Alles schien schon gelaufen im Estadio Monumental in Santiago de Chile. Die kolumbianischen Fans feierten den Sieg ihre Mannschaft. Doch auf dem Platz gibt es plötzlich ein Gerangel. Neymar versucht, mit seinem Kopf nach Kolumbiens Torschützen Murillo zu stoßen. Dann wird er selbst rüde weggeschubst. Neymar und ein Kolumbianer erhalten nachträglich die rote Karte. Noch auf dem Weg in die Kabine beleidigt Neymar den Schiri.
Am 19. Juni 2015 wird er deshalb für vier Spiele gesperrt. Die Copa América ist damit für Brasiliens besten Spieler gelaufen. Sein Verband hat auf eine Berufung verzichtet, weil sie erfolglos gewesen wäre.
Auch sonst gibt's beim Brasilianischen Fußballverband nichts zu feiern. Ex-Präsident José Maria Marin sitzt in der Schweiz in Haft, gegen dessen Vorgänger Ricardo Teixeira wird ermittelt und auch der aktuelle Präsident Marco Polo Del Nero steht unter Verdacht. Wenn man die Fans nach dem Verband fragt, dann sind die Antworten sehr ähnlich: "Ich begleite meine Seleção, weil ich Fußball liebe, aber die müssen alle weg! Alle sollten sie im Gefängnis sitzen"
Ein anderer: "Ich bin sehr verärgert über die ganze Korruption!"
Und diese Fans: "Alle alt, korrupt und mies! Diktatoren sind das, die uns seit 30 Jahren bestehlen!"
Ein anderer: "Ich bin sehr verärgert über die ganze Korruption!"
Und diese Fans: "Alle alt, korrupt und mies! Diktatoren sind das, die uns seit 30 Jahren bestehlen!"
Ermittlungen in Brasilien
Die Brasilianer tauchen bei den Ermittlungen der US-Fahnder immer wieder auf, wegen krummer Geschäfte um Fußball-Rechte. Dabei geht es um millionenschwere Sponsorenverträge oder ihre Beteiligung am Rechtehandel für Turniere wie die Copa América. Die Welle der Ermittlungen in den USA und in der Schweiz nutzen brasilianische Bundespolizei, Parlament und Senat und untersuchen nun die dubiosen Machenschaften des brasilianischen Verbandes CBF.
Ende Juni 2015 soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Unter den vorgeschlagenen Mitgliedern sind Brasiliens Ex-Präsident Fernando Collor und Ex-Weltfußballer Romário. Der ist heute Sportausschussvorsitzender im brasilianischen Senat und kämpft seit Jahren für einen Untersuchungsausschuss gegen die CBF: "Was sie hier verbrochen haben, dafür werden sie auch hier büßen. Die Verhaftung von José Maria Marin ist der Beginn einer großen Zukunft für den Fußball und der Anfang vom Ende des korruptesten Verbandes, den wir in diesem Land haben, der CBF."
CBF-Präsident Del Nero: "Ich trete nicht zurück!"
Das Amt des Verbandspräsidenten übergab Marin im April an seinen vorhergehenden Vize Marco Polo Del Nero. Der will von den krummen Verträgen seines Vorgängers mit Millionen-Boni nichts gewusst haben, sagte er Abgeordneten bei einer Parlaments-Anhörung am 9. Juni 2015. "Ich trete nicht zurück. Zurück tritt, wer etwas Falsches gemacht hat. Ich bleibe bis zum Ende meines Mandates, werde meine Pflicht erfüllen!"
Allerdings zeichnete Del Nero die Jahresbilanz 2014 von Marin gegen und bestätigte damit alle von seinem Vorgänger beschlossenen Verträge, erzählt der Journalist Sérgio Rangel. "Wenn Du sowas machst, dann guckst Du Dir doch auch die Verträge an. Er hat also mindestens Beihilfe geleistet. Und alle wissen, dass die Beiden beste Freunde waren. Sie waren die ganzen Jahre zusammen. Zu glauben, dass Del Nero nichts gewusst hat, ist ein bisschen schwierig."
Ein treuer Freund - zumindest bis zur Festnahme
Nach Marins Verhaftung Ende Mai jedoch ließ Del Nero ihn fallen. Als CBF-Vize wurde der 83-Jährige suspendiert, sein Name am Eingang des nach ihm benannten Hauptquartiers entfernt. Es gibt keinen Kontakt mehr, bestätigte der Verband dem Deutschlandfunk. Journalist Rangel: "Sie wollen sich von der Schuld befreien! Aber das Traurigste ist: so einen Freund möchte ich nicht haben, der mich verleugnet, ohne einen Beweis zu haben. Direkt nach der Verhaftung hat die Frau von Marin Del Nero im Hotelzimmer in der Schweiz angerufen. Aber der ist nicht mal hingegangen, sondern hat seine Sachen gepackt und ist zum Flughafen gefahren."
Del Nero bleibt wie viele Amtskollegen aus Südamerika auch der Copa América fern. Insider sagen, er fühle sich in Brasilien sicherer als in Chile. Einen anderen Grund nannte CBF-Generalsekretär Walter Feldman, der ranghöchste angereiste brasilianische Funktionär. In seinem bislang einzigen Interview in Santiago sagte er dem Deutschlandfunk: "Wir machen eine Restrukturierung der CBF, eine radikale Modernisierung. Internationale Unternehmen werden angeheuert, um Modelle von Governance, Risk and Compliance einzuführen. Marco Polo Del Nero ist der General-Manager der Restrukturierung der CBF."
Und das mache ihn unabkömmlich. Auch, was die Ermittlungen angehe, tue man alles, um Staatsanwaltschaft und Untersuchungsausschuss zu unterstützen. "Da gibt es kein Gefühl der Angst oder Furcht in der CBF!"
Verband steckt in seiner größte Krise
Aber vielleicht vor den eigenen Landesverbänden. Bei der außerordentlichen Sitzung der Präsidenten am 11. Juni 2015 versuchte Del Nero einen Vertrauten als neuen Vize durchzusetzen – und scheiterte. Das ist neu, sagt Journalist Sérgio Rangel: "Ich berichte seit 20 Jahren über die CBF und habe noch nie erlebt, dass der Vorschlag eines Präsidenten abgelehnt wurde!"
Der mächtigste Sportboss Brasiliens ist geschwächt. Der Verband wackelt. Dem größten Sportvermarkter, Traffic, droht die Pleite. Besitzer José Hawilla hat einen Deal mit den US-Behörden geschlossen, um sein Strafmaß wegen Erpressung, Geldwäsche und Rechtsbehinderung zu verringern und 151 Millionen US-Dollar überwiesen. Die Höhe hat dann selbst Experten wie Rangel überrascht.
Wie konnte José Hawilla in nur 30 Jahren mit der Seleção so viel Geld verdienen?", fragt der Journalist. Traffic steckt auch hinter der Vermarktung der Copa América - zusammen mit zwei argentinischen Partnern, gegen die ebenfalls ermittelt wird. 2016 wird das Turnier Hundert- und ist damit das älteste der Welt. Eigentlich sollte es dafür eine Jubiläums-Copa in den USA geben. Die könnte aber abgeblasen werden, erzählt Rangel. Dieses Turnier in Chile werde wohl Verluste machen. Die Sportvermarkter schulden den Organisatoren 50 Millionen US-Dollar - sind aber auch nicht mehr zu erreichen: die letzten beiden flüchtigen Bosse haben sich am 18. Juni 2015 der Justiz gestellt.