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"Fußball-Blase"
Maßlosigkeit statt Weitsichtigkeit?

Mehr Wettbewerbe, mehr Spiele, mehr Geld: Das ist seit Jahren die Marschrichtung des Profifußballs. Doch inzwischen kritisieren selbst Menschen aus dem Fußball-Zirkus: Es wird zu viel, das Spiel mit dem Interesse der Massen ist zu riskant. Droht eine Fußball-Blase zu platzen? Noch wachsen in der Bundesliga die Zuschauerzahlen und die Einnahmen.

Von Bastian Rudde |
    Ein Spieler stemmt den Champions-League-Pokal in die Luft.
    Pokalübergabe nach dem Champions-League-Finale 2014 zwischen Real Madrid und Atletico Madrid. (DPA / Picture Alliance / Mario Cruz)
    Es ist noch nicht gar nicht so lange her, dass die Fußball-Begeisterung in Deutschland keine Grenzen zu kennen schien. 2013 das Champions-League-Finale zwischen Bayern und Dortmund. "Das deutsche Endspiel!" Und dann 2014 der WM-Titel in Brasilien. "Das ist doch Wahnsinn!"
    Doch der vor kurzem scheinbar noch unstillbare Appetit auf Fußball weicht mittlerweile einer gewissen Übersättigung – sagte zumindest Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
    "Der deutsche Fußball kommt aus einer Entwicklung mit zehn Boomjahren von 2004 bis 2014. Aber ich spüre in manchen Bereichen, dass sich etwas ändert. Bei der Nationalmannschaft waren wir eigentlich immer ausverkauft bei Heimspielen. Jetzt sehen wir, dass volle Stadien kein Selbstläufer sind. Ich spüre auch, wenn ich mit Sponsoren spreche, da wird nicht mehr blind hinter dem Fußball hergerannt."
    Auch Ex-Fernseh-Kommentator Marcel Reif hat den Eindruck, dass eine schleichende Abkehr stattfindet. Das bringt Reif in Verbindung mit stark vergrößerten Wettbewerben wie der Europameisterschaft vergangenes Jahr in Frankreich mit erstmals 24 statt 16 Mannschaften.
    "Eine Europameisterschaft, die einen Monat dauert. Das ist ja Irrsinn! Jetzt eine WM mit 48 Mannschaften! Ein Viertel aller Verbände auf der Welt! Seid Ihr verrückt geworden? Das verwässert! Und ich habe so das Gefühl, dass Entscheidern in der Branche so ein bisschen das Gespür dafür verloren gegangen ist, dass es irgendwann mal genug ist."
    Blase? Die DFL verweist auf die starken Besucherzahlen in der Bundesliga und die Einnahmen
    Einer dieser Entscheider ist Christian Seifert, Geschäftsführungs-Vorsitzender der Deutschen Fußball-Liga, dem Zusammenschluss aller 36 Erst- und Zweitligisten. "Das Thema der Übersättigung mit Fußball darf man definitiv nicht unterschätzen." Sagt Seifert einerseits. Andererseits findet er: Die betriebswirtschaftlichen Zahlen der Bundesliga deuten nicht auf eine Übersättigung hin. Letzte Saison machten nach Angaben der DFL 16 Erstligisten Gewinn. Alle 18 zusammen machten einen Umsatz von 3,24 Milliarden Euro. Mal wieder Rekord. Zudem war die Bundesliga laut DFL mit knapp 42.500 Zuschauern im Schnitt wieder besucherstärkste Liga der Welt.
    "Momentan können wir daraus nichts entnehmen, was uns sagt, müssten uns Sorgen machen um die Bundesliga." Mutmaßungen, die Bundesliga sei eine Blase, die bald platzen könne, hat Seifert schon mal als "postfaktisch" bezeichnet.
    "Ich denke, im Fußball droht keine Blase." Sagt auch Henning Vöpel, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes. Ihm zufolge muss man unterscheiden zwischen einem "großen Knall" und einer dezenteren Abkehr vom Fußball. Diese Gefahr stuft Vöpel höher ein als dies die DFL offenbar tut. Die DFL ihrerseits treibt die Zerstückelung der Spieltage und Anstoßzeiten voran. Ab nächster Saison wird in Deutschland nicht mehr nur freitags, samstags und sonntags Erstliga-Fußball gespielt, sondern teilweise auch montags. Je mehr einzeln stehende Spiele, desto dauerhafter die Aufmerksamkeit und desto höher die Vermarktungserlöse, scheint das Kalkül.
    Ökonom Henning Vöpel: Fan braucht Zeit zum Durchatmen
    Ähnlich die Entwicklung bei der europäischen Fußballunion UEFA. Auch die Champions League wird immer stärker zerstückelt. Hinzu kommt die Planung einer neuen europäischen Nations League für Nationalteams. Dabei sei eigentlich angebracht, dem Fan Zeit zum Durchschnaufen zu geben, kritisiert Sportökonom Vöpel.
    "Man hat die Gelegenheit, jetzt jeden Tag Fußball zu gucken. Und ist in der tat so, dass man gar nicht mehr weiß, welchen Wettbewerb man gerade anschaut. Man weiß auch nicht, wie man das in den Alltag integrieren soll. Also, es droht so etwas wie eine Übersättigung mit Fußball für den Konsumenten."
    "Und immer, wenn Du denkst, jetzt sind wir an der Spitze des Irrsinns angekommen, jetzt kommen die Chinesen!" Ergänzt Fußballkommentator Marcel Reif. Auch er beobachtet erstaunt, wie China sein Staatsziel einer Weltmeisterschaft im eigenen Land vorantreibt und sich mit teuer erkauften Stars als Fußballstandort etablieren will.
    "Dass plötzlich Spieler 200 Millionen kosten sollen. Was ist, wenn man 300 Millionen in die Luft schmeißt? Warum nicht? Es ist ja da! Aber das ist ja in keiner Relation mehr, dass ein normaler Fan sagt: Das ist nicht mehr meine Welt!"
    Bierhoff sieht wachsenden Einfluss der Spieler in der Vermarktungs-Maschinerie
    Während sich viele Fan-Aktivisten gegen eine Überkommerzialisierung des Fußballs engagieren, treiben einige Stars der Szene diese mit voran. So wie Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang von Borussia Dortmund. Kürzlich zog er sich beim Torjubel eine Gummimaske über – als Werbung für seinen privaten Ausrüster. Problem: Offizieller Ausrüster des BVB ist ein anderer Sportartikelhersteller. Und: Aubameyang bekam für seinen Maskenjubel die Gelbe Karte, nahm also für seine Ego-Vermarktung ein Schwächung der Mannschaft und Ärger mit seinem Klub in Kauf.
    Oliver Bierhoff in der Sonntags-FAZ vom 26.03.2017: "Ich sehe, dass der Einfluss der Spieler größer wird, die sind mittlerweile fast schon als eigene Unternehmen aufgestellt, mit Management, eigener Vermarktung, PR, Social Media und so weiter – was auch etwas Gutes hat. Aber: Sie verfolgen eigene Interessen."
    Ließ sich Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff vor dem Fall Aubameyang in seinem nachdenklichen Zeitungs-Interview zitieren. Bei ihm haben offenbar Bedenken eingesetzt – anders bei Spielern, Vereinen, Verbänden oder Staaten, die für Wachstum und die Strapazierfähigkeit des Publikums kaum Grenzen sehen. Bierhoffs Bilanz:
    "Im Moment laufen alle Protagonisten so ein bisschen für sich selbst und verteidigen ihr Revier. Manchmal denke ich: Vielleicht geht es uns einfach noch zu gut. Erst in der Not kommt man wieder zusammen."