Christiane Kaess: Es geht einmal wieder um die mögliche Stasivergangenheit von Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Hintergrund der Debatte sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Gysi – in den Ermittlungen geht es wiederum einerseits um eine eidesstattliche Erklärung aus einem Gerichtsverfahren, in dem Gysi sich gegen einen Fernsehbericht über seine Stasi-Kontakte wehrte. Andererseits geht es um einen Vermerk in den Stasiakten über ein Gespräch zwischen Gysi und Stasivertretern im Februar 1989. In der eidesstattlichen Erklärung versicherte Gysi, er habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet. In dem Gespräch, das Gysi als Vorsitzender des Anwaltkollegiums der DDR mit der Stasi führte, soll er auch über ein Interview mit dem Spiegel gesprochen haben. Kann dies schon als Zusammenarbeit mit der Stasi gewertet werden oder nicht? Einordnen wollen wir das Ganze jetzt mit dem Historiker Hubertus Knabe. Er ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Knabe!
Hubertus Knabe: Guten Morgen, Frau Kaess!
Kaess: Herr Knabe, glauben Sie, Gregor Gysi hat in seiner eidesstattlichen Erklärung gelogen?
Knabe: Ich glaube, dass vieles dafür spricht. Die ganze Diskussion hat jetzt ja einen ganz anderen Aspekt aufgeworfen. In diesem Fernsehfilm ging es ja nicht darum, dass er als Spitzel, also konspirativ für die Staatssicherheit tätig war, sondern ganz offiziell sie informiert hat über seine Mandanten. Der Vorwurf lautete auf Mandantenverrat, und er hat das rundheraus bestritten, dass er überhaupt über seine Mandanten mit dem Staatssicherheitsdienst gesprochen hätte, dafür gibt es allerdings sehr viele Vermerke, die das genau belegen.
Kaess: Aber Herr Knabe, in der eidesstattlichen Erklärung hat Gregor Gysi doch lediglich erklärt, er habe nicht über Mandanten oder sonst jemanden an die Stasi berichtet, das würde ja stimmen, selbst wenn er über das "Spiegel"-Gespräch berichtet hätte, denn da ging es ja nur um ihn selbst.
Knabe: Ja, das "Spiegel"-Gespräch ist eher eine Randnotiz nach meiner Einschätzung. Wirklich eng wird es da, wo er als Anwalt zahlreicher Stasihäftlinge dann auch in das Stasi-Gefängnis gegangen ist – das ging ja nicht anders hier in Berlin – hat dann dort mit seinen Mandanten gesprochen. Schon um da überhaupt reinzukommen, musste er natürlich mit dem Staatssicherheitsdienst reden, die Türen sind da ja nicht von alleine aufgegangen, und nach diesen Gesprächen mit seinen Mandanten – darüber gibt es eben verschiedene Vermerke –, hat er dann dem Staatssicherheitsdiensthabenden berichtet, was der Mandant gesagt hat und wie er ihn am besten austricksen könnte, um das mal so zusammenzufassen, zum Beispiel den Dissidenten Rudolf Bahro oder den Maler Erwin Klingenstein.
Kaess: Und diese Vermerke, die Sie ansprechen, sind für Sie eindeutige Belege?
Knabe: Ja, das kann man sich ja ganz gut vorstellen, da gibt es sicherlich auch weitere Unterlagen, wie er sich dann ankündigt, wie dann der Häftling dort hingeführt wird in dieses Gefängnis, wo diese Gespräche stattfanden. Da gibt es sicherlich auch Terminbücher, dann wurden diese Gespräche abgehört, das heißt, es gibt möglicherweise auch noch Tonbänder davon. Und dann, als der Häftling dann wieder weggebracht worden war, hat Gysi dann eben mit dem Offizier, der ihm da gegenübertrat, ganz offiziell, wie gesagt, gesprochen und gesagt, so und so ist die Lage, und wie können wir den am besten hier aus dem Lande befördern. Zum Beispiel im Fall des Dissidenten Rudolf Bahro. Oder wie können wir verhindern, dass ein kirchlicher Anwalt ihn vertritt, das waren dann die Themen dieser Gespräche.
Kaess: Rechnen Sie ernsthaft damit, dass da noch Tonbänder auftauchen könnten?
Knabe: Ja, da gibt es ja eine ziemlich große Sammlung, und das Material ist, was diese offizielle Seite seiner Tätigkeit anbetrifft, doch ziemlich dicht, weil es zu jedem Häftling dann eben auch ganz normale Unterlagen gab, wo das alles festgehalten worden ist, und es auch keinen Anlass gab aus Sicht der Staatssicherheit 1989, das alles zu vernichten, weil es wie gesagt nicht um den Spitzelvorwurf ging, sondern um die ganz offizielle Kooperation mit dem MfS, was gewissermaßen für einen DDR-Anwalt mehr oder weniger auch dazugehörte.
Kaess: Aber auf der anderen Seite konnte ja Gysi bis jetzt immer erfolgreich mit juristischen Mitteln gegen diese Vermutungen vorgehen, weil mehrere Gerichte den Stasiunterlagen nur eine eingeschränkte Beweiskraft einräumen. Wieso schenken Sie den Dokumenten so einen uneingeschränkten Glauben?
Knabe: Na ja, die Staatssicherheit hatte ja keinen Grund, sich selbst zu belügen, und das sind auch nicht einige Gerichte, sondern es gibt ein Gericht in Hamburg, die Pressekammer dort, die diese Rechtsprechung vertritt, dass man eben, wenn jemand als Stasi-Informant beschuldigt wird und das in einer Akte so steht, die sagen, das könnte ja auch falsch sein. Und wenn der Betroffene erklärt, er war nicht beim Staatssicherheitsdienst als Informant tätig, das an Eides statt tut, das gilt dann als Beweismittel, und deswegen kommt man dann zu der Entscheidung, im Zweifelsfall dürfe man eben nicht sagen, Herr Gysi sei ein Stasispitzel gewesen. Aber wie gesagt, hier geht es um eine ganz offizielle Kooperation, die in vielfältiger Weise aufdokumentiert ist. Und ich glaube, er ist einfach übers Ziel hinausgeschossen. Er hat mit denselben Methoden, wie er versucht hat, den Stasi-Vorwurf zurückzuweisen, jetzt auch diese offizielle Zusammenarbeit versucht zurückzuweisen, und das wird nach meiner Einschätzung nicht funktionieren.
Kaess: Aber Gysi bestreitet ja auch nur, inoffiziell mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben, den beruflichen Kontakt zur Stasi, den räumt er ja ein.
Knabe: Nein, eben nicht, das ist das Neue an dieser eidesstattlichen Versicherung, wo er ja nicht von konspirativer Zusammenarbeit spricht, sondern ganz generell, dass er nie mit dem Staatssicherheitsdienst über seine Mandanten gesprochen beziehungsweise über sie berichtet hätte. Und das sieht doch ziemlich anders aus.
Kaess: Ich möchte trotzdem noch mal kurz zurück zu dem "Spiegel"-Gespräch, auch wenn Sie sagen, es ist eine Randnotiz, aber es spielt ja doch in der Diskussion jetzt eine Rolle. Die Linke argumentiert, hätte Gysi der Stasi über ein Interview mit dem "Spiegel" berichtet, hätte er sich doch selbst verraten. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?
Knabe: Also ich gehe davon aus, dass dieses Gespräch stattgefunden hat, das ist ja auch erst mal nicht ehrenrührig sozusagen, und das ist durch diesen Vermerk belegt. Die Stasioffiziere, mit denen er da gesprochen hat, nach den Unterlagen jedenfalls, leben auch noch, die kann man fragen, und das wird dann jetzt alles mit dem normalen Instrumentarium eines Strafverfahrens geprüft. Das ist auch der Unterschied zu früheren Prozessen.
Kaess: Also Sie rechnen damit, dass es zu einer Anklage kommt?
Knabe: Da bin ich mir doch sehr sicher, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft in einem ähnlichen Fall, nämlich beim früheren ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf, das Gleiche schon mal so durchexerziert hat. Und nach langer, langer Ermittlungszeit – zwei Jahre hat es damals gedauert –, dann tatsächlich die Anklage erhoben hat. Das heißt, für Herrn Gysi wird es eine echte Hängepartie, davon kann man ausgehen. Die werden das nicht vor den Bundestagswahlen einstellen.
Kaess: Die Einschätzungen des Historikers Hubertus Knabe, er ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Danke für das Gespräch!
Knabe: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Hubertus Knabe: Guten Morgen, Frau Kaess!
Kaess: Herr Knabe, glauben Sie, Gregor Gysi hat in seiner eidesstattlichen Erklärung gelogen?
Knabe: Ich glaube, dass vieles dafür spricht. Die ganze Diskussion hat jetzt ja einen ganz anderen Aspekt aufgeworfen. In diesem Fernsehfilm ging es ja nicht darum, dass er als Spitzel, also konspirativ für die Staatssicherheit tätig war, sondern ganz offiziell sie informiert hat über seine Mandanten. Der Vorwurf lautete auf Mandantenverrat, und er hat das rundheraus bestritten, dass er überhaupt über seine Mandanten mit dem Staatssicherheitsdienst gesprochen hätte, dafür gibt es allerdings sehr viele Vermerke, die das genau belegen.
Kaess: Aber Herr Knabe, in der eidesstattlichen Erklärung hat Gregor Gysi doch lediglich erklärt, er habe nicht über Mandanten oder sonst jemanden an die Stasi berichtet, das würde ja stimmen, selbst wenn er über das "Spiegel"-Gespräch berichtet hätte, denn da ging es ja nur um ihn selbst.
Knabe: Ja, das "Spiegel"-Gespräch ist eher eine Randnotiz nach meiner Einschätzung. Wirklich eng wird es da, wo er als Anwalt zahlreicher Stasihäftlinge dann auch in das Stasi-Gefängnis gegangen ist – das ging ja nicht anders hier in Berlin – hat dann dort mit seinen Mandanten gesprochen. Schon um da überhaupt reinzukommen, musste er natürlich mit dem Staatssicherheitsdienst reden, die Türen sind da ja nicht von alleine aufgegangen, und nach diesen Gesprächen mit seinen Mandanten – darüber gibt es eben verschiedene Vermerke –, hat er dann dem Staatssicherheitsdiensthabenden berichtet, was der Mandant gesagt hat und wie er ihn am besten austricksen könnte, um das mal so zusammenzufassen, zum Beispiel den Dissidenten Rudolf Bahro oder den Maler Erwin Klingenstein.
Kaess: Und diese Vermerke, die Sie ansprechen, sind für Sie eindeutige Belege?
Knabe: Ja, das kann man sich ja ganz gut vorstellen, da gibt es sicherlich auch weitere Unterlagen, wie er sich dann ankündigt, wie dann der Häftling dort hingeführt wird in dieses Gefängnis, wo diese Gespräche stattfanden. Da gibt es sicherlich auch Terminbücher, dann wurden diese Gespräche abgehört, das heißt, es gibt möglicherweise auch noch Tonbänder davon. Und dann, als der Häftling dann wieder weggebracht worden war, hat Gysi dann eben mit dem Offizier, der ihm da gegenübertrat, ganz offiziell, wie gesagt, gesprochen und gesagt, so und so ist die Lage, und wie können wir den am besten hier aus dem Lande befördern. Zum Beispiel im Fall des Dissidenten Rudolf Bahro. Oder wie können wir verhindern, dass ein kirchlicher Anwalt ihn vertritt, das waren dann die Themen dieser Gespräche.
Kaess: Rechnen Sie ernsthaft damit, dass da noch Tonbänder auftauchen könnten?
Knabe: Ja, da gibt es ja eine ziemlich große Sammlung, und das Material ist, was diese offizielle Seite seiner Tätigkeit anbetrifft, doch ziemlich dicht, weil es zu jedem Häftling dann eben auch ganz normale Unterlagen gab, wo das alles festgehalten worden ist, und es auch keinen Anlass gab aus Sicht der Staatssicherheit 1989, das alles zu vernichten, weil es wie gesagt nicht um den Spitzelvorwurf ging, sondern um die ganz offizielle Kooperation mit dem MfS, was gewissermaßen für einen DDR-Anwalt mehr oder weniger auch dazugehörte.
Kaess: Aber auf der anderen Seite konnte ja Gysi bis jetzt immer erfolgreich mit juristischen Mitteln gegen diese Vermutungen vorgehen, weil mehrere Gerichte den Stasiunterlagen nur eine eingeschränkte Beweiskraft einräumen. Wieso schenken Sie den Dokumenten so einen uneingeschränkten Glauben?
Knabe: Na ja, die Staatssicherheit hatte ja keinen Grund, sich selbst zu belügen, und das sind auch nicht einige Gerichte, sondern es gibt ein Gericht in Hamburg, die Pressekammer dort, die diese Rechtsprechung vertritt, dass man eben, wenn jemand als Stasi-Informant beschuldigt wird und das in einer Akte so steht, die sagen, das könnte ja auch falsch sein. Und wenn der Betroffene erklärt, er war nicht beim Staatssicherheitsdienst als Informant tätig, das an Eides statt tut, das gilt dann als Beweismittel, und deswegen kommt man dann zu der Entscheidung, im Zweifelsfall dürfe man eben nicht sagen, Herr Gysi sei ein Stasispitzel gewesen. Aber wie gesagt, hier geht es um eine ganz offizielle Kooperation, die in vielfältiger Weise aufdokumentiert ist. Und ich glaube, er ist einfach übers Ziel hinausgeschossen. Er hat mit denselben Methoden, wie er versucht hat, den Stasi-Vorwurf zurückzuweisen, jetzt auch diese offizielle Zusammenarbeit versucht zurückzuweisen, und das wird nach meiner Einschätzung nicht funktionieren.
Kaess: Aber Gysi bestreitet ja auch nur, inoffiziell mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben, den beruflichen Kontakt zur Stasi, den räumt er ja ein.
Knabe: Nein, eben nicht, das ist das Neue an dieser eidesstattlichen Versicherung, wo er ja nicht von konspirativer Zusammenarbeit spricht, sondern ganz generell, dass er nie mit dem Staatssicherheitsdienst über seine Mandanten gesprochen beziehungsweise über sie berichtet hätte. Und das sieht doch ziemlich anders aus.
Kaess: Ich möchte trotzdem noch mal kurz zurück zu dem "Spiegel"-Gespräch, auch wenn Sie sagen, es ist eine Randnotiz, aber es spielt ja doch in der Diskussion jetzt eine Rolle. Die Linke argumentiert, hätte Gysi der Stasi über ein Interview mit dem "Spiegel" berichtet, hätte er sich doch selbst verraten. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?
Knabe: Also ich gehe davon aus, dass dieses Gespräch stattgefunden hat, das ist ja auch erst mal nicht ehrenrührig sozusagen, und das ist durch diesen Vermerk belegt. Die Stasioffiziere, mit denen er da gesprochen hat, nach den Unterlagen jedenfalls, leben auch noch, die kann man fragen, und das wird dann jetzt alles mit dem normalen Instrumentarium eines Strafverfahrens geprüft. Das ist auch der Unterschied zu früheren Prozessen.
Kaess: Also Sie rechnen damit, dass es zu einer Anklage kommt?
Knabe: Da bin ich mir doch sehr sicher, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft in einem ähnlichen Fall, nämlich beim früheren ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf, das Gleiche schon mal so durchexerziert hat. Und nach langer, langer Ermittlungszeit – zwei Jahre hat es damals gedauert –, dann tatsächlich die Anklage erhoben hat. Das heißt, für Herrn Gysi wird es eine echte Hängepartie, davon kann man ausgehen. Die werden das nicht vor den Bundestagswahlen einstellen.
Kaess: Die Einschätzungen des Historikers Hubertus Knabe, er ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Danke für das Gespräch!
Knabe: Gerne!
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