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Für Deutsche unnachahmlich

"Für Deutsche unnachahmlich" – so komisch-verzweifelt, so ironisch-bewundernd bezeichnete der Plastiker Gerhard Marcks, Hausheiliger des Bremer Bildhauer-Museums, die französische Skulptur, anlässlich des Besuchs einer Maillol-Ausstellung im Jahre 1928 in Berlin. Marcks war Preuße, doch mit einem weltoffenen, internationalen Blick. Mit seiner Klage spielte er natürlich gerade auf die traditionelle Vorbildfunktion Frankreichs für die deutsche Kunst an. Nach Paris, in die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, zu wallfahrten, das gehörte sich – auch im 20. Jahrhundert – einfach für jeden deutschen Künstler, der etwas auf sich hielt. In einer knappen, pointierten Auswahl wird es nun – erstmals mit einem so klaren Fokus – möglich, plastische Charakteristika zu vergleichen, d.h. Vorurteile zu revidieren oder auch zu pflegen. In Paaren und kleinen Gruppen einander gegenübergestellt: Lauter Menschenbilder, einmal aus französisch-sinnlicher, dann aus preußisch-strenger Perspektive. Natürlich sind zunächst die üblichen Verdächtigen anwesend: Neben Gerhard Marcks u. a. die deutschen Bildhauer Otto Scheibe und Georg Kolbe, Bernhard Hoetger und Wilhelm Lehmbruck. Konfrontiert werden sie mit so berühmten Franzosen wie Auguste Rodin, Aristide Maillol und Emile Bourdelle.

Von Rainer B. Schossig |
    Und sogleich wird das Ungleichgewicht des ästhetischen Gefälles sichtbar: Ein merkwürdiges Phänomen, just in einer Zeit, da beide Nationen sich alles andere als freundschaftlich gegenüber standen. Nicht einmal zwei blutige Weltkriege konnten deutsche Bildhauer davon abhalten, sich nach Paris zu orientieren. Gute Küche und guten Geschmack, gehobene Lebensart und Eleganz suchten Deutsche eben immer schon bei den südwestlichen Nachbarn, diese jedoch keineswegs bei den alemannischen Boches. Und die französischen Bildhauer schauten keineswegs so interessiert über den Rhein zu uns herüber, wie dies die Deutschen in Richtung Frankreich immer taten.

    Doch den Deutschen blieb nicht nur der einseitig-neidische Blick der barbarischen Nachahmer, im Gegenteil. Ein Mann wie Barlach wandte sich programmatisch nach Osten, suchte und fand in Russland seine erdverbundenen, sich gegen den Wind stemmenden Urgestalten. Und dennoch bleibt sichtbar, dass auch er zuvor seinen Stil am Vorbild der westlichen Nachbarn schärfte. Lehmbruck oder Kolbe besuchten natürlich Paris, aber auch ihre Skulpturen sind alles andere als verspielt oder mondän sondern erdig-ernst, streng und verschlossen. Ganz und gar abtrünnig wird der Bildhauer und Architekt Bernhard Hoetger, der mit seinen Bildwerken Worpswede und die Bremer Böttcherstraße möblierte, nachdem er lange in Paris gelebt und gearbeitet hatte. Sein Verrat am Französischen geht allerdings deutlich nach hinten los: Abgründe klaffen zwischen der freiheitlichen, zugleich elegisch-erwachenden Geste jenes idealen Bronze-Mannes, der Rodins "Ehernes Zeitalter" verkörpert, und Bernhard Hoetgers martialisch marschierendem Soldaten von 1912, der da nackt und stumpfsinnig mit leerem Blick ins Nichts fortschreitet, direkt in die Hohlheit des aufgeblasenen Thorax, wie ihn wenig später die Ästhetik der NS-Bildhauer pflegte.

    Dennoch zeigt die Bremer Schau paradigmatisch, dass deutsche Bildhauer im Wettstreit mit Frankreich nur eine Chance hatten, die Flucht in die Hässlichkeit, sprich: in den harten Realismus, in die demonstrative Erdverbundenheit. Nur wer – wie Lehmbruck oder Barlach an solchem Wirklichkeitssinn festhielt, vermied das Plagiat, dem Kolbe etwa sich immer wieder gefährlich näherte. Eigene Ausdrucksmöglichkeiten bleiben den Deutsachen genug, ohne in gekneteter Blut- und Boden-Kunst zu versacken. Eine solche – selten gezeigte – eigenartig-deutsche und zugleich ganz originelle Position markiert z.B. die wenig bekannte ostpreußische Bildhauerin Anna Kuschinski, die einzige Frau in der Bremer Männer-Riege: Ihre Plastik einer "Hockenden" ist so anrührend, weil sie eben mitnichten an französische Sinnlichkeit erinnert, eher an eine deutsche Erdkröte. Mit der welschen Eleganz gallischer Nymphen hat sie nichts, aber auch gar nichts am Hut; in ihrer stillen, bronzenen Poesie mutet sie an wie ein unwirklich-traumhaftes Märchen-Wesen aus einer anderen Welt. Vielleicht hätten die französischen Bildhauer ja doch gelegentlich ihrerseits mal über den Rhein schauen sollen…