Politische Entscheidungen und Gesetzesvorhaben sind in zunehmendem Maße von einem Prinzip bestimmt, das auf Ängste in der Bevölkerung reagiert und sich dadurch legitimiert. Sowohl der staatliche als auch der private Planungshorizont stehen immer mehr im Zeichen des Risikomanagements. Der Wunsch, die Zukunft verfügbar zu machen und ihr sorgenfrei entgegenzusehen, nimmt um so irrationalere Formen an, je mehr Risiken bekannt werden und, wie derzeit vornehmlich im Fall des Terrorismus oder im Umweltbereich, schwer fassbare Gefahren drohen, die mit herkömmlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht zu bewältigen zu sein scheinen.
Mit seinem Buch "Laws of Fear", "Gesetze der Angst", geht der Chicagoer Rechtsphilosoph Cass Sunstein auf die enge Verbindung von Angst und Politik ein, die sich im Vormarsch des Vorsorgeprinzips manifestiert. Dabei stellt er von vornherein klar, dass Ängste sehr wohl Einfluss auf Entscheidungen haben können und sollen. Nur müsse zwischen rationaler und irrationaler Angst unterschieden werden. Diese Unterscheidung macht er zur Voraussetzung seiner gemäßigten Kritik des Vorsorgeprinzips, das er in seinen Auswüchsen korrigiert sehen möchte. Ängste können wirkliche Gefahren oder Bedrohungen anzeigen, aber auch aufgrund von sozialpsychologischen Mechanismen, politischer, wirtschaftlicher oder massenmedialer Beeinflussung sowie der Nichtbeachtung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden oder Katastrophen Gefahrenpotenziale irrational vergrößern.
"Die Selektivität der Angst wird durch die Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten noch verstärkt. Aufgrund intensiver Emotionen konzentrieren sich die Menschen auf den schlimmstmöglichen Fall, ohne zu bedenken, wie gering die Wahrscheinlichkeit seines Eintretens ist. Die Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten ist ein ernstzunehmendes Problem, da sie zu völlig verzerrten Prioritäten führt. Soziale Einflüsse verschärfen dieses Problem noch zusätzlich. Wenn verängstigte Menschen vor allem mit anderen verängstigten Menschen sprechen und einander zuhören, wird sich ihre Angst ganz unabhängig von der Realität vergrößern. Und wenn furchtlose Menschen miteinander über den ungerechtfertigten Eifer derjenigen herziehen, die sich über die Erderwärmung, Asbest oder Berufskrankheiten Sorgen machen, werden sie noch weniger Angst empfinden, selbst wenn die entsprechende Gefahr real ist."
Aber nicht nur kann Angst Gesetze machen, sondern Gesetze können auch Angst machen. Politische Entscheidungen können andere und sogar gefährlichere Risiken schaffen als die, die sie abwehren wollen. Sunsteins prominentestes Beispiel für diesen Fall einer Überstrapazierung des Vorsorgeprinzips ist der Irak-Krieg. Die Bekämpfung des Terrorismus durch diesen Präventivkrieg beseitige die Gefahr, die von ihm ausgeht, nicht, sondern vergrößere sie und rechtfertige weder die Kosten noch die Beschränkungen von bürgerlichen Freiheitsrechten, die aus Vorsorgegründen angeblich nötig sind.
Eine starke Anwendung des Vorsorgeprinzips hält der Autor dagegen im Umweltbereich für notwendig. Die Erderwärmung lässt katastrophale Folgen befürchten, so dass alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden müssten, um sie abzuwehren, auch wenn sich weder ihre Wirksamkeit durch eine exakte Kosten-Nutzen-Analyse noch die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Folgen eintreten werden, genau bestimmen ließen.
Die Anwendung des Vorsorgeprinzips, das Risikomanagement, setze also ein Angstmanagement voraus: Regulierungsbehörden müssten zwischen überzogener und unzulänglicher Angst unterscheiden und zwischen technokratischen Lösungen, die Ängste in der Bevölkerung ignorieren, und populistischen Lösungen, die sie schüren, eine abwägende Strategie verfolgen. Das "deliberative" Demokratiemodell, das der Autor befürwortet, ist seiner Ansicht nach am besten durch einen Politikstil repräsentiert, den er als "libertären Paternalismus" bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die Bürger in ihren Entscheidungen natürlich grundsätzlich frei sind, aber gleichzeitig über ihre Köpfe hinweg zu ihrem eigenen Besten auch beeinflusst werden können und müssen, wenn ihre Ängste vor bestimmten Gefahren zu groß oder zu gering sind.
"Dieser Ansatz wahrt die Entscheidungsfreiheit und ermutigt sowohl private als auch öffentliche Institutionen, Menschen im Interesse ihres eigenen Wohlergehens zu beeinflussen. [...] Die Ängste der Menschen werden häufig nicht durch die Realität gedeckt, und die Menschen machen sich oftmals keine Sorgen um eigentlich recht ernst zu nehmende Risiken. Leider sind heute viele Entscheidungen das Ergebnis von Standardregelungen, deren verhaltendsleitende Effekte nie wirklich bedacht worden sind. Die vernünftigsten Korrektive müssen Entscheidungen nicht notwendig einschränken, entscheiden aber im Zweifelsfall zugunsten des menschlichen Wohlergehens."
Mit dieser Konstruktion will der Autor anscheinend den europäischen Gedanken des "Vorsorgestaats" und das liberalistische Credo, das dem Staat untersagt, in die private Entscheidungssphäre zu intervenieren, auch wenn es im eigentlichen Interesse der Bürger ist, unter einen Hut bringen. Auf die Probleme der politischen Theorie, die sich mit diesem Spagat stellen, geht Sunstein nicht ein. Seine Analyse des Vorsorgeprinzips ist empirisch gehalten und praxisnah. Sie steht der Theorie rationaler Entscheidungen näher als der politischen Theorie. Es bleibt aber die Frage, wenn wir auf die von ihm genannten zentralen Risikobereiche der Gegenwart, Terrorismus und Umweltschäden, zurückkommen, warum in den USA im einen Fall das Vorsorgeprinzip zu stark und im anderen zu schwach angewandt wird, während in Europa beispielsweise der umgekehrte Trend zu beobachten ist. Diese Frage wäre wohl doch mit einer politischen Theorie zu beantworten, die sich mit den national und regional unterschiedlichen "Angstkulturen" beschäftigt, um die gemeinsame Handlungsfähigkeit weltweit zu stärken. Denn es gibt zunehmend Ängste, die eine globale Dimension haben und entsprechende Gesetze verlangen.
Cass R. Sunstein: Gesetze der Angst. Jenseits des Vorsorgeprinzips
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007
333 Seiten, 24,80 Euro
Mit seinem Buch "Laws of Fear", "Gesetze der Angst", geht der Chicagoer Rechtsphilosoph Cass Sunstein auf die enge Verbindung von Angst und Politik ein, die sich im Vormarsch des Vorsorgeprinzips manifestiert. Dabei stellt er von vornherein klar, dass Ängste sehr wohl Einfluss auf Entscheidungen haben können und sollen. Nur müsse zwischen rationaler und irrationaler Angst unterschieden werden. Diese Unterscheidung macht er zur Voraussetzung seiner gemäßigten Kritik des Vorsorgeprinzips, das er in seinen Auswüchsen korrigiert sehen möchte. Ängste können wirkliche Gefahren oder Bedrohungen anzeigen, aber auch aufgrund von sozialpsychologischen Mechanismen, politischer, wirtschaftlicher oder massenmedialer Beeinflussung sowie der Nichtbeachtung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden oder Katastrophen Gefahrenpotenziale irrational vergrößern.
"Die Selektivität der Angst wird durch die Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten noch verstärkt. Aufgrund intensiver Emotionen konzentrieren sich die Menschen auf den schlimmstmöglichen Fall, ohne zu bedenken, wie gering die Wahrscheinlichkeit seines Eintretens ist. Die Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten ist ein ernstzunehmendes Problem, da sie zu völlig verzerrten Prioritäten führt. Soziale Einflüsse verschärfen dieses Problem noch zusätzlich. Wenn verängstigte Menschen vor allem mit anderen verängstigten Menschen sprechen und einander zuhören, wird sich ihre Angst ganz unabhängig von der Realität vergrößern. Und wenn furchtlose Menschen miteinander über den ungerechtfertigten Eifer derjenigen herziehen, die sich über die Erderwärmung, Asbest oder Berufskrankheiten Sorgen machen, werden sie noch weniger Angst empfinden, selbst wenn die entsprechende Gefahr real ist."
Aber nicht nur kann Angst Gesetze machen, sondern Gesetze können auch Angst machen. Politische Entscheidungen können andere und sogar gefährlichere Risiken schaffen als die, die sie abwehren wollen. Sunsteins prominentestes Beispiel für diesen Fall einer Überstrapazierung des Vorsorgeprinzips ist der Irak-Krieg. Die Bekämpfung des Terrorismus durch diesen Präventivkrieg beseitige die Gefahr, die von ihm ausgeht, nicht, sondern vergrößere sie und rechtfertige weder die Kosten noch die Beschränkungen von bürgerlichen Freiheitsrechten, die aus Vorsorgegründen angeblich nötig sind.
Eine starke Anwendung des Vorsorgeprinzips hält der Autor dagegen im Umweltbereich für notwendig. Die Erderwärmung lässt katastrophale Folgen befürchten, so dass alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden müssten, um sie abzuwehren, auch wenn sich weder ihre Wirksamkeit durch eine exakte Kosten-Nutzen-Analyse noch die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Folgen eintreten werden, genau bestimmen ließen.
Die Anwendung des Vorsorgeprinzips, das Risikomanagement, setze also ein Angstmanagement voraus: Regulierungsbehörden müssten zwischen überzogener und unzulänglicher Angst unterscheiden und zwischen technokratischen Lösungen, die Ängste in der Bevölkerung ignorieren, und populistischen Lösungen, die sie schüren, eine abwägende Strategie verfolgen. Das "deliberative" Demokratiemodell, das der Autor befürwortet, ist seiner Ansicht nach am besten durch einen Politikstil repräsentiert, den er als "libertären Paternalismus" bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die Bürger in ihren Entscheidungen natürlich grundsätzlich frei sind, aber gleichzeitig über ihre Köpfe hinweg zu ihrem eigenen Besten auch beeinflusst werden können und müssen, wenn ihre Ängste vor bestimmten Gefahren zu groß oder zu gering sind.
"Dieser Ansatz wahrt die Entscheidungsfreiheit und ermutigt sowohl private als auch öffentliche Institutionen, Menschen im Interesse ihres eigenen Wohlergehens zu beeinflussen. [...] Die Ängste der Menschen werden häufig nicht durch die Realität gedeckt, und die Menschen machen sich oftmals keine Sorgen um eigentlich recht ernst zu nehmende Risiken. Leider sind heute viele Entscheidungen das Ergebnis von Standardregelungen, deren verhaltendsleitende Effekte nie wirklich bedacht worden sind. Die vernünftigsten Korrektive müssen Entscheidungen nicht notwendig einschränken, entscheiden aber im Zweifelsfall zugunsten des menschlichen Wohlergehens."
Mit dieser Konstruktion will der Autor anscheinend den europäischen Gedanken des "Vorsorgestaats" und das liberalistische Credo, das dem Staat untersagt, in die private Entscheidungssphäre zu intervenieren, auch wenn es im eigentlichen Interesse der Bürger ist, unter einen Hut bringen. Auf die Probleme der politischen Theorie, die sich mit diesem Spagat stellen, geht Sunstein nicht ein. Seine Analyse des Vorsorgeprinzips ist empirisch gehalten und praxisnah. Sie steht der Theorie rationaler Entscheidungen näher als der politischen Theorie. Es bleibt aber die Frage, wenn wir auf die von ihm genannten zentralen Risikobereiche der Gegenwart, Terrorismus und Umweltschäden, zurückkommen, warum in den USA im einen Fall das Vorsorgeprinzip zu stark und im anderen zu schwach angewandt wird, während in Europa beispielsweise der umgekehrte Trend zu beobachten ist. Diese Frage wäre wohl doch mit einer politischen Theorie zu beantworten, die sich mit den national und regional unterschiedlichen "Angstkulturen" beschäftigt, um die gemeinsame Handlungsfähigkeit weltweit zu stärken. Denn es gibt zunehmend Ängste, die eine globale Dimension haben und entsprechende Gesetze verlangen.
Cass R. Sunstein: Gesetze der Angst. Jenseits des Vorsorgeprinzips
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007
333 Seiten, 24,80 Euro