Hohe Decken, knarzende Dielen, ein rechteckiger alter Holztisch in der Mitte des Büroraums, – jeden Montagabend trifft sich hier, in einem Altbau nur einen Fußweg entfernt vom Kölner Dom, die örtliche Asylgruppe von Amnesty International. Ein knappes Dutzend Frauen und Männer, alle berufstätig oder im Studium, koordiniert ehrenamtlich eine Sprechstunde für Asylbewerber.
Auch eine dunkelhaarige Frau mit Pagenschnitt und eleganter, rechteckiger Brille, zieht sich einen Stuhl heran, sie ist Kurdin:
"Mein Name ist Sine Sor und ich bin 39 Jahre alt, und ich wohne schon seit fünf, sechs Jahren in Köln."
Vor 13 Jahren kam Sine aus dem kurdischen Südosten der Türkei nach Deutschland, aber noch immer ist sie vorsichtig, möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, und obwohl sie zum verabredeten Termin in die Domstraße gekommen ist, dauert es eine ganze Weile, bis Sine zum Interview bereit ist. An ihre Ankunft in Deutschland erinnert sie sich, als sei es gestern gewesen:
"Die ersten sechs Monate waren sehr stark (= schlimm), weil ich alles verlassen musste: meine Familie, meine Zukunft, meine Freunde, mein Land. Alles. Und ich hatte gar nichts. Schon lange habe ich nachgedacht, was ist das denn? Was mache ich? Und es ist gar nicht so einfach, denn man kommt hier ja nicht für das Studium her oder zum Arbeiten und verdient Tausende von Euro."
Sine strandete als politischer Flüchtling in Deutschland: Fünf Jahre Gefängnis in ihrer Heimat hatte die damalige Jurastudentin bereits hinter sich. Die Behörden bringen sie zunächst in einer Sammelunterkunft in Berlin unter. Statt einer Geldüberweisung erhält Sine dort sogenannte Sachleistungen: Wertgutscheine für Lebensmittel und gebrauchte Kleidung.
"Natürlich hatte ich Angst, ich konnte nicht schlafen. Was das Schlimmste war, das kann ich nie vergessen: Diese Heime, da wird ein Reinigungsmittel benutzt, das stinkt so stark und schlecht. Wenn ich so etwas Ähnliches heute rieche, erinnert mich das sofort daran. Und das Essen stinkt auch, entweder Käse oder Wurst, aber ich habe dort nie etwas gegessen. Das war schlecht."
"Natürlich kommen die Menschen hierher und hoffen einfach, dass Menschenrechte vielleicht auch noch was zählen, dass das hier natürlich einen gewissen Wohlstand gibt, aber dass tatsächlich ja auch die Menschen, wenn sie Flüchtlinge sind, nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, und das ist ja de facto so."
… sagt Beate Kruschinski, Anwältin und ebenfalls Mitglied in der Asylgruppe von amnesty international. Die Enttäuschung vieler Flüchtlinge, so beobachtet die 33-Jährige immer wieder, sei "wahnsinnig groß": Die Heimunterbringung, die Residenzpflicht, die den Asylbewerbern verbietet, sich frei in Deutschland zu bewegen, das oft langjährige Arbeitsverbot – all das mache die Menschen mürbe.
"Dadurch, dass kaum Ablenkung da ist, keine Freizeitangebote, gewollt ja durch die Politik, dass da keine Integration stattfindet, denn die Leute sollen ja wieder abgeschoben werden. Da gibt’s Leute, die sind Jahre und Jahrzehnte in der Duldung in ihrem Heim, und da passiert einfach nichts mehr. Und dass die einfach nur noch dahinvegetieren, auch keinerlei Integrationsleistung mehr da ist, ist ja völlig verständlich."
Um so mehr begrüßt Beate Kruschinski – genau wie auch andere führende Flüchtlingsorganisationen – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz soll Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen und Geduldeten sowie deren Familien das Nötigste zum Leben sichern, in Form von staatlichen Sach- oder Geldleistungen.
Doch Mitte Juli verwarf das Bundesverfassungsgericht wesentliche Bestimmungen dieses Gesetzes, vor allem den viel zu geringen Wert der Leistungen: Je nach Bundesland erhielten Asylbewerber bisher monatlich 225 Euro. Viel zu wenig, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Dies aber sei ein Menschenrecht, so urteilte der Erste Senat, und bezog sich dabei ausdrücklich auf Artikel eins des Grundgesetzes: Das hat Seltenheitswert in Karlsruhe. Beate Kruschinski:
"Also ich bin natürlich sehr froh und glücklich darüber, dass das Bundesverfassungsgericht so deutliche Worte gefunden hat. Ich erinnere mich an diesen Satz: 'Wer hungert, der geht dann irgendwann…', so nach dem Motto. Das war schon deutlich und in dieser Form längst überfällig."
Der Bund als zuständiger Gesetzgeber muss nun eine Neuregelung auf den Weg bringen, die sich am Niveau der Hartz-IV-Regelsätze orientiert. Bis dahin erhält jeder berechtigte Empfänger, der alleinstehend ist, 121 Euro mehr, also 346 Euro, als Barleistung. Im Falle einer Sachleistungsversorgung wird statt bisher 40 Euro 90 ein Taschengeld von 134 Euro ausgezahlt.
Allerdings hält auch das Bundesverfassungsgericht daran fest, statt Geld- vorrangig Sachleistungen zu gewähren: Also die immer gleiche und bescheidene Auswahl an Nahrungsmitteln, Kleidung, Körperpflege und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Beate Kruschinski:
"Hier muss viel mehr Druck noch auf die Politik ausgeübt werden, dass wirklich von diesem Sachleistungsvorrang abgewichen wird, und tatsächlich Geldleistungen bezahlt werden und nicht Wertmarken oder Gutscheine oder sonstiges."
Das Asylbewerberleistungsgesetz war von Anbeginn auf Abschreckung ausgelegt. Es wurde 1993 von der damaligen Kohl-Regierung eingeführt, in einer Zeit, als die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland drastisch anstieg.
Fast zwei Jahrzehnte lang haben seitdem weder CDU- noch SPD-geführte Bundesregierungen eine Novellierung vorgenommen. Dabei ist das Preisniveau im gleichen Zeitraum in Deutschland um über 30 Prozent gestiegen. Der Gesetzestext, über den Karlsruhe jetzt zum ersten Mal urteilte, weist die Leistungen für Asylbewerber noch in D-Mark aus.
Angesichts solch gesetzgeberischer Schläfrigkeit sei die Haltung vieler Deutscher gegenüber Asylbewerbern nicht überraschend, aber trotzdem erschreckend, meint Beate Kruschinski von amnesty international:
"Und was da für Geschichten auftauchen, wie Asylbewerber sind, was die für Sitten haben, was da zu befürchten ist, wenn Asylbewerber da wohnen, und was die hier wohl wollen. Solche Geschichten, mit Flüchtlingen, die sich aus verschiedensten Gründen durchgeschlagen, ihr Heimatland verlassen haben, um auf ein besseres Leben zu hoffen, und dann so behandelt werden, das ist für mich sehr unverständlich."
Die Kurdin Sine Sor musste drei Jahre lang auf einen Studienplatz in Deutschland warten. Ihre Heimat hat sie bis heute nicht wieder gesehen – zu gefährlich. Dabei würde sie gerne in die Türkei reisen:
"Ja, in meinem Herzen liegt das natürlich. Okay, jetzt habe ich hier auch ein Leben. Ich habe einige Sachen in Gang gebracht, aber man vermisst einfach alles. Ich habe einige Mitglieder meiner Familie schon lange nicht mehr gesehen. Ich kenne meinen Neffen nicht!"
Auch wenn Sine inzwischen einen deutschen Pass hat und auf das Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr angewiesen ist, freut sie sich dennoch über die anstehenden Reformen. Ihre neue Heimat Nordrhein-Westfalen zählt zu jenen Bundesländern, die schon jetzt überwiegend auf Geldleistungen setzen, denn der bürokratische Aufwand ist geringer und die Kosten damit niedriger.
Doch die rot-grüne Landesregierung will mehr: In ihrem jüngsten Koalitionsvertrag schlagen SPD und Grüne vor, das Asylbewerberleistungsgesetz ganz abzuschaffen und Asylbewerber stattdessen in das geltende Sozialleistungsrecht zu überführen. Da es sich um ein Bundesgesetz handelt, will NRW eine Bundesrats-Initiative auf den Weg bringen, doch Verbündete fehlen bislang. In Düsseldorf hofft man deshalb auf die Unterstützung aus anderen SPD-geführten Ländern.
Die Motivation der hoch verschuldeten Landesregierung liegt auf der Hand: Rot-Grün muss sparen und fordert bei der Versorgung der Asylbewerber eine stärkere Beteiligung durch den Bund.
130.000 Menschen fallen in Deutschland unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Den Löwenanteil der Kosten übernehmen Städte und Kommunen – derzeit sind das 800 Millionen Euro pro Jahr. Durch das Urteil aus Karlsruhe dürften noch einmal 120 Millionen hinzukommen.
Der Deutsche Städtetag begrüßte das Urteil aus Karlsruhe trotzdem. Angesichts der enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten sei eine Anhebung überfällig, sagt Verena Göppert, Sozialreferentin beim Deutschen Städtetag. Allerdings könnten die Kommunen die Mehrkosten nicht alleine schultern.
"Also wir erwarten ganz konkret von den Ländern, dass die einsteigen. In den Ländern werden die Städtetage natürlich das Gespräch mit den Landesregierungen suchen. Die Erstattung der Länder muss angepasst werden. Es gibt sehr, sehr viele Städte, die hoch verschuldet sind, die aufgrund ihrer Strukturschwäche in großer, großer Not sind."
Arbeit statt Stütze könnte die Devise lauten. Die FDP will den Asylsuchenden künftig generell erlauben, in Deutschland eine Arbeit anzunehmen. Derzeit dürfen sie im ersten Jahr ihres Aufenthalts nicht arbeiten und bis zum vierten Jahr gilt für sie ein sogenannter nachrangiger Arbeitsmarktzugang. Das heißt, sie dürfen einen Job nur dann annehmen, wenn sich nachweislich kein deutscher oder EU-Bewerber findet.
Angesichts des Fachkräftemangels sei diese Regelung unverantwortlich, kritisiert der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Hartfrid Wolff.
"Grund eins ist, dass es einfach besser ist, wenn man eben nicht nur einfach zum Nichtstun verdammt ist, das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Das zweite ist, dass hier auch die Möglichkeit besteht, etwas hinzuzuverdienen, so dass auch die Beanspruchung der Sozialkassen reduziert werden können. Und zum Dritten ist es so, dass Deutschland nach wie vor ne ganze Reihe von Arbeitskräften suchen. Und da muss ich sagen, verstehe ich nicht ganz, weshalb Menschen, die hier sind, nicht von Anfang an arbeiten können, wenn sie sogar in dem Land, in dem sie sind, gebraucht werden könnten. "
In vielen Regionen Deutschlands gebe es genügend Jobs etwa in Hotels und Gaststätten oder im Handwerk. Asylsuchende könnten auch als Saisonkräfte beim Spargelstechen oder bei der Weinlese aushelfen. Es sei wichtig, den Flüchtlingen eine Perspektive zu geben – auch dann, wenn ihr Antrag auf Asyl später abgelehnt werde. Außerdem gelte es, Schwarzarbeit zu verhindern.
Die Forderungen der FDP stoßen bei der Opposition auf Zustimmung, nicht so sehr aber beim Koalitionspartner. Die Union spricht sich jetzt immerhin nur noch für ein neunmonatiges Arbeitsverbot aus. Wenn man Asylbewerber ernsthaft in Arbeit bringen wolle, dann müssten aber auch die Vorrangprüfung und die Residenzpflicht fallen, fordern Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl.
Immerhin: Seit August ist gesetzlich geregelt, dass eine Vorrangprüfung nicht länger als vierzehn Tage dauern darf – innerhalb dieser Zeit muss also festgestellt werden, dass sich für einen Job kein Deutscher und kein EU-Bürger findet. Bislang hätten die langen Wartezeiten viele Arbeitgeber abgeschreckt, Asylbewerber einzustellen, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Gut sei auch, dass das Bundesarbeitsministerium inzwischen Projekte unterstütze, in denen Asylbewerber nachqualifiziert würden:
"Allerdings habe ich das Gefühl, hier ist eben das Bundesarbeitsministerium ein Stück weit entschlossener und fortschrittlicher als andere Teile der Bundesregierung. Wenn sich das jetzt mit den Interessen der FDP an einer Öffnung des Arbeitsmarktes verbindet, gäbe es eine interessante Mischung. Aber es gibt auf der anderen Seite die Theoretiker der Abschreckungsgesetzgebung, die sagen, dass wäre dann ein Anreiz für andere, die noch kommen wollten. Ist empirisch schon längst widerlegt, aber es wird halt immer wieder diese Debatte geführt, besonders, wenn wir bedenken, dass in Bayern demnächst der Wahlkampf richtig beginnt."
Und gerade in Bayern gilt der Umgang mit Asylbewerbern als restriktiv. Während etwa die meisten anderen Bundesländer das Sachleistungsprinzip mittlerweile weitgehend abgeschafft haben, hält der Freistaat eisern daran fest. Außerdem dürfen Asylbewerber während ihres Asylverfahrens üblicherweise nicht in einer eigenen Wohnung leben – sie müssen in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft bleiben. Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat:
"Bayern hat eine spezielle Asyldurchführungsverordnung. In dieser Verordnung ist ganz klar geregelt: Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern."
Was das konkret heißt, wird bei einem Besuch in einer Gemeinschaftsunterkunft im Münchner Norden deutlich. In den niedrigen, himmelblau gestrichenen Containerbaracken leben rund einhundert Asylbewerber aus aller Welt.
Unter ihnen eine junge Frau, die sich Macy nennt. Sie kommt aus Nigeria, ist alleinerziehende Mutter. Mit ihren zwei kleinen Söhnen teilt sie sich ein winziges Zimmer mit nur zwei Betten. Die Möbel sind alt und ramponiert, der Teppichboden voller Flecken. Immer wieder fällt die verrostete Abdeckung des Heizkörpers auf den Boden – die Heizstäbe liegen frei. Küche und Bad benutzen die drei zusammen mit den anderen Bewohnern der Baracke.
"Ich war nie zuvor in so einem Lager. Und es gefällt mir nicht. Ich bin erwachsen, ich kann damit umgehen. Aber das Lager ist nicht gut für die Kinder. Wir sind immer hier in diesem einen Raum. Ich hätte so gerne ein bisschen mehr Privatsphäre, eine Wohnung oder einen Platz in einem Mutter-Kind-Heim."
Doch momentan kann Macy noch nicht einmal ihre Kleidung selbst aussuchen. Denn in Bayern gilt vorrangig das Sachleistungsprinzip. Asylbewerber bekommen Essenspakete, Kleidung und Hygieneartikel geliefert – was sie sonst noch brauchen, müssen sie sich von ihrem Taschengeld kaufen.
Aber auch das neue Taschengeld reicht nicht aus, um Lebensmittel und Kleider selbst zu kaufen. Für Macy wäre das ein Stück Freiheit, ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. Sie hat genug von den Essenspaketen, würde so gerne wieder mit Gemüse und Gewürzen aus ihrer Heimat kochen.
"Manchmal weißt du nicht mal genau, was du für Essen bekommst. Wir können auf einer Liste Lebensmittel aussuchen, die wir wollen, aber wir verstehen teilweise nicht, was wir auswählen, weil wir kein Deutsch sprechen. Und manchmal mag ich das, was ich bekomme, einfach nicht."
Macy freut sich auf September. Dann wird sie jeden Tag Deutschunterricht bekommen, eine Flüchtlingsorganisation bietet kostenlose Kurse an. Macy hat Glück, sie lebt in der Großstadt. Auf dem Land sei es schwer, Deutsch zu lernen, sagt Alexander Thal vom Flüchtlingsrat.
"In den ländlichen Gebieten heißt das in der Regel: Einmal in der Woche, zwei Stunden mit irgendjemand ehrenamtlichen, der einem wenigstens Small Talk beibringt, ansonsten gibt es keine Deutschkurse."
Und auch sonst nicht viel zu tun. Die Ballungszentren München und Nürnberg, wo die Chance, Landsleute zu treffen, höher ist, sind für viele bayerische Asylbewerber unerreichbar. Denn, ganz abgesehen von den Kosten für die Fahrkarte - sie müssen grundsätzlich in ihrem Regierungsbezirk bleiben.
Will jemand innerhalb Bayerns zum Beispiel von der Oberpfalz nach Oberbayern reisen, braucht er eine sogenannte Residenzpflichtbefreiung. Und ob diese Genehmigung erteilt wird, liegt selbst bei wichtigen Terminen im Ermessen der Ausländerbehörde, sagt Anni Kammerlander von Refugio München, einer Organisation, die Therapien für traumatisierte Asylbewerber anbietet:
"Also wir haben ja Klienten aus Dingolfing, aus Passau, aus Schwaben. Und die brauchen ja dann immer noch eine Erlaubnis der Ausländerbehörde, dass sie zu uns fahren dürfen. Und das wird schon unterschiedlich gehandhabt. Wir haben bei manchen Ausländerbehörden schon noch ein Problem, bis wir erreichen, dass die Flüchtlinge zu uns zur Therapie fahren können."
Wenn sie sich das überhaupt leisten können. Einige Städte und Landkreise verlangen jedes Mal zehn Euro für eine Residenzpflichtbefreiung. Egal, ob der Asylbewerber zum Arzt muss oder Freunde oder Verwandte besuchen will, ob ein junger Flüchtling auf Klassenfahrt gehen möchte. Macy aus München zum Beispiel muss zahlen. Früher waren die zehn Euro ein kleines Vermögen für sie – und auch jetzt, nach der Taschengelderhöhung, ist es immer noch viel Geld. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU kennt das Problem.
"Wir haben in der Regel die Empfehlung, dann wenn es jedenfalls für den Aufenthalt woanders einen entsprechenden vernünftigen Grund gibt von Gebührenerhebungen abzusehen."
Letztlich liegt die Entscheidung aber bei der Ausländerbehörde. Für Asylbewerber ist es also ein Glücksspiel, welchem Landkreis oder welcher Stadt sie zugeteilt werden. Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat fordert daher, die Residenzpflicht abzuschaffen. Und die Gemeinschaftsunterkünfte und das Sachleistungsprinzip gleich mit.
"Weil da wirklich die Menschen so gegängelt werden. Man muss sich das am Beispiel der Hygienepakete mal vorstellen, Frauen dürfen da nicht mal entscheiden, ob sie Tampons oder Binden wollen, das entscheidet das Amt für sie."
Selbst in der CSU mehren sich die Stimmen derer, die das ähnlich sehen. Und der Druck der Basis und des kleinen Koalitionspartners FDP scheint langsam Wirkung zu zeigen – Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer von der CSU plant ein Modellprojekt.
Ab November sollen einige Asylbewerber, obwohl sie in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen, keine Sachleistungen mehr erhalten, sondern Geld: So wie es in den meisten anderen Bundesländern längst üblich ist. Allerdings sollen nur Asylbewerber in ausgewählten Gemeinschaftsunterkünften davon profitieren. Doch für bayerische Flüchtlingsorganisationen ist das trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung.
Doch noch ist der Modellversuch nicht einmal gestartet. Noch sind Sachleistungen die Regel, noch leben viele Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften, noch ist es das erklärte Ziel, sie zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen.
Auch eine dunkelhaarige Frau mit Pagenschnitt und eleganter, rechteckiger Brille, zieht sich einen Stuhl heran, sie ist Kurdin:
"Mein Name ist Sine Sor und ich bin 39 Jahre alt, und ich wohne schon seit fünf, sechs Jahren in Köln."
Vor 13 Jahren kam Sine aus dem kurdischen Südosten der Türkei nach Deutschland, aber noch immer ist sie vorsichtig, möchte ihren richtigen Namen nicht nennen, und obwohl sie zum verabredeten Termin in die Domstraße gekommen ist, dauert es eine ganze Weile, bis Sine zum Interview bereit ist. An ihre Ankunft in Deutschland erinnert sie sich, als sei es gestern gewesen:
"Die ersten sechs Monate waren sehr stark (= schlimm), weil ich alles verlassen musste: meine Familie, meine Zukunft, meine Freunde, mein Land. Alles. Und ich hatte gar nichts. Schon lange habe ich nachgedacht, was ist das denn? Was mache ich? Und es ist gar nicht so einfach, denn man kommt hier ja nicht für das Studium her oder zum Arbeiten und verdient Tausende von Euro."
Sine strandete als politischer Flüchtling in Deutschland: Fünf Jahre Gefängnis in ihrer Heimat hatte die damalige Jurastudentin bereits hinter sich. Die Behörden bringen sie zunächst in einer Sammelunterkunft in Berlin unter. Statt einer Geldüberweisung erhält Sine dort sogenannte Sachleistungen: Wertgutscheine für Lebensmittel und gebrauchte Kleidung.
"Natürlich hatte ich Angst, ich konnte nicht schlafen. Was das Schlimmste war, das kann ich nie vergessen: Diese Heime, da wird ein Reinigungsmittel benutzt, das stinkt so stark und schlecht. Wenn ich so etwas Ähnliches heute rieche, erinnert mich das sofort daran. Und das Essen stinkt auch, entweder Käse oder Wurst, aber ich habe dort nie etwas gegessen. Das war schlecht."
"Natürlich kommen die Menschen hierher und hoffen einfach, dass Menschenrechte vielleicht auch noch was zählen, dass das hier natürlich einen gewissen Wohlstand gibt, aber dass tatsächlich ja auch die Menschen, wenn sie Flüchtlinge sind, nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, und das ist ja de facto so."
… sagt Beate Kruschinski, Anwältin und ebenfalls Mitglied in der Asylgruppe von amnesty international. Die Enttäuschung vieler Flüchtlinge, so beobachtet die 33-Jährige immer wieder, sei "wahnsinnig groß": Die Heimunterbringung, die Residenzpflicht, die den Asylbewerbern verbietet, sich frei in Deutschland zu bewegen, das oft langjährige Arbeitsverbot – all das mache die Menschen mürbe.
"Dadurch, dass kaum Ablenkung da ist, keine Freizeitangebote, gewollt ja durch die Politik, dass da keine Integration stattfindet, denn die Leute sollen ja wieder abgeschoben werden. Da gibt’s Leute, die sind Jahre und Jahrzehnte in der Duldung in ihrem Heim, und da passiert einfach nichts mehr. Und dass die einfach nur noch dahinvegetieren, auch keinerlei Integrationsleistung mehr da ist, ist ja völlig verständlich."
Um so mehr begrüßt Beate Kruschinski – genau wie auch andere führende Flüchtlingsorganisationen – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz soll Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen und Geduldeten sowie deren Familien das Nötigste zum Leben sichern, in Form von staatlichen Sach- oder Geldleistungen.
Doch Mitte Juli verwarf das Bundesverfassungsgericht wesentliche Bestimmungen dieses Gesetzes, vor allem den viel zu geringen Wert der Leistungen: Je nach Bundesland erhielten Asylbewerber bisher monatlich 225 Euro. Viel zu wenig, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Dies aber sei ein Menschenrecht, so urteilte der Erste Senat, und bezog sich dabei ausdrücklich auf Artikel eins des Grundgesetzes: Das hat Seltenheitswert in Karlsruhe. Beate Kruschinski:
"Also ich bin natürlich sehr froh und glücklich darüber, dass das Bundesverfassungsgericht so deutliche Worte gefunden hat. Ich erinnere mich an diesen Satz: 'Wer hungert, der geht dann irgendwann…', so nach dem Motto. Das war schon deutlich und in dieser Form längst überfällig."
Der Bund als zuständiger Gesetzgeber muss nun eine Neuregelung auf den Weg bringen, die sich am Niveau der Hartz-IV-Regelsätze orientiert. Bis dahin erhält jeder berechtigte Empfänger, der alleinstehend ist, 121 Euro mehr, also 346 Euro, als Barleistung. Im Falle einer Sachleistungsversorgung wird statt bisher 40 Euro 90 ein Taschengeld von 134 Euro ausgezahlt.
Allerdings hält auch das Bundesverfassungsgericht daran fest, statt Geld- vorrangig Sachleistungen zu gewähren: Also die immer gleiche und bescheidene Auswahl an Nahrungsmitteln, Kleidung, Körperpflege und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. Beate Kruschinski:
"Hier muss viel mehr Druck noch auf die Politik ausgeübt werden, dass wirklich von diesem Sachleistungsvorrang abgewichen wird, und tatsächlich Geldleistungen bezahlt werden und nicht Wertmarken oder Gutscheine oder sonstiges."
Das Asylbewerberleistungsgesetz war von Anbeginn auf Abschreckung ausgelegt. Es wurde 1993 von der damaligen Kohl-Regierung eingeführt, in einer Zeit, als die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland drastisch anstieg.
Fast zwei Jahrzehnte lang haben seitdem weder CDU- noch SPD-geführte Bundesregierungen eine Novellierung vorgenommen. Dabei ist das Preisniveau im gleichen Zeitraum in Deutschland um über 30 Prozent gestiegen. Der Gesetzestext, über den Karlsruhe jetzt zum ersten Mal urteilte, weist die Leistungen für Asylbewerber noch in D-Mark aus.
Angesichts solch gesetzgeberischer Schläfrigkeit sei die Haltung vieler Deutscher gegenüber Asylbewerbern nicht überraschend, aber trotzdem erschreckend, meint Beate Kruschinski von amnesty international:
"Und was da für Geschichten auftauchen, wie Asylbewerber sind, was die für Sitten haben, was da zu befürchten ist, wenn Asylbewerber da wohnen, und was die hier wohl wollen. Solche Geschichten, mit Flüchtlingen, die sich aus verschiedensten Gründen durchgeschlagen, ihr Heimatland verlassen haben, um auf ein besseres Leben zu hoffen, und dann so behandelt werden, das ist für mich sehr unverständlich."
Die Kurdin Sine Sor musste drei Jahre lang auf einen Studienplatz in Deutschland warten. Ihre Heimat hat sie bis heute nicht wieder gesehen – zu gefährlich. Dabei würde sie gerne in die Türkei reisen:
"Ja, in meinem Herzen liegt das natürlich. Okay, jetzt habe ich hier auch ein Leben. Ich habe einige Sachen in Gang gebracht, aber man vermisst einfach alles. Ich habe einige Mitglieder meiner Familie schon lange nicht mehr gesehen. Ich kenne meinen Neffen nicht!"
Auch wenn Sine inzwischen einen deutschen Pass hat und auf das Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr angewiesen ist, freut sie sich dennoch über die anstehenden Reformen. Ihre neue Heimat Nordrhein-Westfalen zählt zu jenen Bundesländern, die schon jetzt überwiegend auf Geldleistungen setzen, denn der bürokratische Aufwand ist geringer und die Kosten damit niedriger.
Doch die rot-grüne Landesregierung will mehr: In ihrem jüngsten Koalitionsvertrag schlagen SPD und Grüne vor, das Asylbewerberleistungsgesetz ganz abzuschaffen und Asylbewerber stattdessen in das geltende Sozialleistungsrecht zu überführen. Da es sich um ein Bundesgesetz handelt, will NRW eine Bundesrats-Initiative auf den Weg bringen, doch Verbündete fehlen bislang. In Düsseldorf hofft man deshalb auf die Unterstützung aus anderen SPD-geführten Ländern.
Die Motivation der hoch verschuldeten Landesregierung liegt auf der Hand: Rot-Grün muss sparen und fordert bei der Versorgung der Asylbewerber eine stärkere Beteiligung durch den Bund.
130.000 Menschen fallen in Deutschland unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Den Löwenanteil der Kosten übernehmen Städte und Kommunen – derzeit sind das 800 Millionen Euro pro Jahr. Durch das Urteil aus Karlsruhe dürften noch einmal 120 Millionen hinzukommen.
Der Deutsche Städtetag begrüßte das Urteil aus Karlsruhe trotzdem. Angesichts der enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten sei eine Anhebung überfällig, sagt Verena Göppert, Sozialreferentin beim Deutschen Städtetag. Allerdings könnten die Kommunen die Mehrkosten nicht alleine schultern.
"Also wir erwarten ganz konkret von den Ländern, dass die einsteigen. In den Ländern werden die Städtetage natürlich das Gespräch mit den Landesregierungen suchen. Die Erstattung der Länder muss angepasst werden. Es gibt sehr, sehr viele Städte, die hoch verschuldet sind, die aufgrund ihrer Strukturschwäche in großer, großer Not sind."
Arbeit statt Stütze könnte die Devise lauten. Die FDP will den Asylsuchenden künftig generell erlauben, in Deutschland eine Arbeit anzunehmen. Derzeit dürfen sie im ersten Jahr ihres Aufenthalts nicht arbeiten und bis zum vierten Jahr gilt für sie ein sogenannter nachrangiger Arbeitsmarktzugang. Das heißt, sie dürfen einen Job nur dann annehmen, wenn sich nachweislich kein deutscher oder EU-Bewerber findet.
Angesichts des Fachkräftemangels sei diese Regelung unverantwortlich, kritisiert der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Hartfrid Wolff.
"Grund eins ist, dass es einfach besser ist, wenn man eben nicht nur einfach zum Nichtstun verdammt ist, das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Das zweite ist, dass hier auch die Möglichkeit besteht, etwas hinzuzuverdienen, so dass auch die Beanspruchung der Sozialkassen reduziert werden können. Und zum Dritten ist es so, dass Deutschland nach wie vor ne ganze Reihe von Arbeitskräften suchen. Und da muss ich sagen, verstehe ich nicht ganz, weshalb Menschen, die hier sind, nicht von Anfang an arbeiten können, wenn sie sogar in dem Land, in dem sie sind, gebraucht werden könnten. "
In vielen Regionen Deutschlands gebe es genügend Jobs etwa in Hotels und Gaststätten oder im Handwerk. Asylsuchende könnten auch als Saisonkräfte beim Spargelstechen oder bei der Weinlese aushelfen. Es sei wichtig, den Flüchtlingen eine Perspektive zu geben – auch dann, wenn ihr Antrag auf Asyl später abgelehnt werde. Außerdem gelte es, Schwarzarbeit zu verhindern.
Die Forderungen der FDP stoßen bei der Opposition auf Zustimmung, nicht so sehr aber beim Koalitionspartner. Die Union spricht sich jetzt immerhin nur noch für ein neunmonatiges Arbeitsverbot aus. Wenn man Asylbewerber ernsthaft in Arbeit bringen wolle, dann müssten aber auch die Vorrangprüfung und die Residenzpflicht fallen, fordern Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl.
Immerhin: Seit August ist gesetzlich geregelt, dass eine Vorrangprüfung nicht länger als vierzehn Tage dauern darf – innerhalb dieser Zeit muss also festgestellt werden, dass sich für einen Job kein Deutscher und kein EU-Bürger findet. Bislang hätten die langen Wartezeiten viele Arbeitgeber abgeschreckt, Asylbewerber einzustellen, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Gut sei auch, dass das Bundesarbeitsministerium inzwischen Projekte unterstütze, in denen Asylbewerber nachqualifiziert würden:
"Allerdings habe ich das Gefühl, hier ist eben das Bundesarbeitsministerium ein Stück weit entschlossener und fortschrittlicher als andere Teile der Bundesregierung. Wenn sich das jetzt mit den Interessen der FDP an einer Öffnung des Arbeitsmarktes verbindet, gäbe es eine interessante Mischung. Aber es gibt auf der anderen Seite die Theoretiker der Abschreckungsgesetzgebung, die sagen, dass wäre dann ein Anreiz für andere, die noch kommen wollten. Ist empirisch schon längst widerlegt, aber es wird halt immer wieder diese Debatte geführt, besonders, wenn wir bedenken, dass in Bayern demnächst der Wahlkampf richtig beginnt."
Und gerade in Bayern gilt der Umgang mit Asylbewerbern als restriktiv. Während etwa die meisten anderen Bundesländer das Sachleistungsprinzip mittlerweile weitgehend abgeschafft haben, hält der Freistaat eisern daran fest. Außerdem dürfen Asylbewerber während ihres Asylverfahrens üblicherweise nicht in einer eigenen Wohnung leben – sie müssen in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft bleiben. Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat:
"Bayern hat eine spezielle Asyldurchführungsverordnung. In dieser Verordnung ist ganz klar geregelt: Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern."
Was das konkret heißt, wird bei einem Besuch in einer Gemeinschaftsunterkunft im Münchner Norden deutlich. In den niedrigen, himmelblau gestrichenen Containerbaracken leben rund einhundert Asylbewerber aus aller Welt.
Unter ihnen eine junge Frau, die sich Macy nennt. Sie kommt aus Nigeria, ist alleinerziehende Mutter. Mit ihren zwei kleinen Söhnen teilt sie sich ein winziges Zimmer mit nur zwei Betten. Die Möbel sind alt und ramponiert, der Teppichboden voller Flecken. Immer wieder fällt die verrostete Abdeckung des Heizkörpers auf den Boden – die Heizstäbe liegen frei. Küche und Bad benutzen die drei zusammen mit den anderen Bewohnern der Baracke.
"Ich war nie zuvor in so einem Lager. Und es gefällt mir nicht. Ich bin erwachsen, ich kann damit umgehen. Aber das Lager ist nicht gut für die Kinder. Wir sind immer hier in diesem einen Raum. Ich hätte so gerne ein bisschen mehr Privatsphäre, eine Wohnung oder einen Platz in einem Mutter-Kind-Heim."
Doch momentan kann Macy noch nicht einmal ihre Kleidung selbst aussuchen. Denn in Bayern gilt vorrangig das Sachleistungsprinzip. Asylbewerber bekommen Essenspakete, Kleidung und Hygieneartikel geliefert – was sie sonst noch brauchen, müssen sie sich von ihrem Taschengeld kaufen.
Aber auch das neue Taschengeld reicht nicht aus, um Lebensmittel und Kleider selbst zu kaufen. Für Macy wäre das ein Stück Freiheit, ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. Sie hat genug von den Essenspaketen, würde so gerne wieder mit Gemüse und Gewürzen aus ihrer Heimat kochen.
"Manchmal weißt du nicht mal genau, was du für Essen bekommst. Wir können auf einer Liste Lebensmittel aussuchen, die wir wollen, aber wir verstehen teilweise nicht, was wir auswählen, weil wir kein Deutsch sprechen. Und manchmal mag ich das, was ich bekomme, einfach nicht."
Macy freut sich auf September. Dann wird sie jeden Tag Deutschunterricht bekommen, eine Flüchtlingsorganisation bietet kostenlose Kurse an. Macy hat Glück, sie lebt in der Großstadt. Auf dem Land sei es schwer, Deutsch zu lernen, sagt Alexander Thal vom Flüchtlingsrat.
"In den ländlichen Gebieten heißt das in der Regel: Einmal in der Woche, zwei Stunden mit irgendjemand ehrenamtlichen, der einem wenigstens Small Talk beibringt, ansonsten gibt es keine Deutschkurse."
Und auch sonst nicht viel zu tun. Die Ballungszentren München und Nürnberg, wo die Chance, Landsleute zu treffen, höher ist, sind für viele bayerische Asylbewerber unerreichbar. Denn, ganz abgesehen von den Kosten für die Fahrkarte - sie müssen grundsätzlich in ihrem Regierungsbezirk bleiben.
Will jemand innerhalb Bayerns zum Beispiel von der Oberpfalz nach Oberbayern reisen, braucht er eine sogenannte Residenzpflichtbefreiung. Und ob diese Genehmigung erteilt wird, liegt selbst bei wichtigen Terminen im Ermessen der Ausländerbehörde, sagt Anni Kammerlander von Refugio München, einer Organisation, die Therapien für traumatisierte Asylbewerber anbietet:
"Also wir haben ja Klienten aus Dingolfing, aus Passau, aus Schwaben. Und die brauchen ja dann immer noch eine Erlaubnis der Ausländerbehörde, dass sie zu uns fahren dürfen. Und das wird schon unterschiedlich gehandhabt. Wir haben bei manchen Ausländerbehörden schon noch ein Problem, bis wir erreichen, dass die Flüchtlinge zu uns zur Therapie fahren können."
Wenn sie sich das überhaupt leisten können. Einige Städte und Landkreise verlangen jedes Mal zehn Euro für eine Residenzpflichtbefreiung. Egal, ob der Asylbewerber zum Arzt muss oder Freunde oder Verwandte besuchen will, ob ein junger Flüchtling auf Klassenfahrt gehen möchte. Macy aus München zum Beispiel muss zahlen. Früher waren die zehn Euro ein kleines Vermögen für sie – und auch jetzt, nach der Taschengelderhöhung, ist es immer noch viel Geld. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU kennt das Problem.
"Wir haben in der Regel die Empfehlung, dann wenn es jedenfalls für den Aufenthalt woanders einen entsprechenden vernünftigen Grund gibt von Gebührenerhebungen abzusehen."
Letztlich liegt die Entscheidung aber bei der Ausländerbehörde. Für Asylbewerber ist es also ein Glücksspiel, welchem Landkreis oder welcher Stadt sie zugeteilt werden. Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat fordert daher, die Residenzpflicht abzuschaffen. Und die Gemeinschaftsunterkünfte und das Sachleistungsprinzip gleich mit.
"Weil da wirklich die Menschen so gegängelt werden. Man muss sich das am Beispiel der Hygienepakete mal vorstellen, Frauen dürfen da nicht mal entscheiden, ob sie Tampons oder Binden wollen, das entscheidet das Amt für sie."
Selbst in der CSU mehren sich die Stimmen derer, die das ähnlich sehen. Und der Druck der Basis und des kleinen Koalitionspartners FDP scheint langsam Wirkung zu zeigen – Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer von der CSU plant ein Modellprojekt.
Ab November sollen einige Asylbewerber, obwohl sie in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen, keine Sachleistungen mehr erhalten, sondern Geld: So wie es in den meisten anderen Bundesländern längst üblich ist. Allerdings sollen nur Asylbewerber in ausgewählten Gemeinschaftsunterkünften davon profitieren. Doch für bayerische Flüchtlingsorganisationen ist das trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung.
Doch noch ist der Modellversuch nicht einmal gestartet. Noch sind Sachleistungen die Regel, noch leben viele Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften, noch ist es das erklärte Ziel, sie zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen.