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Für Flüchtlinge ist "die einzige Chance, sich aufs Meer zu wagen"

Nach dem Unglück von Lampedusa spricht sich die Präsidentin der Hilfsorganisation Brot für die Welt für eine gerechtere Flüchtlingsverteilung in der EU aus. Im Gegenzug müssten Länder wie Italien flüchtlingsfeindliche Gesetze abschaffen.

Cornelia Füllkrug-Weitzel im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Sie kommen aus Eritrea und Somalia, zwei Länder, in denen seit Jahrzehnten mit Unterbrechungen Bürgerkrieg herrscht. Bis zu 500 Flüchtlinge waren auf einem Schiff zusammengepfercht, als plötzlich ein Feuer ausbrach. Einige Flüchtlinge hatten den Brand sogar selbst ausgelöst, indem sie eine Decke angezündet haben, um vor dem Hafen auf sich aufmerksam zu machen. Dann folgte die Tragödie. In Deutschland gibt es seitdem eine Diskussion darüber, ob wir nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen sollten, um Katastrophen wie diese zu vermeiden.
    Cornelia Füllkrug-Weitzel ist Präsidentin der Hilfsorganisation Brot für die Welt, auch der Diakonie-Katastrophenhilfe, und sie war im Kompetenzteam des SPD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Peer Steinbrück. Guten Tag, Frau Füllkrug-Weitzel.

    Cornelia Füllkrug-Weitzel: Ich grüße Sie.

    Meurer: Würden weniger Menschen sterben, wenn wir mehr Flüchtlinge aufnehmen?

    Füllkrug-Weitzel: Wenn es keine so rigide Abschottungspolitik gebe, dann würde auch den Flüchtlingen eine andere Chance eröffnet, anders als sich diesem Risiko auszusetzen, sich aufs hohe Meer mit viel zu kleinen Booten zu wagen. Das kann man definitiv sagen. Es gibt aber keine legalen Möglichkeiten für Flüchtlinge aus den Ländern Nordafrikas oder Somalia oder Eritrea, überhaupt nur einen Asylantrag stellen zu können, ohne übers Meer zu kommen. Also solange es keine wirklich offiziellen und legalen Kanäle gibt, einen Asylantrag zu stellen oder Einwanderung zu beantragen, ist das tatsächlich die einzige Chance, sich aufs Meer zu wagen und zu gucken, was passiert.

    Meurer: Was schlagen Sie vor? Soll Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen?

    Füllkrug-Weitzel: Man muss es auf zwei Ebenen sehen. Zum einen: Europa muss sich endlich dazu durchringen, ein Neuansiedlungsprogramm zu entwickeln. Dazu gab es seit Jahren jetzt Verhandlungen, aber es gibt keine Beschlusslage zu sagen, wie viele Menschen aus anderen Teilen der Welt wollen wir eigentlich hier dauerhaft die Chance geben, sich hier anzusiedeln. Das ist das eine. Und dann muss Europa natürlich über eine gerechtere Verteilung von sowohl Asyl suchenden als auch von Menschen, die hier legal einwandern wollen, nachdenken. Wir haben ja bisher nur das Dublin-II-Verfahren und das sieht vor, dass Flüchtlinge da aufgenommen werden müssen, wo sie gerade anlanden.

    Meurer: Das heißt, es ist ungerecht, dass so viele in Italien landen und deswegen Italiener sich darum kümmern sollen?

    Füllkrug-Weitzel: Es ist wirklich sehr ungerecht und ich kann auch die Italiener verstehen, dass sie fordern, dass es ein solidarischeres und gerechteres Verfahren der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas gibt. Das muss zunächst auf europäischer Ebene geregelt werden. Dann müssen Kriterien entwickelt werden, nach denen festgelegt wird, welches europäische Land kann eigentlich wie viele Flüchtlinge aufnehmen, im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl etc., und dann ist auch die Bundesregierung gefragt, dem natürlich zuzustimmen und jetzt auf europäischer Ebene ein solches gerechteres Verteilungssystem voranzutreiben.

    Meurer: An welche Dimensionen müssten wir da denken, 5000, 10.000 Flüchtlinge oder mehr?

    Füllkrug-Weitzel: Ich glaube, dass das sehr abstrakt ist. Wir haben noch nicht von denen gesprochen – das wäre eine dritte Kategorie von Flüchtlingen -, die vorübergehend nur Schutz suchen. Da gab es ja viele Debatten im Zusammenhang der Flüchtlinge aus Syrien. Wir haben es mit drei verschiedenen Kategorien zu tun: denen, die vorübergehend Schutz suchen aus Bürgerkriegssituationen, denen, die Asyl suchen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen etc. und denen, die sich dauerhaft hier ansiedeln wollen. Das muss man, denke ich, deutlich unterscheiden und dann muss man sich überlegen, was, in welchem Zusammenhang. Ein wichtiges Kriterium ist sicherlich auch, dass manche Flüchtlinge Angehörige in verschiedenen europäischen Ländern haben, die dort schon legal zugewandert sind oder inzwischen legalisiert wurden und dort dauerhaft leben, die ja eine extrem große Rolle bei der Aufnahme von Flüchtlingen spielen können. Das sind ja häufig ihre Familien, die jetzt versuchen, nachzuziehen, die sie auch aufnehmen können, die auch eingebunden werden können dann in den Integrationsprozess.

    Meurer: Das alles ist ein sehr weites Feld. Wenn wir noch mal ganz kurz zurückkommen zu Lampedusa, zu diesen furchtbaren Dingen, die da passiert sind. Sie haben eben Verständnis für Italien gezeigt. Ist es aber nicht ein Skandal, dass ein italienisches Gesetz Fischer mit Strafe bedroht, die Schiffbrüchigen helfen?

    Füllkrug-Weitzel: Ich habe nur Verständnis dafür gezeigt, dass Italien sagt, sie wollen das auf Dauer nicht alleine schultern. Es ist der absolute Skandal und eine dramatische Menschenrechtsverletzung, meiner Meinung nach, Menschen mit Strafe zu bedrohen, die anderen Menschen versuchen, das Leben zu retten. Das ist sicherlich das, was minimal sofort abgeschafft werden muss, dass Helfer von Seenotbrüchigen abgestraft werden. Das ist skandalös! Wir wissen, welche Regierung in den letzten Jahren in Italien dran war, und dass da viel Menschenverachtung im Gange war, das zeigt sich auch sehr deutlich an der Flüchtlingspolitik. Aber es gibt eine Notwendigkeit der EU, Solidarität mit Italien zu zeigen und zu sagen, wir wollen gemeinsam durchsetzen, dass die Rechte von Einwanderern und Asyl suchenden geschützt werden.

    Meurer: Aber muss die EU den Italienern nicht sagen, dieses Gesetz muss weg, das Gesetz muss weg?

    Füllkrug-Weitzel: Ja genau. Das heißt, die EU muss den Italienern sagen, das Gesetz muss weg und auch alle anderen Gesetze, die da sich möglicherweise negativ auf die Flüchtlinge auswirken, im Gegenzug verhandeln wir mit euch neu eine gerechtere Verteilung.

    Meurer: Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Präsidentin der Hilfsorganisation Brot für die Welt und der Diakonie-Katastrophenhilfe, bei uns im Deutschlandfunk zu den Konsequenzen, die gezogen werden sollten aus der neuen Flüchtlingstragödie. Danke, Frau Füllkrug-Weitzel, auf Wiederhören.

    Füllkrug-Weitzel: Vielen Dank – auf Wiederhören.


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