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"Für den Klimaschutz steht weniger Geld zur Verfügung"

Angesichts der internationalen Wirtschaftskrise liegt der Emissionshandel brach. Christoph Bals von Germanwatch befürchtet nun, dass deshalb weltweit vermehrt Investitionen in neue Kohlekraftwerke getätigt werden, die dann "die notwendigen Klimaziele torpedieren".

Susanne Kuhlmann sprach mit Christoph Bals |
    Susanne Kuhlmann: Es kriselt in Europa – nicht nur bei den Finanzen, sondern auch im Emissionshandel, der seit 2005 den Ausstoß von Schadstoffen eindämmen soll und Kern der europäischen Klima- und Energiepolitik ist. Die Preise sind aber auf Rekordtiefststände gefallen und Emissionszertifikate bleiben massenhaft ungenutzt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger verlangt nun, dass das System des Zertifikatehandels so schnell wie möglich reformiert wird – ein Hauptthema auch beim informellen Treffen der EU-Umweltminister in Dänemark. – Am Telefon begrüße ich Christoph Bals aus der Geschäftsführung der Umweltorganisation Germanwatch. Guten Tag, Herr Bals.

    Christoph Bals: Ich grüße Sie, Frau Kuhlmann.

    Kuhlmann: Wenn sich wie im Moment kaum ein Industrieunternehmen oder ein Kraftwerksbetreiber für diese Emissionszertifikate interessiert, was heißt das für den Klimaschutz?

    Bals: Die Preise für die Zertifikate sind so in den Keller gefallen, dass keinerlei Anreize für Investitionen im Moment mehr davon ausgehen. Für den Klimaschutz bedeutet das, jetzt werden möglicherweise Investitionen getätigt, zum Beispiel neue Kohlekraftwerke oder klimaschädliche Industriestrukturen aufgebaut, die uns dann Jahrzehnte für die Klimapolitik im Wege stehen und die notwendigen Klimaziele torpedieren. Zugleich bedeutet das, dass für viele EU-Staaten, die im Moment in der Rezession stecken oder hineinschlittern, nicht die notwendigen Investitionssignale vom Emissionshandel ausgehen, und für die Wirtschaft heißt das, es fehlen die klaren Rahmenbedingungen, die sie bräuchte - das Hickhack in der Energiepolitik geht weiter.

    Kuhlmann: Die Brüsseler Klimaschutzkommissarin Hedegaard und das EU-Parlament drängen ja seit Längerem auf eine Reform des Emissionshandels und wollen entweder einen Teil der Zertifikate aus dem Markt nehmen, oder die angepeilten Klimaschutzziele verschärfen. Ist einer dieser Wege der richtige?

    Bals: Wir brauchen ganz klar eine Anhebung der EU-Klimaziele für 2020 von 20 auf 30 Prozent. Das notwendige Preissignal kann nicht dadurch generiert werden, wenn Zertifikate nur vorübergehend aus dem Markt genommen werden. Das könnte allenfalls ein Zwischenschritt auf dem Weg der Zielerhöhung sein. Wir brauchen dann als nächsten Schritt die Ziele für 2030 in angemessener Höhe, da viele Investitionen in Kraftwerke, Flugzeuge, Gebäude zum Beispiel einen Abschreibungszeitraum haben, der weit über 2020 hinausgeht, und das deswegen notwendig ist, um sie in die Investitionen mit einpreisen zu können.

    Kuhlmann: Bisher wurden diese Zertifikate ja überwiegend verschenkt. Aber ab dem kommenden Jahr sollen sie verkauft und damit auch als Einnahmequellen für Staaten relevant werden. In Deutschland könnten die Einnahmen zum Beispiel helfen, die Energiewende zu finanzieren. Stabilisieren sich die Preise an der CO2-Börse bis dahin aber nicht, steht dafür ja viel weniger Geld zur Verfügung als kalkuliert. Mit welchen Auswirkungen?

    Bals: Ein Kernbereich der Energiewende ist die Energieeffizienz. Die Anreize dafür sollen maßgeblich aus dem Versteigerungserlösen des Emissionshandels finanziert werden. Dafür steht dann dementsprechend weniger Geld zur Verfügung. Aber auch für den internationalen Klimaschutz steht dementsprechend weniger Geld zur Verfügung. Ich war gestern im Auswärtigen Amt in Deutschland, die beraten die ganzen Schwellenländer, China, Indien, Brasilien, Südafrika, dabei, wie sie ihre Energietransformation im Klimabereich voranbringen können. Da sind die Gelder dafür schon um die Hälfte gestrichen worden, weil die CO2-Preise jetzt so in den Keller gerutscht sind.

    Kuhlmann: In Deutschland läuft die Wirtschaft zurzeit gut, aber der Rest Europas schwächelt. Brauchen wir ein Zertifikatesystem, das flexibel auf die wirtschaftliche Entwicklung reagieren kann?

    Bals: Wir bräuchten vor allem, dass die Ziele langfristig festgelegt werden. Wenn wir jetzt schon die Ziele festgelegt hätten, die sich die EU eigentlich gesetzt hat, dass der CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zurückgehen soll, damit ein Temperaturanstieg von mehr als zwei Grad vermieden werden kann, wenn das rechtlich verbindlich festgelegt wäre und im Emissionshandel von daher mit eingepreist wäre, hätten wir kaum Schwankungen in den CO2-Preisen, obwohl wir derzeit diese Wirtschaftskrise haben und deswegen weniger Zertifikate gebraucht werden. Das heißt, die langfristige Festlegung von verbindlichen Zielen ist das, was wir hier in allererster Linie brauchen.

    Kuhlmann: Wie lässt sich der Zusammenbruch des Emissionshandels abwenden? Die Einschätzungen von Germanwatch erläuterte Christoph Bals aus der Geschäftsführung der Umweltorganisation. Ihnen danke schön nach Bonn.

    Bals: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.