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"Für die Kinder eine Sackgasse"

Den Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, in Deutschland sollten türkische Gymnasien gegründet werden, lehnt die SPD-Politikerin Lale Akgün ab. Man müsse dafür sorgen, dass Kinder mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem erfolgreich seien.

Lale Akgün im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Nächsten Montag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast in Ankara sein – kein ganz leichter Besuch, denn in einer zentralen Frage liegen Ministerpräsident Erdogan und die Kanzlerin auseinander. Die Türkei will bekanntlich Vollmitglied der EU werden und die Kanzlerin ist dagegen. Tayyip Erdogan hat unmittelbar vor dem Besuch der Wochenzeitung "Die Zeit" ein Interview gegeben und darin einen Vorschlag unterbreitet, den er vor etwa einem Jahr schon einmal gemacht hatte: In Deutschland sollen türkische Gymnasien gegründet werden. Die CDU lehnte das sofort ab, denn diese Schulen, heißt es, bildeten bloß eine Parallelgesellschaft.

    Darüber will ich reden mit Lale Akgün, ehemals SPD-Bundestagsabgeordnete aus Köln. Wir erreichen Sie zurzeit in der Türkei. Guten Tag, Frau Akgün.

    Lale Akgün: Guten Tag!

    Meurer: Sind Sie für türkische Gymnasien in Deutschland?

    Akgün: Nein! Ich bin dagegen, weil ich diese Frage pragmatisch angegangen haben möchte und der Meinung bin, dass diese Gymnasien für die Kinder eine Sackgasse bilden würden. Das heißt, sie werden erfolglos in der Türkei und in Deutschland nach Abschluss dieser Gymnasien.

    Meurer: Warum ist das eine Sackgasse?

    Akgün: Es ist einfach richtig eine Sackgasse, weil die Kinder mit diesen Abschlüssen eines türkischen Gymnasiums in Deutschland meiner Meinung nach wenig Erfolge hätten an den deutschen Universitäten, und in der Türkei müssen sie antreten gegen die Konkurrenz aus der Türkei bei Aufnahmeprüfungen an der Universität und wären dort genauso erfolglos. Also neben den sozialpolitischen Aspekten sehe ich auch bildungspolitische Aspekte und denke, dass diese Gymnasien nur eigentlich ideologisch zu sehen sind und nicht für den Erfolg der Kinder stehen.

    Meurer: Was ist daran ideologisch? Der türkische Ministerpräsident sagt ja, man muss sozusagen den Kindern und Jugendlichen zubilligen, erst Türkisch zu lernen, denn nur wer gut Türkisch kann, kann dann auch gut Deutsch lernen.

    Akgün: Nun, das halte ich auch für ein Gerücht. Sie wissen, ich bin Psychologin und habe mich mit dem Thema lange beschäftigt. Ich glaube, man muss eine Sprache gut können und das ist das Wichtige, die Voraussetzung. Türkisch muss nicht die Voraussetzung sein. Aber ich finde, diese Aussage von Erdogan gibt uns die Möglichkeit, mal grundsätzlich darüber zu diskutieren, welche Muttersprache haben diese Kinder. Wir können doch nicht in der vierten Generation immer noch davon reden, dass diese Kinder Türkisch als Muttersprache haben. Wir müssen endlich politisch dort Pflöcke schlagen und sagen, diese Kinder sind deutsche Kinder und ihre Muttersprache ist Deutsch, auch Türkisch natürlich.

    Meurer: Aber wenn sie zu Hause Türkisch reden, dann ist doch die Muttersprache Türkisch, oder?

    Akgün: Türkisch ist die Familiensprache. Aber wenn Sie sich mal anschauen, wie restringiert dieser Code der Kinder ist, die zu Hause Türkisch reden, dann werden Sie nicht mehr von einer vollkommen ausgebildeten Muttersprache sprechen.

    Meurer: Was hielten Sie denn, Frau Akgün, von Schulen, Gymnasien in Deutschland, türkischen Gymnasien, in denen Deutsch die Unterrichtssprache ist und Türkisch nur eine Fremdsprache wie Englisch oder Französisch?

    Akgün: Davon halte ich auch nicht viel, weil ich glaube, alles, was die Kinder isoliert und ihnen die Möglichkeit nimmt, sich mit anderen Kindern auseinanderzusetzen, anzukommen in der deutschen Gesellschaft, ist eigentlich kontraproduktiv und dient nicht den Kindern. Wir müssen doch dafür sorgen, dass die Kinder in unserem Bildungssystem erfolgreich sind, und nicht ihnen kleine Nischen aufmachen, wo sie vermeintlich erfolgreich sind, aber ja nachher im wirklichen Leben den Standards unserer Gesellschaft nicht Stand halten können.

    Meurer: Was sagen Sie zu Erdogans Argument, in der Türkei gibt es doch auch deutsche Gymnasien, also kann es doch auch türkische Gymnasien in Deutschland geben?

    Akgün: Das ist natürlich meiner Meinung nach ein ziemlich blasses Argument, denn die deutschen Gymnasien, das deutsche Gymnasium oder die englischsprachigen Gymnasien in der Türkei werden von Eliten der Gesellschaft besucht. Von Leuten, die ihren Kindern eine zweite, dritte Fremdsprache beigebracht haben wollen. Übrigens bin ich der festen Überzeugung, dass Herr Erdogan sich um die fürchterliche Bildungsmisere in der Türkei kümmern müsste, denn in keinem Land sehe ich so sehr die Bildungschancen vom Portemonnaie der Eltern abhängig wie in der Türkei. Die staatlichen Schulen sind miserabel. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf die deutschen, amerikanischen Gymnasien. Und in einem Land, in dem immer noch 50 Prozent der Frauen nicht lesen und schreiben können, sollte man sich nicht um die Bildungsfragen anderer Länder kümmern, sprich Deutschland.

    Meurer: Lale Akgün, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, zum Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, in Deutschland sollten türkische Gymnasien gegründet werden. Frau Akgün, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Akgün: Bitte.