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Fukushima: Leben mit der radioaktiven Strahlung

Ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe im Kernkraftwerk Fukushima ist die etwa 60 Kilometer entfernte Stadt Fukushima offenbar glimpflich davongekommen. "Das Gros der Stadt ist für die Menschen nach den Grenzwerten ungefährlich," sagt Wissenschaftsredakteurin Dagmar Röhrlich - doch die Tücke liegt in der individuellen Exposition.

Das Gespräch führte Benjamin Hammer |
    Benjamin Hammer: Wie lange darf mein Kind im Sand spielen? Können wir hier wohnen bleiben? Woher kommt die Milch aus meinem Supermarkt? – Solche Fragen haben sich die Menschen in Japan in den letzten zwölf Monaten häufig gestellt, besonders jene, die in einer Präfektur leben, die Fukushima heißt. Gestern um genau 14:46 Uhr Ortszeit hat das ganze Land in einer Schweigeminute an das Erdbeben vor einem Jahr gedacht, an den Tsunami und an die Atomkatastrophe. Ein Jahr danach bleibt die Trauer, bleibt die Zerstörung und bleiben die radioaktiven Strahlen. Aber wie viel Strahlung ist das eigentlich? Meine Kollegin Dagmar Röhrlich ist nun bei mir im Studio, sie ist im vergangenen Sommer in die Region Fukushima gereist. Frau Röhrlich, Sie waren auch in der Stadt Fukushima, die liegt so 60 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt. Schauen wir doch als Beispiel mal auf diese Stadt. Wie hoch ist dort momentan die Strahlung?

    Dagmar Röhrlich: In den meisten Bereichen dieser Stadt ist sie niedrig, ein bis drei Mikrosievert pro Stunde, Millisievert im Jahr. Es gibt aber auch Bereiche, wo sie höher ist, das ist sehr kleinräumig und dort wird man dann genau nachschauen müssen in den jetzt kommenden Monaten, wo muss ich reinigen, wo muss ich nicht reinigen. Wenn ich in diesem Normalbereich bin, da wird dann nichts gemacht werden. Man wird jetzt grundstücksweise vorgehen und sagen, aha, hier bin ich in einer Grenze, die 3,8 Mikrosievert pro Stunde überschreitet - das ist der Grenzwert für Evakuierung -, und da werde ich dann eingreifen, dort wird dann gereinigt werden müssen und man wird die Leute erst dann wieder dorthin zurücklassen, wenn klar ist, man ist unterhalb dieses Grenzwertes. Aber das ist jetzt wirklich Detailarbeit. Das Gros der Stadt ist für die Menschen nach den Grenzwerten ungefährlich.

    Hammer: Sie haben jetzt die Grenzwerte genannt, die an manchen Stellen überschritten werden oder kritisch sind. Wie hoch ist das eigentlich im Vergleich, wenn wir uns zum Beispiel Deutschland oder die USA anschauen? Wie hoch ist die Strahlung hier im Vergleich zu Fukushima?

    Röhrlich: In Deutschland hat man eine durchschnittliche Jahresbelastung, die zwischen einem und fünf Millisievert pro Jahr liegt. Das kommt sehr darauf an, wo ich wohne, in Norddeutschland ist sie geringer als im Bayrischen Wald beispielsweise. In Amerika sieht es ähnlich aus, da hat man, glaube ich, eine Durchschnittsbelastung von 3,1 Millisievert pro Jahr. In Fukushima, wenn man das umrechnet, wurde dort evakuiert, wo man über 20 Millisievert pro Jahr ist. Man hat diese 3,8 Millisievert pro Stunde dann hochgerechnet und das ist die Grenze, die man in einem Notfall als Limit annimmt, denn das ist ja nicht das normale. Wenn ich jetzt im ganz normalen täglichen Leben bin, dann darf die zusätzliche Belastung, die ich abbekomme durch Kernkraftwerke, durch irgendwelche Röntgengeräte, durch alles Mögliche, was so um mich herum betrieben wird, nicht ein Millisievert pro Jahr überschreiten. In einem Notfall kann ich natürlich nicht diese Normalgrenze nehmen, sonst müsste ich ja das halbe Land evakuieren, und da hat man diese 20 Millisievert genommen.

    Hammer: Die gesundheitlichen Folgen für die Menschen, die, sagen wir, am Rande des evakuierten Gebietes um Fukushima wohnen, aber dort wohnen bleiben, sind die dramatisch, oder sind die weniger dramatisch als befürchtet?

    Röhrlich: Man hat verschiedene Gruppen. Man muss die Leute betrachten, die evakuiert worden sind. Da sieht es nach 10.000 Ganzkörpermessungen, die vorliegen, und Befragungen so aus, als hätte man da sehr viel Glück gehabt, als seien die so schnell evakuiert worden, dass wahrscheinlich keine größeren gesundheitlichen Folgen zu befürchten sind. Sie werden in der Statistik untergehen, 40 Prozent der Japaner erkranken ohnehin an Krebs, und wenn da vielleicht irgendein Fall noch dazukommt, das wird man einfach nicht merken.
    Bei den Arbeitern, die dort vor Ort die Aufräumarbeiten machen, da ist die Belastung höher, aber auch da sieht es derzeit nicht so aus, als ob jetzt Werte erreicht würden, die ganz großes Risiko bedeuten würden für die Menschen. Und die Leute, die nicht evakuiert worden sind, da kommt es ein bisschen darauf an, wo wohnen die. Es gibt ein Dorf, Iitate heißt das, das ist erst einen Monat danach evakuiert worden. Dort werden die Menschen also mehr abbekommen haben. Direkt in den ersten Tagen hat es eine hohe Belastung abgekommen, man hat es nur nicht gemerkt und hat sie erst später rausgeholt. An sich geht man in den Bereichen diese 3,8 Mikrosievert pro Stunde Evakuierungsgrenze davon aus, dass man dort keine Folgen sehen wird, denn statistisch gesehen sehe ich erst ab 100 Millisievert pro Jahr einen Effekt, wenn jemand eine Dosis von 100 Millisievert abbekommen hat. Bei den 20 Millisievert pro Jahr sieht man den wahrscheinlich nicht, oder sieht man den nicht.

    Hammer: Frau Röhrlich, die Region um Fukushima herum war eine von Landwirtschaft geprägte Region. Wie sieht es aus mit Produkten aus der Region? Sind die sehr belastet, sollte man die nicht verzehren und kann es passieren, dass Gemüse von dort hier in Deutschland in den Supermärkten landet?

    Röhrlich: Man hatte anfangs einen Fehler gemacht, nämlich nicht sofort ein Verzehrverbot zu verhängen. Das ist jetzt bald darauf nachgeholt worden. Das heißt, im Moment kommt aus diesen hoch belasteten Gebieten nichts heraus. Es wird genau gemessen, wie hoch sind die Lebensmittel belastet. Am 1. April sollen auch die Grenzwerte noch weiter runtergesenkt werden. Diese Grenzwerte sind aber jetzt nicht so, dass es dann aus radiologischen Gründen eine weitere Absenkung geben wird, sondern aus psychologischen Gründen. Die Menschen haben Angst davor, denn am Anfang hat einiges nicht geklappt, man hat beispielsweise Tierfutter verwendet, das belastet war, sodass dann das Fleisch nachher auch belastet war, man hat vieles nicht sofort gemessen, weil man diese ganzen Messeinrichtungen gar nicht hatte, die es in Europa gibt, und von daher musste erst mal Vertrauen wiedergewonnen werden.

    Hammer: Ein Jahr nach dem Erdbeben und dem Reaktorunglück von Japan – Dagmar Röhrlich war bei uns im Studio. Herzlichen Dank.