"Beim Kinderfußball stehen persönliche Erfolgserlebnisse und Spaß am Spiel im Vordergrund. Damit jedes Kind möglichst viel spielen kann, sind die Mannschaften deutlich kleiner als bisher."
So propagiert der Deutsche Fußball-Bund in einem gerade neu erschienenen Video eine kleine Revolution. Einen Umbruch, der zwar in vielen Klubs längst Wurzeln geschlagen hat, den der Verband nun aber endlich auch flächendeckend etablieren möchte. Mit einer Pressekonferenz in dieser Woche, neuen Publikationen und einer Sprechstunde für Trainer und Funktionäre wird Tempo gemacht. Kinder sollen sich in den Fußballvereinen unterhalb der D-Jugend, also ungefähr bis zum elften Lebensjahr, aus dem Ligensystem und von der üblichen Spielform des sieben gegen sieben verabschieden, sagt Markus Hirte, der Sportliche Leiter für Talentförderung im DFB:
"Was die Idee ist: dass wir die Komplexität des Spielgeschehens mit den Kindern mitwachsen lassen. Dass Kinder zu jedem Entwicklungsstand in der Lage sind, eine Spielsituation zu erfassen, bewusste Entscheidungen zu treffen. Und nicht überfordert zu sein."
Der große Platz, die riesigen Tore, die Unübersichtlichkeit durcheinander rennender Spieler, brüllende Trainer - diese Flut an Einflüssen ist für Kinder kaum zu bewältigen. Der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts und seine Kollegin Tina Theune, die bis 2005 die Frauen-Nationalmannschaft trainierte, haben das schon vor mehr als 20 Jahren gesagt. Und trafen auf massive Widerstände.
Mehr Erfolgserlebnisse und höhere Nettospielzeit
Seit knapp drei Jahren wird nun eine Spielform namens Funino immer populärer. Gespielt wird drei gegen drei auf vier Tore. Jedes Team hat höchstens zwei Ersatzspieler, nach jedem Treffer findet ein Spielertausch statt. Und die Wettkämpfe werden am Wochenende in Form kleiner Turniere mit vielen Mannschaften ausgetragen. Dieses System soll nun Alltag werden, womit sich eine ganze Kultur verändert. Trainer sind plötzlich Spielfeldbegleiter, draußen warten Rotationsspieler auf ihren Einsatz, die Wettkämpfe heißen Festivals, Gegner Spielpartner und Torhüter Torspieler.
Es ist eine Revolution, die Dimitrios Hrissanthou, den Trainer der U10 von Fortuna Köln, in Begeisterung versetzt. Denn nach so einem Festival haben "alle Kinder Erfolgserlebnisse gehabt, offensiv, defensiv, Tore erzielt, Tore verhindert, sind eingesetzt worden, haben eine viel höhere Nettospielzeit als im sieben gegen sieben, und darauf kommt es an", sagt der Mann, der im Kreis Köln Referent für die neuen Spielformen ist und beim Fußballverband Mittelrhein in der Ausbildung für Kindertrainer arbeitet. Seit zweieinhalb Jahren wird bei Fortuna Köln Kinderfußball nach dem neuen Modell gespielt, Hrissanthou schwärmt:
"Das Markante ist, dass ich in meinem Kader viel mutigere Kinder habe, die in ein eins gegen eins gehen, die sich viel mehr zutrauen mit Ball. Wir haben Kinder, die das Spiel viel einfacher eröffnen können. Das ist ein druckfreies Arbeiten, schon alleine durch die Tatsache, dass alle Kinder eingesetzt werden am Wochenende, also kein Kind zuhause bleiben muss."
Mittlerweile sind die Vorzüge dieser neuen Spielformen wissenschaftlich belegt, und dennoch treffen die innovativen Jugendabteilungen oft auf Skepsis und Widerstände. Bei Eltern, aber auch bei Trainern, die nicht mehr wie Jürgen Klopp in der Champions League am Spielfeldrand herumtoben können, weil der Wettbewerb entschärft ist. Auf die Kritik der Kinder, denen das Torhüterspiel und Fernschüsse fehlten, wurde hingegen bereits reagiert, erzählt Hrissanthou.
Tor- und Mannschaftsgrößen werden variiert
Im ersten Jahr mit den neuen Spielformen hätten viele Beteiligte "das Gefühl gehabt, dass doch etwas fehlt. Wir haben uns dann entschieden, das DFB-Konzept als Basis zu nehmen und unsere Erfahrungen aus dem Spielbetrieb einzuarbeiten und haben dann Jugendtore mit dazu gekommen, dass wir den Torhüter mit einbauen können, dass wir ein viel wichtigeres Element, was kaum genannt wird, mit einbringen und zwar den Spannstoß. Die Kinder spielen abwechselnd sowohl auf Minitore als auch auf Jugendtore."
Diese Form der Flexibilität wird explizit begrüßt beim DFB. Tor- und Mannschaftsgrößen sollen variiert werden. Wenn Teams zu deutlich führen, können ihnen Handicaps aufgebürdet werden, zum Beispiel ein Spieler mehr beim Gegner, bis der Vorsprung auf ein Tor geschrumpft ist. In der Praxis spielen die Teams aber oft sowohl in den Kinderfußballformaten, die der DFB bis zur D-Jugend empfiehlt, als auch im alten Ligensystem. Das führt zu Verwirrung. In der DFB-Sprechstunde für Trainer sagt Sven Gabler, der die U12 der Friedrichshagener Wölfe betreut:
"Teilweise wird es belächelt, teilweise wird es sehr ernst genommen. Aber insgesamt muss von zentraler Seite, also von Seiten des DFB noch klarer gemacht werden, dass wir wahrscheinlich die ganze Wettbewerbsstruktur ändern müssen. Denn wenn das Ligensystem nicht eingestellt wird, dann können wir uns lange Jahre in Pilotprojekten vereinen, aber dann kommen wir nicht die richtigen Schritte weiter. Wir kriegen null Unterstützung vom Verband, irgendwann muss das mal von zentraler Seite gesteuert werden."
Bestimmte Spielertypen fehlen
Das ist aber schwierig im föderalistisch organisierten DFB. Vielen Funktionären auf Landes- und Kreisebene fällt der Abschied vom gewohnten Jugendfußball schwer. Zumal oft sogar die Nachwuchsabteilungen der großen Bundesligavereine nur zögerlich mitziehen beim Modernisierungsprozess. Dabei soll das neue Konzept nicht nur in der Breite bessere und glücklichere Fußballer hervorbringen, sondern auch stärkere Profis.
Markus Hirte, der Leiter der Talentförderung beim DFB, konstatiert, "dass bestimmte Qualitäten, bestimmte Spielertypen immer weniger werden. Und das sind genau diese Spielertypen, Individualisten, die enge Spielsituationen lösen können, die eine Idee haben, die etwas Überraschendes ins Spiel mit einbringen können, diese Spielertypen, diese Fähigkeit geht nach und nach verloren."
Das soll sich mit dem neuen Kinderfußball ändern. Im Alltag von Ländern wie Belgien, den Niederlanden oder der Schweiz sind die kleinen Spielformen übrigens längst etabliert. Womöglich liegt hier eine der Ursachen dafür, dass Juniorennationalmannschaften dieser Nationen derzeit oft erfolgreicher sind als die Teams des DFB.