"Ich habe auch schon gesagt bekommen: Du Schlitzauge, du gehörst hier nicht hin."
Als Ho-Yeon Kim diesen Satz hört, steht er kurz vor seiner Wahl in den Mitgliederrat des 1. FC Köln. Er habe vor der Mitgliederversammlung einigen Fans erklären wollen, welche Positionen er vertrete – dann habe ihm ein vorbeigehender Mann die rassistische Beleidigung an den Kopf geworfen.
"Die, die um mich herum standen, haben auch sehr irritiert reagiert. Einer hat auch gesagt: 'Sieh zu, dass du weiterkommst, verpiss dich!' Die haben sich dann auch sehr deutlich auf meine Seite gestellt."
Es sei das einzige Mal gewesen, dass Kim so offen angefeindet wurde. Wenig später wählen ihn die Mitglieder mit dem besten Ergebnis von allen in den Mitgliederrat. Inzwischen ist er der stellvertretende Vorsitzende.
Nur bei Hertha, Paderborn und Köln
Aber der 38 Jahre alte Unternehmensberater ist eine Ausnahme. 273 Personen sitzen in den Vorständen, Präsidien und Aufsichtsräten der 18 Fußball-Bundesligisten. Darunter bekannte Namen wie Hans-Joachim Watzke, Oliver Kahn oder Clemens Tönnies. Aber eine Deutschlandfunk-Auswertung zeigt: Nur drei von 273 sind People of Color, also Nicht-Weiße. Tarek Malak von Hertha BSC, Orhan Dag vom SC Paderborn und eben Ho-Yeon Kim vom 1. FC Köln.
Wobei diese Fremdzuschreibung problematisch sein kann, erklärt Daniel Gyamerah. Er arbeitet für das Projekt "Vielfalt Entscheidet", das sich mit Diversität in Führungspositionen beschäftigt. Idealerweise hätten alle 273 selber definiert, ob sie sich als People of Color verstehen oder nicht.
"Gleichzeitig würde ich sagen, beim Blick auf die Statistiken, die uns jetzt vorliegen, ist das Verhältnis so umfassend ausschlaggebend, dass sozusagen klar ist, dass hier keine Repräsensation der Bevölkerung vorhanden ist, so dass es im Detail jetzt nicht mehr ganz so relevant ist, ob es zwei, drei, vier, fünf oder sechs Personen sind, weil Deutschland schon deutlich vielfältiger ist."
Sportsoziologin: Kein Anspruch auf soziale Vielfalt
Denn drei von 273 Personen, das macht insgesamt einen Anteil von einem Prozent. Auf dem Platz sind die Teams deutlich diverser. Aber dort, wo die strategischen Entscheidungen fallen, wo über das Geld entschieden wird, dort sitzen praktisch nur Weiße. Für Daniel Gyamerah ein Zeichen von strukturellem Rassismus. Bettina Rulofs, Sportsoziologin an der Uni Wuppertal, teilt diese Einschätzung.
"Ja, es ist eine Form von struktureller Diskriminierung, die wahrscheinlich von den meisten Personen in den Gremien nicht mit einer puren Absicht ausgeübt wird. Aber es ist eine Form der Diskriminierung, die sich sozusagen über die Dauer ergibt und durch die eingespielten Prozeduren und Machtspiele. Es ist so, dass die Selektionsprozesse in Führungsgremien des Sports nicht auf Diversität oder dem Anspruch nach sozialer Vielfalt basieren, sondern es geht meistens darum, eine Homogenität herzustellen."
Die Vereine seien auf der Suche nach Menschen, die über gute Netzwerke verfügen, zum Beispiel mit der lokalen Politik oder Wirtschaft – und dies werde Menschen mit Migrationshintergrund und auch Frauen viel seltener zugetraut. Die Zahlen belegen auch das: von 273 Personen in den Führungsgremien sind 14 weiblich.
Ruf nach transparenteren Auswahlprozessen
Dies sei kein alleiniges Problem des Profi-Fußballs, meint die Forscherin. Auch auf Amateurebene nehmen Menschen mit Migrationshintergrund nur einen geringen Anteil der Führungspositionen ein. Hier müssten die Vereine darüber eine besondere Ansprache finden, um Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds zu ermuntern.
Frauen und Minderheiten würden zudem seltener Zugang zu den informellen Netzwerken haben, die über wichtige Positionen entscheiden. Der Auswahlprozess müsse daher transparenter werden, so Rulofs.
"Ich muss wissen, dass die Position frei ist, damit ich mich aktiv melden kann. Und wenn ich mich dann paarmal gemeldet habe, gerate ich auf das Radar."
FC-Mitgliederrat auf der Suche nach neuen Perspektiven
So ist auch Ho-Yeon Kim an seine aktuelle Position gekommen. Nachdem er sich mehrfach bei Mitgliederversammlungen kritisch zu Wort gemeldet hatte, sei er gefragt worden, ob er sich nicht wählen lassen wolle. Auch er hält es für wichtig, dass Vereine gezielter neue Perspektiven suchen.
"Wir gucken, ob wir nicht aus einem ganz anderen Milieu vielleicht jemanden finden, also jetzt nicht nur Richtung Wirtschaftsbosse, sondern dass wir jetzt mal schauen: Gibt es vielleicht jüngere, engagierte Mitglieder, die Interesse an so etwas haben?"
Denn: mehr Perspektiven würden bessere Ergebnisse für den Verein hervorbringen. Zum Beispiel beim Kampf gegen Rassismus.
Unternehmensberater: Diversität auch wirtschaftlich wichtig
"Da ist es natürlich etwas anderes, wenn man als persönlich Betroffener mit am Tisch sitzt und aus ganz eigenen Erfahrungen berichten kann. Ansonsten ist das sehr oft eine akademische Diskussion. Also da unterhalten sich dann Leute, die selber nicht betroffen sind, über ein Problem, das sie nicht kennen."
Er habe aber auch seine Kontakte in die koreanische Community in Köln genutzt, um koreanischen Jugendspielern dabei zu helfen, sich in Köln heimisch zu fühlen. Auch aus rein wirtschaftlichen Gründen müsse das Bewusstsein für Diversität wachsen, so der Unternehmensberater.
"Was ich mittlerweile in meinem eigenen Arbeitsleben bemerke - und das wird auch auf den Fußball über kurz oder lang hinzukommen - das internationale Unternehmen immer mehr danach fragen: ‚Was machst Du zum Thema Diversität? Und wenn Du nichts in der Richtung machst, dann werden wir mit Dir keine Geschäfte machen.‘"
Wenn es also schon keine sozialen Gründe sind, könnten wirtschaftliche Aspekte zu einem Umdenken bei den Vereinen führen. Auch Daniel Gyamerah ist der Meinung, dass die Vereine durch ihre aktuelle Personalpolitik Potential verschenken.
Sportsoziologin: Corona-Krise könnte Diversität ausbremsen
"Wir wollen doch die besten Menschen für diesen Job bekommen, in jedem Bereich. Und wenn wir davon ausgehen, dass Intelligenz in allen gesellschaftlichen Gruppen gleich verteilt ist, aber die Fußballfunktionäre diese Vielfalt nicht widerspiegeln, ist von vornherein völlig klar, dass wir nicht die besten Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen rekrutiert haben."
Damit es aber Veränderungen geben kann, müssten sich die Vereine tatsächlich ernsthaft mit struktureller Diskriminierung auseinandersetzen, so der Rassismusforscher.
Sportsoziologin Bettina Rulofs ist skeptisch, ob dies angesichts der Corona-Krise passieren wird.
"Bei dem ganzen Thema der sozialen Vielfalt geht es immer darum, dass Personen Angst vor dem Fremden haben oder Angst davor haben, sich selber so stark verändern zu müssen, wenn da nun auf einmal andere Gruppen in ihre Kreise hineinkommen, dass sie sich verunsichert fühlen. Und die Krise an sich bedeutet schon einen hohen Grad an Verunsicherung."
Würde eine Quote helfen?
Rulofs prognostiziert daher, dass die Integration von Personen, die seltener in Führungspositionen sind, eher vernachlässigt wird. Sie bringt daher eine Quote ins Spiel, die zwar ein striktes Instrument sei, aber einen Bewusstseinswandel herbeiführen könnte.
Bis es soweit ist, hofft Ho-Yean Kim trotzdem, dass sich potenzielle Bewerberinnen und Bewerber nicht abschrecken lassen.
"Sei es von den Gremien, die vom Establishment geprägt sind. Oder sei es auch von irgendwelchen dummen Sprüchen. Es zeigt sich, dass immer mehr das zählt, was jemand wirklich kann."