Kurz nach der Fukushima-Havarie legte Kanada ein Programm zur Überwachung der Radioaktivität im Pazifik auf. Die Frage war, wann die Radionuklide Nordamerika erreichen würden:
"Wir haben etwa drei Monate nach dem Unfall bei unseren ersten Messungen weit draußen vor der kanadischen Küste zunächst nur Hintergrundstrahlung detektiert. Die stammt von Atombombenabwürfen und oberirdischen Nukleartests der 1950er- und 60er-Jahre. Es geht dabei um das Radionuklid Cäsium 137, das eine Halbwertzeit von rund 30 Jahren hat. Wir mussten dann dieses 'alte' Radiocäsium von dem aus Fukushima unterscheiden."
Cäsium 134 als Marker
Das funktioniere mit Hilfe eines anderen Isotops, Cäsium 134, erklärt John Smith vom Bedford Institute of Oceanography in Dartmouth, Nova Scotia. Cäsium 134 hat eine Halbwertzeit von nur zwei Jahren, und wenn es in den Analysen auftaucht, muss es aus Fukushima stammen:
"2012 haben wir an den ersten Messstationen sehr geringe Mengen an Fukushima-Cäsium gemessen. Im Juni 2013 hatte es sich Nordamerika dann bis auf 1500 Kilometer genähert, und wir rechnen damit, dass es in diesen Tagen direkt auf die kanadische Küste trifft. Die Werte lagen bei einem Becquerel Cäsium 137 pro Kubikmeter Meerwasser und waren damit extrem niedrig."
Dazu, wie Radioaktivität im Meer transportiert wird, gibt es derzeit zwei Modellrechnungen. Die sollen sich unter anderem darin unterscheiden, wie Wirbel in die Simulationen eingehen, und sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwar steigt bei beiden an der Küste Nordamerikas der Gehalt an radioaktivem Cäsium langsam an, und beide sehen das Maximum Mitte 2015 erreicht. Aber das eine Modell geht von bis zu 27 Becquerel pro Kubikmeter Wasser aus, das andere von höchstens zwei Becquerel:
"Wichtig ist, dass solche Werte keine Gefahr darstellen, weder für die Menschen, noch für die Ökosysteme. Zum Vergleich: In der Ostsee liegt durch Tschernobyl die Belastung bei 40 Becquerel Cäsium 137 pro Kubikmeter Wasser, in der Irischen See durch Sellafield bei 61 Becquerel. Selbst wenn also die Belastung an der Westküste Nordamerikas auf 27 Becquerel anwächst, ist das nicht gefährlich", betont Ken Buesseler von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts.
Sein Kollege John Smith wählt einen anderen Vergleich: "Ist das Modell mit den höheren Werten korrekt, werden die Werte nicht die des Nuklearwaffentest-Fallouts während der 1960er-Jahre überschreiten. Bei dem anderen Modell entspricht das Niveau dem der Hintergrundstrahlung während der frühen 1990er-Jahre."
Bessere Modelle mit neuen Daten
Trotzdem verfolgen die Ozeanographen die Entwicklung gespannt, denn die Messungen entscheiden, welches der Modelle zum Transport von Radioaktivität das bessere ist. Weil die US-Regierung kein Messprogramm auflegt, hat Ken Buesseler ein durch Spenden finanziertes Citizen-Science-Projekt ins Leben gerufen: Zwischen Kalifornien und Alaska nehmen Bürger nach genauen Vorgaben in ihren Buchten Meerwasserproben und schicken sie nach Woods Hole, wo sie analysiert werden. Ken Buesseler:
"Schließlich gibt es entlang der Küsten dieser Welt viele Reaktoren, und ein Unfall wie Fukushima oder Tschernobyl kann wieder passieren. Selbst wenn diesmal die Belastung gering ist, möchten wir beim nächsten Unfall besser vorhersagen können, wie und wie schnell sich die Radioaktivität ausbreitet."
Bislang sei jedoch noch in keiner Probe aus den Buchten der nordamerikanischen Westküste das für Fukushima diagnostische Cäsium 134 aufgetaucht:
"Weil die Radionuklide aus Fukushima noch gar nicht da sind, können sie wohl kaum für die vielen Phänomene verantwortlich sein, die ihnen beispielsweise vor Kalifornien zugeschrieben werden: weder für das Seesternsterben noch für die Tumoren an den Fischen und anderes mehr."
Vielmehr erkunden Meeresbiologen für diese Phänomene gerade andere Ursachen - von Seuchen bis zu den Folgen der allgemeinen Umweltverschmutzung.