Es ist ein Urteil mit Signalwirkung: Bundesländer dürfen der Deutschen Fußball-Liga (DFL), und damit den Clubs der Bundesliga und 2. Bundesliga, die Mehrkosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen in Rechnung stellen. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden und damit eine Verfassungsklage der DFL abgewiesen.
Hochrisikospiele sind Fußballspiele, bei deren Umfeld besonders heftige Fankrawalle zu erwarten sind. Das sind vor allem Spiele, bei denen besonders verfeindete Fangruppen aufeinandertreffen. Beispiele sind etwa Derbys wie Borussia Dortmund gegen den FC Schalke 04 oder politisch aufgeladene Spiele wie das Aufeinandertreffen der eher linksgerichteten Fans des FC St. Pauli mit den eher rechtsgerichteten Anhängern von Hansa Rostock.
Bei diesen Spielen sind mehr Sicherheitskräfte im Einsatz als bei einem üblichen Fußballspiel. Und das verursacht Mehrkosten, die bislang die Länder zu tragen hatten.
Wie kam es zu dem Urteil?
Hintergrund ist ein jahrelanger Streit zwischen der DFL und dem Bremer Innenressort. Im August 2015 stellte die Behörde der DFL erstmals die Mehrkosten für zusätzliche Einsatzkräfte bei einem Hochrisikospiel in Rechnung. Unter dem Strich ging es um knapp 400.000 Euro. Zuvor hatte das Land eine Regelung erlassen, laut der die Stadt bei bestimmten Großveranstaltungen Gebühren für eine höheren Polizeiaufwand erheben kann. Die DFL sei als Veranstalterin für die Gefahrenlage und das Polizeiaufgebot bei so einem Event verantwortlich, so das Land.
Die DFL zog dagegen vor Gericht, scheiterte 2019 aber bereits vor Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Daraufhin reichte die Deutsche Fußball-Liga eine Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht ein, die die Richter nun abgewiesen haben. Die Liga argumentierte vergebens, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit außerhalb der Stadien eine staatliche Kernaufgabe sei, die grundsätzlich aus Steuermitteln zu finanzieren ist.
Die Bremer Regelung sei mit dem Grundgesetz vereinbar, erklärte das Verfassungsgericht. "Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Gefahrenvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt und ausschließlich aus dem Steueraufkommen finanziert werden müsste", sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth.
Weitere Einspruchmöglichkeiten hat die DFL nicht mehr. Der Streit ist damit zugunsten der Länder entschieden.
Was bedeutet das Urteil für die DFL und die Bundesliga-Clubs?
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer hat der DFL über die vergangenen Jahre insgesamt zwei Millionen Euro für Polizeikosten in Rechnung gestellt. DIe Hälfte davon musste Werder Bremen an den Ligaverband zurückzahlen, der Rest wurde vorerst gestundet.
Heißt: Sollten der DFL weitere Kosten in Rechnung gestellt werden, könnte das auch direkte Auswirkungen auf die Clubs haben und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit. Finanzstarke Vereine wie FC Bayern München oder RB Leipzig könnten eine solche Kostenbeteiligung sicher leichter wegstecken als der 1. FSV Mainz 05 oder Holstein Kiel.
Setzen alle Länder die neuen Regelungen durch?
Das ist noch nicht ganz klar. Berlin hatte bereits angekündigt, die Mehrkosten für Polizeieinsätze nicht an die DLF weiterleiten zu wollen. "Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Begründung bewerten, sobald sie vorliegt. Es gilt aber auch weiterhin meine Position, dass das Land Berlin keine Kostenbeteiligung für Vereine an Zusatzausgaben bei Polizeieinsätzen im Hinblick auf Hochrisikospiele plant", sagte Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger (SPD).
Damit vertritt sie eine klar andere Haltung als der Bremer Innensenator Märuer. Der sagte: "Die Entscheidung ist voll befriedigend, da bleibt nichts offen. Es ist ein sehr schöner Tag. Das zeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen. Am vernünftigsten wäre es nun, einen Fonds einzurichten, dann muss nicht jedes Land einzeln eine Gebührenordnung einführen. Der Druck auf den Profifußball ist gewachsen - dem kann man sich natürlich verweigern. Aber man muss so oder so zahlen. Ich bin sicher, dass wir in der Bundesinnenministerkonferenz eine Mehrheit organisieren können, um das Thema endgültig zu beenden."
Für Niedersachsen erklärte Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD), die weiteren Schritte "sorgsam abwägen" zu wollen. Ihr vorrangiges Ziel bleibe, "dass die Vereine die Gewalt in ihren Stadien in den Griff bekommen und es gar nicht erst zu Polizeieinsätzen kommen muss".
Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) erklärte, das Urteil eröffne die Möglichkeit einer Kostenbeteiligung. Es spreche aber keine Verpflichtung dafür aus. "Ich strebe ein bundesweit einheitliches Vorgehen an", kündigte er an. Ähnliche Stimmen kommen aus Hamburg. Das Land wird die Einführung eines bundesweiten Polizeikosten-Fonds prüfen - einen entsprechenden Antrag hatte die Bürgerschaft in der Hansestadt im September 2024 beschlossen. Innensenator Andy Grote setzt sich bei dem Thema für ein bundesweit einheitliches Vorgehen ein. "Ich bin gegen eine isolierte Lösung für Hamburg", sagte der SPD-Politiker.
Auch die SPD in Nordrhein-Westfalen sprach sich für ein einheitliches Vorgehen aus: "Die Arbeitsbelastung der nordrhein-westfälischen Polizei aufgrund von Fußballspielen in NRW lag in der Saison 2023/24 bei rund 565.000 Stunden. Dies entspricht einem rechnerischen Stellenanteil von etwa 434 Beamten", sagte Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. "Angesichts des Milliardengeschäfts Profi-Fußball muss Innenminister Herbert Reul nun mit seinen Amtskollegen aus den anderen Ländern klären, inwieweit sich die Deutsche Fußball Liga GmbH an den Kosten in Höhe von mehr als 20 Millionen Euro allein in NRW beteiligen möchte", sagte Kampmann.
Kommt es nicht zu einem einheitlichen Vorgehen bundesweit, können das Szenario drohen, dass nur Vereine aus den Ländern mit Mehrkosten konfrontiert werden, in denen die Polizeikosten an die DFL weitergegeben werden. Gerade das bereitet Oke Göttlich, Präsident des Bundesligisten FC St. Pauli, Sorgen: "Es darf nicht dazu kommen, dass nur einige wenige belastet werden. Das wäre ein Eingriff in den Wettbewerb", sagte Göttlich im Dlf.
Wie reagiert die Polizei?
Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte das Urteil. "Es kann nicht sein, dass jeder Bürger für kleinste Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung mit teilweise drastischen Gebühren zur Kasse gebeten" werde, "aber die milliardenschwere DFL die Arbeit zigtausender Polizeikräfte geschenkt bekommt", erklärte ihr stellvertretender Vorsitzender Heiko Teggatz.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich zufrieden. Das Urteil habe eine weitreichende Bedeutung, sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke voraus. "Es betrifft nicht mehr nur die Polizeieinsätze bei Fußballspielen, sondern alle kommerziellen Großveranstaltungen mit Konfliktpotenzial."
Wie reagiert der Fußball?
Die DFL hat sich bislang noch nicht ausführlich zum Urteil geäußert. "Für uns ist das natürlich enttäuschend, aber das haben wir zu akzeptieren", sagte DFL-Anwalt Bernd Hoefer. "Wie die weiteren Folgen aussehen werden, müssen die nächsten Wochen und Monate zeigen. Darüber will ich jetzt nicht spekulieren."
Auch der DFB sieht das BVerfG-Urteil kritisch: "Mit Blick auf die Durchführung von Sportgroßveranstaltungen bewertet der DFB das vorliegende Urteil im internationalen Kontext als grundsätzlichen Wettbewerbsnachteil für den Fußballstandort Deutschland. Auch bedeutet es keinerlei Gewinn an zusätzlicher Sicherheit. [...] Dass der Fußball jetzt auch die Mehrkosten für die Sicherheit im öffentlichen Raum tragen soll, auf den er gar keinen Einfluss hat, halten wir für nicht richtig", teilte der Verband mit.
Deutliche Kritik äußerte das Fanbündnis "Unsere Kurve", das das Urteil laut einer Mitteilung "fassungslos zur Kenntnis" nahm. Es sei zu befürchten, "dass damit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland langfristig schwerer Schaden zugefügt wurde. Nach Auffassung von Unsere Kurve und im Einklang mit den Ansichten unzähliger Fachleute ist die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung eine Kernaufgabe des Staates."
Der Vorsitzende Jost Peter sagte: "Durch das heutige Urteil verkommt Polizeiarbeit zur simplen Dienstleistung. Es ist nun unabdingbar, dass den Clubs Entscheidungsgewalt in der polizeilichen Einsatzplanung eingeräumt wird und überdimensionierte Polizeieinsätze endlich ein Ende haben."
Sprecher Thomas Kessen ergänzte: "Wir erwarten nun vom Freistaat Bremen jährliche Rechnungen an die Veranstalter des Bremer Freimarkts. Auch das Münchner Oktoberfest, der Kölner Karneval und die Silvesterpartys am Brandenburger Tor müssen den Veranstaltern in Rechnung gestellt werden. Ob wir als Gesellschaft das allerdings wollen, darf bezweifelt werden – und ebenso zweifelhaft ist das heutige Urteil."
Was bedeutet das Urteil für andere Veranstaltungen?
Das ist noch nicht abzusehen. Generell gelte das Urteil laut Bundesverfassungsgericht für alle Großveranstaltungen mit Gewinnabsicht. Die GdP hatte das in ihrer Stellungnahme bereits angedeutet. Allerdings ist das Konfliktpotential auf privat organisierten Veranstaltungen wie Musik-Festivals oder Volksfesten geringer als bei Hochrisikospielen. Hier gilt es also, die Entwicklungen abzuwarten.