Ein Akkubohrer, eine Tüte voller kleiner Plastikbehälter und darin jeweils fünf Milliliter hellbraune Flüssigkeit:
"Sieht aus wie Latte Macchiato."
Teamwork im Versuchsweinberg. Der Chemiker Sebastian Beckers vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz bohrt Löcher in die Stämme von Riesling-Reben. Da steckt sein Kompagnon dann die kleinen Kolben mit dem vermeintlichen Latte Macchiato rein: der Biologe Jochen Fischer vom Institut für Biotechnologie und Wirkstoffforschung in Kaiserslautern:
"Dieses Klickgeräusch, wenn der Injektor einrastet. Im Endeffekt ist es nichts anderes als eine überdimensionale Spritze."
"Ist quasi wie so eine Impfung, die die halt kriegen. Die trinken jetzt quasi."
"Jochen, nimmst Du hier das obere Loch? Ich habe hier zwei. Das eine ist leider auf der anderen Seite wieder rausgekommen."
"Alles klar!"
"Das wäre nicht so gut."
Morsche Stämme durch Esca
Die Anlage mit den Versuchsreben befindet sich in Neustadt an der Weinstraße. Sie gehört zum Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Der Biologe Andreas Kortekamp leitet dort das Institut für Phytomedizin:
"Zur Bekämpfung verschiedener Schädlinge und Krankheiten führen wir hier in diesen Anlagen Versuche durch. Für uns ganz wichtig aktuell das Thema Esca. Ein Problem, das uns schon seit einigen Jahren beschäftigt, weil es letztendlich für die Weinrebe eine todbringende Krankheit ist, die über kurz oder lang zum Absterben des Rebstockes führt."
Sein Kollege Sebastian Beckers geht zur nächsten Rebe:
"Dann nehmen wir jetzt einfach die nächste noch."
"Genau!"
"Und dann gehen wir, eins, zwei, drei weiter."
Esca – infizieren sich Weinreben mit der Krankheit, werden ihre Stämme mit der Zeit immer morscher. Das ist das Werk einer Reihe holzzersetzender Pilze:
"Beispielsweise der sogenannte Mittelmeer-Feuerschwamm, also ein Erreger, der seinen Siegeszug von Süden nach Norden angetreten hat. Wir vermuten, dass da eben auch klimatische Veränderungen eingetreten sind, die das begünstigt haben. Wir verlieren jedes Jahr ungefähr ein Prozent der Reben durch diese Krankheit. Wenn Sie einen Weinberg haben, der mal 30 Jahre lang stehen soll, dann hätten Sie in der Zeit also schon mal mindestens 30 Prozent der Reben verloren. Und das verursacht jedes Jahr einen finanziellen Schaden in der Größenordnung von 50 Millionen Euro."
Es gibt inzwischen Behandlungsmittel. Doch sie wirken nur vorbeugend, wenn noch keine Infektion vorliegt. Viele Reben tragen die Schadpilze aber bereits in sich:
"Die hat jetzt 12 Jahre auf dem Buckel."
Sebastian Beckers und Jochen Fischer bohren unterdessen weiter Löcher in die Stämme der Riesling-Reben:
"Hast Du die schon gebohrt?"
"Die hab‘ ich schon gebohrt."
"Ah, ich seh’s, ja!"
Keine Fungizide in der Umwelt
Hier setzt das Projekt in Neustadt an. Die Forscher haben einen Weg gefunden, um die Pilze auch dann zu töten, wenn sie schon tief im Rebholz nisten. In ihrer Milchkaffee-braunen Flüssigkeit stecken winzige Nanopartikel. Sie bestehen aus dem Holzbestandteil Lignin. Darin eingekapselt ist ein Fungizid, also ein Pilzbekämpfungsmittel. Spritzt man ein paar Milliliter der braunen Brühe in den Stamm der Weinrebe, verteilt sie sich über die Leitungsbahnen in der ganzen Pflanze und dringt so auch bis zu den Pilzherden im Holz vor. Dort entfaltet sie dann ihre Giftwirkung: Denn die Schadpilze machen sich über die Nanopartikel her. Für sie sei Lignin nämlich ein ganz normales Nahrungsmittel, so Andreas Kortekamp:
"Der besondere Charme bei dieser Methodik ist, dass die Schadpilze ihr Umfeld quasi selbst vergiften. Das ist wie eine Tretmine, die wir eingebracht haben, die in der Weinrebe schlummert. Und dass das Fungizid, dieses Pilzbekämpfungsmittel, erst dann freigesetzt wird, wenn der Schadpilz dabei ist."
Weiterentwicklung und Vermarktung des neuen Verfahrens
Ein Trojanisches Pferd mit tödlichem Inhalt, dem die Pilze nicht widerstehen können! Und eine Methode, bei der kein Fungizid in die Umwelt gelangt, wie Jochen Fischer betont. Ganz anders als bei der üblichen Sprühanwendung mit dem Weinbergstraktor:
"Was wir bisher festgestellt haben, ist, dass unser System sehr gut funktioniert bei Pflanzen, die erste Esca-Symptome zeigen, also in einem frühen Stadium sind. Da haben wir bis zu 95 Prozent aller Pflanzen gerettet. Während wir zum Beispiel auch Versuche gemacht haben mit sehr alten Pflanzen. Und da haben wir feststellen müssen, dass wir einen relativ hohen Ausfall hatten. Also, es gibt wohl so eine Art Kipppunkt, wo natürlich die Pflanze auch so geschädigt ist, dass auch eine Behandlung nicht mehr dazu führt, dass man die Pflanze retten kann."
Wo dieser Kipppunkt genau liegt, wollen die Forscher in weiteren Versuchen herausbekommen. Und dann auch einen Industriepartner finden, der die Trojanischen Tretminen vermarktet. Ihre bisherigen Ergebnisse haben sie soeben in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Dadurch erhofft sich Andreas Kortekamp zusätzliche Aufmerksamkeit für das neue Verfahren:
"Nicht nur in Deutschland, auch in Europa. Da gibt es einen sehr großen Markt dafür. Diese Krankheit tritt mal stärker auf und mal schwächer, aber sie ist überall zu finden."
Sebastian Beckers legt unterdessen den Akkubohrer zur Seite:
"So, das war’s auch schon! Sind quasi durch."