"Der wurde gestern nicht geleert." Noch bevor Katherine den Satz beenden kann, hält sie auch schon einen vollen Papierkorb in ihren Händen. Denn was - außer einer Putzfrau - sollte schließlich die Tätigkeit einer Frau mit schwarzer Hautfarbe sein an einem Ort, an dem ausschließlich Männer mit weißer Hautfarbe arbeiten?
Es ist eine fast beiläufige Szene in "Hidden Figures". Und doch steht sie für die Situation der Schwarzen in den USA der 50er-Jahre. Zwar ist seit dem Civil Rights Act von 1964 die Rassentrennung aufgehoben, doch von Chancengleichheit zwischen schwarzen und weißen US-Amerikanern kann weiterhin nicht die Rede sein. Ein gesellschaftspolitisches Problem, das auch die ehemalige First Lady Michelle Obama immer wieder bei ihren öffentlichen Auftritten angesprochen hat.
Michelle Obama erzählte 2015 bei einer Rede an der Universität von Tuskegee, sie und ihr Ehemann hätten beide selbst oft genug den Stachel der Diskriminierung gespürt: Weiße hätten wegen ihnen die Straßenseite gewechselt, an ihrer Intelligenz, Redlichkeit, ja sogar an ihrer Liebe zum Land gezweifelt. Man kann sich ausmalen, wie die Situation für schwarze Frauen gewesen sein muss zu einer Zeit, als Michelle Obama und ihr Mann noch gar nicht auf der Welt waren.
Die Vorbild für die Heldin im Film ist die heute 99-jährige Katherine Johnson. Wie ihre Freundinnen Dorothy und Mary arbeitete sie als Mathematikerin im Langley Research Center der US-Raumfahrtbehörde NASA im Bundesstaat Virginia. Im Film ist Katherine zwar eine selbstbewusste Frau, aber beileibe keine Rebellin, die gegen die damalige Rassentrennung aufbegehrt hätte:
"Zu Ihrer Information: Ich war der erste farbige weibliche Student an der West Virginia Graduate School. … Also auch Frauen dürfen bei der NASA einige Dinge tun ... und das nicht etwa, weil wir Röcke tragen, sondern weil wir Brillen tragen."
Sie passt sich den Gegebenheiten an, als sie dem Leiter des Mercury-Programms unterstellt wird. Für ihn führt sie Berechnungen für bemannte Raumflüge durch: Eine schwarze Frau inmitten von 20 weißen Männern.
Katherines Begabung, auch komplizierteste Gleichungen in kürzester Zeit zu lösen, bringt ihr Respekt ein - aber auch Misstrauen:
"Es ist kein Geheimnis, warum die Redstone-Tests immer scheitern. Zahlen lügen nicht. Die Hälfte der Daten ist geschwärzt. Sind Sie ein Spion, Katherine?" "Ob ich was bin?" "Ob Sie ein russischer Spion sind." "Nein, Sir, ich bin keine Russin."
"Hidden Figures" wartet - trotz des Themas Diskriminierung - mit überraschend viel Humor auf. Dank der erzählerischen Freiheiten, die sich Drehbuch und Regie immer wieder nehmen, gerät der Film zum Feel-Good-Movie statt zu einer bleiernen und moralisch überfrachteten Geschichtslektion.
Regisseur Theodore Melfi weiß nur zu genau, welche Register er ziehen muss, um maximale Emotionen zu erzeugen: zum Beispiel, wenn er zeigt, wie Katherines Chef - gespielt von Kevin Costner - ganz plakativ ein diskriminierendes Toilettenschild aus seiner Verankerung schlägt. Dann schwappt das Gefühl eines Aufstands der Anständigen auf den Kinosaal über. Oder in der Szene, in der Katherines Kollegin Mary ihren Traum von einer Ingenieurkarriere begraben will:
Späte Ehrung der echten" Katherine Johnson durch Obama
"Wären Sie ein weißer Mann, wünschten Sie sich nicht Ingenieur zu werden?" "Ich müsste es mir nicht wünschen, ich wäre längst einer."
"Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen" ist auch eine überzeugende Ensembleleistung - angeführt vom einnehmenden Darstellerinnentrio Taraji P. Henson, Janelle Monáe und der für den Oscar nominierten Octavia Spencer.
Die "echte" Heldin Katherine Johnson wurde mit der der höchsten Auszeichnung der USA für Zivilisten ausgezeichnet, der Presidential Medal of Freedom - allerdings erst 2015 unter Präsident Barack Obama. Eine späte Würdigung für eine der Frauen, die den berühmten Männern der NASA die Karriere gerettet haben, als die sowjetische Konkurrenz in der Raumfahrt um Lichtjahre voraus war.