dieser Form umzusetzen, aber wir haben sie nun mal und Bund und Länder müssen betteln, dass sie zusammenarbeiten können. Es ist ganz, ganz schwierig, hier einen Konsens zu erzielen, die soziale Disparität, die bei den Schülern gemessen wurde, ist jetzt auch noch vorhanden zwischen den Bundesländern. Wir haben hier selbst dazu beigetragen, das heißt, die Politik, wir natürlich nicht, dass es jetzt so ist, dass es arme und reiche Länder auch in Sachen Bildung gibt.

    Maleike: Lehrerbelastung ist auch ein großes Thema, sie müssen vieles auffangen, was in Elternhäusern nicht geleistet wird. Gleichzeitig wird aber gern immer das Hohelied der individuellen Förderung gesungen, das aber auch eine intensive Betreuung bedeutet. Muss man da nicht angesichts der knappen Ressourcen ehrlicherweise auch die Ziele ein bisschen zurückfahren?

    Eckinger: Ich denke schon, also, man muss einfach sehen, dass die Schule, so wie sie konzipiert ist, selbst wenn sie Ganztagsschule ist, das Elternhaus nicht ersetzen kann. Sie kann ergänzend wirken und darum plädiere ich natürlich dafür, dass wir sehr eng zusammenarbeiten müssen mit den Eltern oder den Ersatzeltern, wie auch immer, aber es wird ein Riesenproblem sein, die Erziehung zu ersetzen. Das heißt aber nicht, dass Schulen nicht auch erziehen müssen, aber wir müssen noch viel mehr darauf setzen, dass die erste Erziehungsinstitution, nämlich die Familie, einen größeren Stellenwert bekommt und die Schule nur ergänzt.

    Maleike: 2010 steht an, was wünschen Sie sich für dieses Jahr für die Lehrer in Deutschland?

    Eckinger: Ich wünsche mir, dass die Profession, die jetzt endlich in den Blick gekommen ist, der Pädagoginnen und Pädagogen noch mehr beachtet wird und damit einhergehend eigentlich dieser Unsinn der Föderalismusreform mehr oder weniger aufgelöst werden kann, denn in der Zwischenzeit haben alle erkannt, dass es den Leuten draußen und damit auch den Wählerinnen und Wählern egal ist, wer zuständig ist. Sie wollen gute Kindergärten, sie wollen gute Schulen und sie wollen gute Lehrerinnen und Lehrer. Und dafür müssen wir wirklich sorgen und dafür ist vielleicht der Anfang des neuen Jahrzehnts ein Einstieg.

    Maleike: Ein Lagebericht zur Situation der Lehrerschaft in Deutschland war das von Ludwig Eckinger, dem pensionierten Bundesvorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung.