Die Saison 2022/23 in der Fußball-Bundesliga ist vorbei. In einem hochspannenden Titelfinale gewinnt der FC Bayern München den elften Titel in Serie. Und das, obwohl Borussia Dortmund im heimischen Westfalenstadion eigentlich nur gegen Mainz 05 hätte gewinnen müssen. Doch am Ende versagten den Dortmundern die Nerven.
"Der BVB ist mit diesem Druck offensichtlich nicht klargekommen, sie sind in der 1. Halbzeit komplett zusammengebrochen", sagte der Journalist und Kenner von Borussia Dortmund, Stephan Uersfeld, im Deutschlandfunk.
"Dortmund ist am Boden aktuell. Alles war angerichtet in den Straßen, in den Kneipen der Stadt war nach dem Spiel absolute Stille. Die Leute saßen zusammen und haben sich vergewissert, dass sie noch leben", erzählt Uersfeld.
"Unglaublich, so etwas habe ich das letzte Mal gesehen, als Deutschland gegen Italien 2006 auch in Dortmund verloren hat, damals in der Verlängerung, da war eine ähnliche Stille über der Stadt. Ja, das Drama des Fußballs ist hier passiert."
Schwächen, Mentalitätsprobleme, Qualitätsmängel
Uersfeld analysierte, dass die Dortmunder Spieler es nicht geschafft hätten, "kalt zu sein" und sah ein Mentalitätsproblem. Viel zu oft hätte es der BVB in dieser Saion nicht geschafft, ihre Qualität auf den Platz zu bringen.
Doch auch der FC Bayern hat in dieser Saison ungewohnte Schwächen gezeigt. Normalerweise seien die Bayern immer in der Lage gewesen, auch mit Drucksituationen umzugehen und wenig Fehler zu machen. "Und das Gefühl hatte ich in dieser Saison eigentlich selten", sagte Justin Kraft, Blogger von miasanrot und FC-Bayern-Kenner.
Der letzte Spieltag sei bezeichnend für die gesamte Bundesliga-Saison und für den Meisterschaftskampf gewesen, in dem beide Klubs in den entscheidenden Momenten immer wieder gepatzt haben. "In einem normalen Jahr wäre der FC Bayern wahrscheinlich schon vor zwei oder drei Spieltagen Meister geworden. In diesem Jahr ist es eben zu diesem Herzschlagfinale gekommen. Auch weil die Bayern nicht in der Lage waren, ihre eigentlichen Stärken auf den Platz zu bringen."
Fehlende Konstanz bei den Bayern
Kraft monierte vor allem die fehlende Konstanz in den Leistungen der Bayern. Der Abgang von Weltklassestürmer Robert Lewandowski sei nicht zu kompensieren gewesen. "Und dann hatte ich vor allem zu Beginn der Rückrunde beziehungsweise zu Beginn des Kalenderjahres das Gefühl, dass die Bayern diese ganz engen Spiele, die sie in der Vergangenheit auch schon häufiger hatten, nicht mehr für sich entscheiden konnten, weil dann eben so ein Robert Lewandowski vorne gefehlt hat, der dann das entscheidende 2:1 macht."
Der zweite Aspekt sei die "unfassbare Unruhe" gewesen, die den Verein belastet habe. "Man hat es in der Kommunikation nie geschafft, Ruhe in den Verein zu bringen, sondern im Gegenteil die Unruhe eher verstärkt. Und das hat die Mannschaft, glaube ich, dann auch beeinflusst."
Ein dritter Faktor sei die Winter-WM von Katar gewesen, sagte Kraft. Zwar sei die Pause nach der WM lang genug gewesen, aber der Spielplan sei in den letzten Jahren wegen der Corona-Pause "sehr, sehr eng getaktet" gewesen. Das komme in der Nachbetrachtung ein bisschen zu kurz. Außerdem habe das deutsche WM-Aus auch alle Bayern-Nationalspieler "ein Stück weit mitgerissen damals", sagte Kraft.
Auch die Verletzung und das Saison-Aus von Manuel Neuer nach einem Ski-Unfall im Winter sei für den FC Bayern kaum zu verkraften gewesen, sagte Uersfeld.
Leistungssteigerung beim BVB 2023
Der BVB hat im Jahr 2023 eine klare Leistungssteigerung hingelegt, nachdem die Saison bis zur Winterpause nicht gut verlaufen ist. In der Hinrunde holte der BVB nur 31 Punkte und stand auf Tabellenplatz 5. In der Rückrunde haben die Schwarzgelben 40 Zähler geholt und die Rückserie souverän für sich entschieden.
"Das ist ein Verdienst von der gesamten Mannschaft, aber eben auch von Edin Terzic, der es geschafft hat, dieses Team hinter diesem Ziel zu vereinen und auch taktisch gute Anpassungen gebracht hat", sagt Uersfeld.
Terzic müsse noch lernen, während des Spiels die richtigen Entscheidungen zu treffen. Da seien ihm in dieser Saison noch einige Fehler passiert, monierte Uersfeld. Terzic sei aber der "erste Trainer gewesen, der den den großen Übervater aller Dortmunder Trainer, Jürgen Klopp, hat vergessen lassen", sagte Uersfeld. "Und er hat eine Euphorie schüren könnten, die es lange nicht mehr gegeben hat in Dortmund. Und die hat er auf die Mannschaft übertragen."
Beide Gesprächspartner waren sich darüber einige, dass der BVB durch die vergebene Chance eine historische Möglichkeit verpasst hat. "Es wird in den nächsten Jahren nicht einfacher. Bayern München wird sich neu aufstellen. Das kann eine Chance sein, dass in diesen Momenten Fehler in München gemacht werden", so Uerfeld.
Aber der BVB müsse die Niederlage im Meisterschaftskampf erst verarbeiten. "Dieses Scheitern wird über dem Verein hängen, für lange, lange Zeit", prophezeite der BVB-Kenner.
Aus für Kahn und Salihamidzic "nachvollziehbar"
Der FC Bayern München hat direkt nach Saisonende und der errungenen Meisterschaft mit der Entlassung von Sportdirektor Hasan Salihamidzic und Vorstand Oliver Kahn reagiert. Eine "nachvollziehbare Entscheidung", wie Justine Kraft dies nannte. "Sie haben den Klub mehrfach öffentlich nicht souverän repräsentiert", kritisierte der Sportjournalist.
"Die beiden sind eben Gesichter dieses Chaos', was mittlerweile in München Einzug gehalten hat." Auch die Kommunikation intern solle nicht gut gewesen sein, sagte Kraft.
In Zukunft werde es wohl nicht mehr so einfach werden, Deutscher Meister zu werden, glaubt er. "Der Abstand ist so groß. Das hat man in der Vergangenheit ja auch gesehen. Man hat es immer geschafft, in der Bundesliga diese 77, 78 Punkte zu holen, die es eben braucht, um Meister zu werden. Und ich glaube, das wird dem FC Bayern in den nächsten Jahren auch wieder gelingen."
Bundesliga ist "nicht mehr interessant"
Dabei sei das vornehmliche Saisonziel der Bayern nicht mehr der Gewinn der Deutschen Meisterschaft, sondern der Gewinn der Champions League, sagte Uersfeld. In der Bundesliga habe man sich schon lange vom Wettbewerb entkoppelt, sagte er. Am Abschneiden in der Champions League werde die Mannschaft und auch die Führungsetage gemessen.
Insgesamt waren die beiden Diskutanten sich aber einig, dass es für die Bundesliga zur Abwechslung gut gewesen sei, dass die finale Meisterentscheidung erst am 34. Spieltag gefallen ist. "Das war einer der spektakulärsten 34. Spieltage, die wir mindestens mal in diesem Jahrtausend erlebt haben", sagte Kraft.
"Aber ich glaube, das war jetzt das letzte Mal für eine gewisse Zeit, dass da jemand durch diese Tür gehen kann. Das ist natürlich schade. Der Wettbewerb in der Bundesliga und gerade der Meisterschaftskampf ist nicht mehr so interessant, wie er es vielleicht noch vor vielen Jahren war."