Archiv


Für die FDP ist die "schreckliche Alternative eigentlich auch die bessere"

Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), Justizminister unter Helmut Kohl, sieht in dem Wahldesaster eine Möglichkeit für seine Partei, Farbe und Kontur zurückzugewinnen. Denn in einer Neuauflage von Schwarz-Gelb "wäre sie völlig zerrieben worden".

Edzard Schmidt-Jortzig im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Edzard Schmidt-Jortzig, ehemaliger FDP-Bundesjustizminister
    Edzard Schmidt-Jortzig, ehemaliger FDP-Bundesjustizminister (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Bündnis-Grünen fangen gerade damit an, sich komplett neu aufzustellen, sowohl inhaltlich als auch personell. Das ist unvermeidlich nach dem Wahldebakel vom Sonntag und den Rücktritten des gestrigen Tages. Parteichefin Claudia Roth tritt ab, ebenso wie die beiden Fraktionsvorsitzenden Künast und Trittin. Nun ist die spannende Frage, wer wird ihnen nachfolgen, in welche Richtung werden sich die Grünen bewegen, werden sie sich öffnen für schwarz-grüne Bündnisse oder sich vielmehr davon distanzieren. Kaum weniger in Schwierigkeiten: die Sozialdemokraten. Die Zahl derer, die es für gar keine gute Idee halten, erneut in eine Große Koalition mit der CDU zu gehen, sie scheint zu wachsen. Immer öfter jedenfalls ist die Forderung nach einer Mitgliederbefragung zu hören.

    Dass die Opposition ein kleiner überschaubarer Haufen wäre, sollte es zu einer Großen Koalition kommen, das ist bekannt. Doch diese Tatsache hätte konkrete Folgen. Die Abgeordneten von Linken und Grünen wären allein von der Anzahl her so schwach, dass sie nicht einmal einen Untersuchungsausschuss durchsetzen könnten.
    Darüber wollen wir sprechen mit Edzard Schmidt-Jortzig von der FDP, ehemaliger Bundesjustizminister. Schönen guten Tag!

    Edzard Schmidt-Jortzig: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Schmidt-Jortzig, Wolfgang Bosbach sagt, dass die Opposition so schwach sei, sei nicht die Schuld der Parlamentsmehrheit. Zeigt sich da bereits die Arroganz der Macht?

    Schmidt-Jortzig: Nein. Systematisch hat er natürlich auch recht. Es muss nur das System, was in der Verfassung, in der Geschäftsordnung, in den einfachen Gesetzen für das parlamentarisch-demokratische Regierungssystem angelegt ist, vorbereitet sein für solche Konstellationen, bei denen mit den bisherigen Erfahrungen dort richtige Opposition (und Opposition gehört nun mal zur parlamentarischen Regierungssystematik) nicht möglich ist. Also da muss man in der Tat dann – und da wäre ich auch nicht ganz pessimistisch, dass sich da auch die Abgeordneten der Großen Koalition, so sie denn zustande kommt, der Sache; da wäre ich ganz optimistisch, dass sie der sich auch widmen würden -, da muss man in der Tat dann das Rechtssystem ändern. Und das geht in den Hauptdingen – Sie haben es ja angeführt in dem Beitrag vorweg -, Untersuchungsausschuss, Bundestagsanrufung, abstrakte Normenkontrolle etc., nur über eine Änderung der Verfassung.

    Heckmann: Und die ist im Moment jedenfalls noch nicht absehbar, jedenfalls nicht nach dem, was man so zum Beispiel von einem Wolfgang Bosbach hört. Was macht Sie denn so optimistisch, dass die großen Fraktionen da doch gesprächsbereit sind?

    Schmidt-Jortzig: Es lässt sich ja, genauso wie jetzt immer von der Union gegenüber den Sozialdemokraten argumentiert wird, wenn es um das Verlocken zu einer Großen Koalition geht, mit der gesamtstaatlichen Verantwortung argumentieren, denn wenn man das Gesamtsystem sich anschaut, ist es eben von Bedeutung, dass eine wichtige Stimme in der Opposition auch ist und die nicht völlig chancen- und rechtlos da ist. Und ich glaube, da kann man, vielleicht gerade auch, wenn in der großen Mehrheit bei den Abstimmungen im Grunde nicht so viel passieren kann, da kann man eigentlich sich nicht ganz verschließen.

    Heckmann: Herr Schmidt-Jortzig, die Opposition könnte nach derzeitigem Stand, jedenfalls wenn es zu einer Großen Koalition kommt, nicht einmal einen Untersuchungsausschuss durchsetzen, auch nicht das Verfassungsgericht in Karlsruhe anrufen oder den EuGH. Wie fatal wäre das für ein Parlament, das die Regierung ja kontrollieren soll, wenn es denn dabei bleibt?

    Schmidt-Jortzig: Ja, das ist in der Tat, obwohl sich das parlamentarische Regierungssystem oder überhaupt unsere Organisation von Demokratie in Deutschland nicht nur auf die förmlichen Dinge beschränkt, die im Bundestag ablaufen. Die Öffentlichkeitsfunktion des Ganzen ist ja doch eine beachtliche Kraft und auch das, was über die Medien dann verbreitet wird, und ich kann mir schon vorstellen, dass auch das jetzige System oder überhaupt unser Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile so stabilisiert ist, dass mindestens eine Legislaturperiode (und niemand weiß ja auch, ob die wirklich jetzt vier Jahre dauern wird, wenn denn die Große Koalition zustande kommt), dass die das überdauern könnte, weil über die anderen Kanäle, die nicht im Parlament förmlich ablaufen, die Öffentlichkeit doch hinreichend mitbekommt, was dort abläuft. Und da hat natürlich die Opposition über ihre Möglichkeiten, die Dinge einfach zur Sprache zu bringen, Tagesordnungspunkte aufzusetzen – das sind ja in der Geschäftsordnung meistens Dinge, die auf die Fraktionsstärke abheben -, da haben die in der Tat ja Möglichkeiten, das dann auch stark zu machen.

    Heckmann: Abgesehen von den parlamentarischen Rechten, über die wir gerade gesprochen haben, was würde es denn für die politische Kultur in Deutschland bedeuten, wenn eine derart starke Große Koalition einer derart schwachen Opposition gegenüberstünde?

    Schmidt-Jortzig: Ja das ist natürlich aus dieser Sicht der Dinge von der politischen Kultur, von der Sie sprechen, nicht so fürchterlich glücklich. Ich glaube, wie gesagt, eine Dramatisierung ist da noch nicht unbedingt angesagt. Man dürfte durchaus auch abwarten, wie sich denn das Volk, der Souverän in der Demokratie, daraufhin dann bis zur nächsten Wahl vielleicht anders besinnt. Man muss, glaube ich, nicht so schnell und übereilt auf jeden Fall nicht reagieren auf nun ein ziemlich erstaunliches Wahlergebnis. Aber den Finger auf diese Problematik zu legen und das Problembewusstsein zu wecken, das ist auf jeden Fall schon Gebot der Stunde jetzt.

    Heckmann: Die FDP ist ja bekanntlich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus dem Bundestag gefallen. Sich als liberale Stimme Gehör zu verschaffen, als außerparlamentarische Opposition sozusagen, das wird schwierig für sie.

    Schmidt-Jortzig: Ja, auf jeden Fall. Für die FDP selber ist aber, aus meiner Sicht der Dinge jedenfalls, diese schreckliche Alternative eigentlich auch die bessere. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass ein Ergebnis, was die FDP knapp über die fünf Prozent gebracht hätte (und dann wäre sie ja unausweichlich in einer Koalition mit der Union gelandet), das hat sie ja immer so auch verkündet und hat darauf auch ihre letzten Aktionen vom Stimmengewinn begründet), wenn sie da gelandet wäre, wäre sie völlig zerrieben worden und hätte das, was sie ja nun auch in dieses desaströse Ergebnis getrieben hat, nämlich das immer blasser und schwächer werden, dann wirklich bis zum bitteren Ende auslöffeln müssen.

    Heckmann: Also Sie sagen, Herr Schmidt-Jortzig, es wäre fatal gewesen für die FDP, die Fünfprozenthürde zu überschreiten?

    Schmidt-Jortzig: Jetzt mit 5,2 rein und dann neben der starken Union, selbst wenn die dann die 0,4 Prozent weniger gehabt hätte, in die Koalition zu kommen, wäre eine fürchterliche Situation. Ich halte jetzt die Chance zum wieder Kraft schöpfen sehr viel besser und entschiedener wahrnehmbar, als es sonst der Fall gewesen wäre. Also ich sehe durchaus eine Chance auch in diesem desaströsen Ergebnis.

    Heckmann: Interessante Perspektive, Herr Schmidt-Jortzig. Jetzt wird ja Christian Lindner als neuer Heilsbringer gefeiert. Aber ich möchte mal daran erinnern: Auch Philipp Rösler und Rainer Brüderle wurden ja mal als Hoffnungsträger gehandelt und sind krachend gescheitert.

    Schmidt-Jortzig: Ja ich will mich da gar nicht groß in irgendwelchen Personaldiskussionen ergehen, bin nur fest davon überzeugt, dass der Christian Lindner alle Fähigkeiten mitbringt, diese nun wahrlich schwere Aufgabe zu übernehmen. Aber er alleine wird es auf keinen Fall schaffen können, so wie auch bisher nicht der Parteivorsitzende und der Spitzenkandidat alleine das alles zu verantworten hatten. Das ist ein Mannschaftsspiel, die Politik, selbst wenn man da vorne gewisse Spielführer hat – die Parallelen zu der Fußballterminologie sind ja beliebt -, und das wird auch für Christian Lindner so gelten.

    Heckmann: Ein Mannschaftsspiel für eine Partei, die aber möglicherweise gar nicht mehr gebraucht wird.

    Schmidt-Jortzig: Das, vermute ich oder hoffe ich sehr, ist grundlegend falsch, denn das wird sich nun gerade in der jetzigen Situation und Konstellation sehr schnell zeigen, dass eine organisierte liberale Stimme, die wirklich auf die Entfaltungsmöglichkeit, die Freiheit, die Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen Wert legt, die wird dann sicherlich sehr schmerzlich vermisst werden im Parlament. Davon gehe ich jedenfalls aus.

    Heckmann: Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. – Wir haben gesprochen im Deutschlandfunk mit Edzard Schmidt-Jortzig von der FDP, ehemals Bundesjustizminister. Herr Schmidt-Jortzig, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    Schmidt-Jortzig: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.