Die Katakomben des Azuma yakyuujo sind mit Stolz gefüllt. Das Baseballstadion ist fast fertig gebaut, nur die Fahrstühle zur Tribüne fehlen noch. Auf der vielleicht prominentesten Baustelle in Fukushima-City, der Präfekturhauptstadt von Fukushima, läuft alles nach Plan. Wenn in zehn Monaten die Olympischen Spiele von Tokio beginnen, werden auch hier, im krisengeschüttelten Nordosten Japans, Begegnungen im Soft- und Baseball stattfinden.
Die Botschaft dahinter ist klar: Ein knappes Jahrzehnt nach der dreifachen Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Atom-Gau kann man in Fukushima leben, Spaß haben, die Welt willkommen heißen. An den Katastrophentagen vom März 2011, als ganze Landstriche überschwemmt und durch die atomaren Kernschmelzen unbewohnbar geworden waren, musste im 30-Kilometerradius evakuiert werden. Hunderttausende verloren ihr Zuhause, 20.000 Menschen starben.
Doch nun soll nach vorne gesehen werden.
"Das Azuma Stadion wird ein richtig moderner Spielort für die Olympischen Spiele 2020", erklärt ein Präfekturoffizieller bei einer Führung. "Die Sicherheitsstandards im Stadion sind jetzt höher. Es ist barrierefrei. Die Toiletten, die Kabinen, die Duschen sind neu. Der Untergrund war vorher Asche, jetzt haben wir Kunstrasen gelegt. Und die Tribünen sind neugemacht. 30.000 Zuschauer finden hier Platz. Das Stadion wird ein Erkennungszeichen des Wiederaufbaus von Fukushima."
Kernstück der Spiele des Wiederaufbaus
Das Azuma Stadium ist damit ein Kernstück der Erzählung, die das olympische Organisationskomitee an die japanischen Bürger und die Welt herantragen will. Tokio 2020, das werde "fukkou gorin", die Spiele des Wiederaufbaus. Premierminister Shinzo Abe erwähnt dies immer wieder. Und das Azuma Stadium wird ein handfester Beweis dafür. Oder auch nicht. Bei der Stadiontour heißt es auf Nachfrage:
"In der Katastrophe gab es hier keinen Schaden."
Was nicht weiter verwunderlich ist. Fukushima-City liegt 70 Kilometer landeinwärts von der Küste und dem havarierten Atomkraftwerk. Die Erdbebenschäden in Fukushima-City waren gering, der Tsunami erreichte die Stadt gar nicht, die radioaktive Strahlung liegt hier heute nur leicht über der von London. Vom immensen Schaden, den die Region an den Katastrophentagen vom März 2011 erlitt, war die Präfekturhauptstadt vergleichsweise kaum betroffen.
Trotzdem spricht man hier gern vom Wiederaufbau. Und was den Imageschaden angeht, den der Name Fukushima erlitten hat, ist dieser auch in der gesamten Region nötig.
Sind die Millionen klug investiert?
"Über den Sport können wir hier sehr viel erreichen. Indem er die Menschen anlockt, die die Bauten hier sehen, das Essen probieren und so weiter. Das ist Teil der Erholung in Fukushima."
Oben auf der Tribüne im Stadion berichtet Takahiro Sato, zuständig für Wiederaufbau und Sport in der Präfektur, über ein Baseballturnier vor einiger Zeit mit Kindern aus 14 Ländern. Sato erzählt:
"Das ist toll, weil die Kinder ihre positiven Eindrücke in die Welt tragen, aber auch weil die Menschen hier in Fukushima sehen, dass sie von der Welt nicht vergessen wurden. Die Olympischen Spiele im nächsten Jahr werden dafür ein sehr wichtiges Zeichen werden."
Das Schlagwort "Spiele des Wiederaufbaus" ist trotzdem missverständlich. Zumal wenn die Ausformung dieses Projekts ein Stadion ist, das nie beschädigt wurde. Zudem wird im Azuma Stadium jenseits von Olympia auch bis auf Gastspiele nur zweitklassiger Baseball gespielt. Es lässt sich fragen, ob die umgerechnet elf Millionen Euro, die die Aufwertung des Stadions kostet, wirklich klug investiert sind.
Spiele verhindern Wiederaufbau
Denn anderswo in der Präfektur sieht die Situation weniger nach Wiederaufbau aus. Noch im nächsten Jahr, wenn die Olympischen Spiele auch nach Fukushima kommen, werden ganze Orte evakuiert bleiben. Und im März dieses Jahres wurden Wohnunterstützungen für Evakuierte aus Fukushima gestrichen.
An einigen Orten zeigt sich sogar, dass die Olympischen Spiele nicht den Wiederaufbau bringen, sondern ihn verhindern. Zum Beispiel die Kleinstadt Okuma, die in unmittelbarer Nähe zum havarierten Kraftwerk Fukushima Daiichi liegt. Seit dort im April die Evakuierungsanordnung teilweise aufgehoben wurde, muss der Ort dringend in Infrastruktur investieren, damit möglichst viele der einst 11.000 Einwohner tatsächlich zurückkehren.
Nur ließ die Stadtverwaltung vor kurzem verlauten, dass das Geld nicht reicht: wegen der starken Nachfrageeffekte durch olympische Bauprojekte in Tokio seien die Materialkosten gestiegen. Rund 6,7 Millionen teurer würde ein geplantes Einkaufs- und Geschäftszentrum nun werden, also etwa halb so viel wie die Stadionrenovierung des Azuma Stadium. Weil es in Okuma an Mitteln fehle, ist das für die Erholung des Orts zentrale Bauvorhaben um mindestens ein Jahr aufgeschoben.
Höhere Preise durch Olympia-Projekte
Auf Nachfrage bestätigen auch die Präfekturoffiziellen, dass die Lage nicht überall gut ist. Takahiro Sato sagt:
"Es gibt natürlich noch Menschen, die evakuiert leben. Wir arbeiten daran, dass jeder, der will, schnellstmöglich in seine Heimat zurückkehren kann. Und wir wollen auch die Olympischen Spiele dazu nutzen. Überall machen wir auch Veranstaltungen, um die Menschen miteinzubeziehen. Auch damit sollen sie vom Wiederaufbau etwas fühlen."
Es sieht nicht überall so aus, als würde das funktionieren. Ein weiterer Ort ist die 35.000-Einwohnerstadt Kamaishi in der nördlich von Fukushima gelegenen Präfetkur Iwate. Eine durch das Erdbeben beschädigte Sporthalle sollte ein knappes Jahrzehnt später wiederhergestellt werden. Doch das Rathaus von Kamaishi kommunizierte im Sommer, dass bestimmte Spezialschrauben nicht mehr zu erschwinglichen Preisen erhältlich seien, weil diese auf olympischen Baustellen in Tokio stark nachgefragt würden. Ein Umsatteln auf Alternativmaterial sei mit Mehrkosten von rund 3,2 Millionen Euro verbunden. Die für diesen Sommer geplante Fertigstellung scheint sich nun zu verzögern.
Je weiter die Orte von den olympischen Schlaglichtern entfernt sind, desto schleppender läuft der Wiederaufbau voran. Doch in Tokio, dem Zentrum des Baubooms, setzt man nicht zuletzt auf Wirkung. Gefragt nach der Lage in Fukushima, sagt Masa Takaya, Sprecher des Organisationskomitees:
"Ich möchte erwähnen, dass Fukushima absolut sicher ist. Letztens war auch der IOC-Präsident Bach hier, und er war beeindruckt, wie gut sich die Region erholt hat."
Sofern sich Thomas Bach und die Besucher aus aller Welt auf das Azuma yakyuujo konzentrieren, wird der Wiederaufbau gut aussehen. Auch deshalb, weil das Geld anderswo, wo man es dringend brauchen könnte, nicht investiert wurde.