Es war ein fast schon lyrischer Satz, den Alexander Nouri diese Woche formuliert hat.
"Wir wissen, dass das ein ganz harter Weg ist und auch die Brücke zwischen Realität und Träumen auch immer harte Arbeit ist, und wir freuen uns, dass wir jetzt auch die Resultate einfahren",
sagte Werder Bremens Trainer nach dem 3:0-Sieg gegen den FC Schalke am Dienstag. Die Brücke zwischen Realität und Träumen besteht aus harter Arbeit, so kann man das sehen in der Fußballwelt, die ja gerne als Miniaturausgabe der richtigen Lebens betrachtet wird.
Heute Abstiegsangst, morgen Europapokalhoffnung
Wobei man beim Blick auf die Bundesligatabelle auch zu einem anderen Befund kommen kann: Im Tableau besteht die Brücke zwischen Realität und Traum schlicht aus drei, vier Punkten Unterschied. Ein Sieg und auf einmal sind Klubs wie Bremen, Freiburg, Schalke oder Leverkusen Europapokalanwärter. Obwohl sie eine Woche zuvor noch von akuten Abstiegsängsten geplagt waren.
"Dementsprechend sind wir gerade mittendrin. Mittendrin in einer sehr skurrilen Situation in der Bundesliga",
findet Max Eberl, der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach. Es gibt in dieser Saison kein Tabellenmittelfeld. Fast alle Teams zwischen Rang fünf und 15 erleben seit Wochen ein emotionales Pendelspiel zwischen Europapokalhoffnung und Abstiegsfurcht. Nicht einmal mehr eine der grundlegenden Wahrheiten der Bundesligageschichte ist da noch verlässlich: der Mythos von der 40-Punkte-Schallmauer.
Erstmals könnte ein Team mit 40 Punkten absteigen
Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995 starten alle Abstiegskandidaten mit dem Vorsatz in ein Spieljahr, 40 Punkte zu sammeln. Denn noch nie ist ein Team mit so vielen Zählern abgestiegen. Der stärkste Absteiger war 1999 der 1. FC Nürnberg, der mit 37 Punkten aus der Bundesliga rutschte. In den allermeisten Fällen genügten 35, manchmal sogar 32 Zähler für den Klassenerhalt. In diesem Jahr ist nun tatsächlich denkbar, dass 40 Punkte nicht ausreichend sein werden.
"Daran sieht man aber auch, wie diese Liga funktioniert. Und wie sehr man sich um jeden Punkt sich bemühen muss",
sagt Bayer Leverkusens Trainer Tayfun Korkut. Wie sein Bremer Kollege Nouri lässt Korkut sich von der ungewöhnlichen Konstellation zu geradezu poetischen Formulierungen inspirieren.
"Aber so lange wir die Möglichkeit haben, und es sehen können nach oben dieses Licht, werden wir nicht ins Dunkle schauen, das ist schon mal ganz klar."
Drama, Spannung, Aufregung
Eine Haltungsfrage. Andere schauen eher nach unten. Denn tatsächlich konnten die zwölf Teams zwischen Platz fünf und 15 vor den Partien des laufenden Spieltags theoretisch sowohl noch Zweiter als auch Letzter werden. Das klingt nach Drama, Spannung und Aufregung. Aber was steckt dahinter? Eine merkwürdige Laune des Fußballgottes? Eine statistische Kuriosität? Zufälle, wie das gleichzeitige Schwächeln der Spitzenteams Schalke, Mönchengladbach, Wolfsburg und Leverkusen?
Mario Gomez hat da eine andere Theorie. In den Augen des erfahrenen Wolfsburgers ist das Gedränge in der Tabelle ein deutliches Indiz für eine zweifelhafte Grundhaltung, mit der viele Teams antreten.
Gomez kritisiert "Harakiri"
"Man kann das als Stärke auslegen oder als Schwäche, dass es vom Europa-League-Platz bis zum Abstiegsplatz acht Punkte sind. Das ist wirklich verrückt, das gibt es normalerweise in der dritten oder vierten Liga. Ich finde, dass das eher eine Schwäche ist und dass von 18 Mannschaften 14 Woche für Woche viel Harakiri spielen, aber nur den Arsch retten wollen. Das ist nicht der Grund, warum wir spielen",
sagt der Nationalspieler. Denn immer mehr Teams haben ihre Spielweise verändert. In den drei Spielzeiten, als Pep Guardiola beim FC Bayern war, orientierten sich viele Trainer am fein durchdachten Ballbesitzfußball des Spaniers. Dieser Stil ist ein wirksames Mittel gegen Zufälle, weil hinter den meisten Aktionen eine klare Idee steckt. Der Vorsatz, den Ball und das Spiel permanent zu kontrollieren. Inzwischen wird wieder mehr gekämpft.
Mittelfeldschlachten statt kultiviertem Ansatz
Im Zuge der Höhenflüge von 1899 Hoffenheim und RB Leipzig haben auch Mannschaften wie der SC Freiburg, Borussia Mönchengladbach oder Werder Bremen, die lange einen eher kultivierten Ansatz verfolgten, sich auf die Mittelfeldschlachten um zweite, dritte und vierte Bälle eingelassen.
Selbst Borussia Dortmund hat dieses Stilmittel ins Repertoire aufgenommen. Damit steigen der Einfluss des Zufalls und die Wahrscheinlichkeit, dass unberechenbare Tabellenkonstellationen entstehen. Ein eigener Spielaufbau ist einfach extrem riskant in Zeiten der immer perfekter umgesetzten Balleroberungsstrategien vieler Teams.
Destruktiver Ansatz als Chance für weniger begabte Teams
"Ich finde, die Bundesliga hat dieses Jahr - man darf das ja gar nicht so laut sagen, aber das ist mehr Gemurkse, als sonst was. Deswegen bin ich froh, dass wir wieder einen Trainer haben, der ganz klar sagt: Warum spielen wir Fußball? Weil wir Spaß dran haben, weil wir offensiv sein wollen! Und nicht Woche für Woche unter Druck spielen und mit Angst und Nervosität",
sagt Gomez, dessen Team aber trotzdem akut abstiegsgefährdet ist. Denn die eher destruktive und risikoscheue Spielweise, die der Stürmer kritisiert, bietet für weniger begabte Teams die Chance, über den eigenen Möglichkeiten zu spielen. So wie Ingolstadt und Darmstadt im vorigen Jahr.
Und wenn der Balleroberungsfußball derart perfekt praktiziert wird wie von Leipzig oder Hoffenheim, kann dieser Stil natürlich auch hoch attraktiv sein. Aber er vergrößert die Macht des Zufalls, der in diesem Jahr ganz sicher mitwirkt an der Entstehung des ungewöhnlichen Tabellenbildes.