Archiv

Fußball
"Eine geniale Einfachheit und eine komplizierte Genialheit"

Der Theaterautor Moritz Rinke hegt sowohl die Liebe zur Literatur als auch zum Fußball. Faszinierend am Fußball sei, dass Geplantes immer wieder zerstört werde - dadurch entstehe echte Dramatik, sagte Rinke im DLF. Wie im Theater gebe es auch immer den Schurken, bei der WM wunderbar in Szene gesetzt von Sepp Blatter.

Moritz Rinke im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Der Schriftsteller Moritz Rinke
    Der Schriftsteller Moritz Rinke (dpa / picture-alliance / Ole Spata)

    Friedbert Meurer: Für die einen ist es die schönste Nebensache der Welt, für andere ein Drama mit Tränen und Verzweiflung, wenn Deutschland heute Abend gegen Portugal sein erstes Spiel bei der WM verlieren sollte. Zwischen Fußball und einer Tragödie gibt es durchaus Parallelen. Wenn eine Mannschaft ausscheidet, kann es tragisch sein, ein Spieler kann heute der umjubelte Held sein und morgen verspottet werden, weil er den Elf Meter neben das Tor gesetzt hat. Einige verbinden auch Fußball und Literatur ganz direkt miteinander und spielen in der deutschen Autoren-Fußball-Nationalmannschaft, Moritz Rinke zum Beispiel, erfolgreicher deutscher Theaterautor. Er ist Stürmer der Autoren-Nationalmannschaft, die übrigens 2010 Europameister geworden ist. Frage an Moritz Rinke: Was reizt einen Theatermann am Fußball?
    Moritz Rinke: Na ja, man kann das auch trennen. Einmal habe ich selber Fußball gespielt, jahrelang, auch Landesliga, wirklich auch sehr ambitioniert, und das ist natürlich eine sportliche Leidenschaft. Was Theater und Fußball vielleicht verbindet, ist eine Sehnsucht der Künstler nach einer Form von Dramatik, die vielleicht die Bühne nicht so herstellen kann, wie es der Fußball kann. Beim Theater ist ja alles gemacht, einstudiert. Das will zwar Jogi Löw auch immer, alles einstudieren, aber dann kommt der Zufall dazu, das Unvorhersehbare, und das ist das Tolle am Fußball, dass immer die Übung, die Planung zerbrochen und zerstört wird durch die Unplanbarkeit, und das macht den Fußball so spannend.
    Meurer: Das Theater zeichnet ja aus das Drama, das klassische Drama, das es mit Helden und Schurken auskommt. Sie haben die Nibelungen neu geschrieben. Ist für Sie der Fußball ähnlich einer Tragödie: Es gibt Helden und es gibt Schurken und das macht die Sache spannend?
    Rinke: Ja! Der Fußball schreibt immer wunderbare Heldengeschichten, tragische Helden gibt es, es gibt bei jedem Spiel Vorgeschichten, Nachgeschichten. Der Fußball hat ein sehr episches Moment. Das ist eigentlich ein relativ einfaches Spiel, sehr simpel, darum zieht es vielleicht viele Menschen an, aber man kann das auch sehr komplizieren. Man kann wunderbar darüber reden, jahrelang reden, weil der Fußball immer weitere Verästelungen und Verkomplizierungen auch verträgt. Er hat eigentlich eine geniale Einfachheit und eine komplizierte Genialheit. Es ist ein wirkliches Mysterium um den Fußball.
    Sepp Blatter während einer Gala am Redepult
    Sepp Blatter (Patrick Seeger, dpa picture-alliance)
    Blatter - der Mörder kurz vor Beginn des fünften Aktes
    Meurer: Für die deutschen Fußballfans ist ja die Rolle des Schurken im Moment eindeutig besetzt, und zwar durch Sepp Blatter, den FIFA-Chef. Füllt er diese Rolle gut aus?
    Rinke: Sepp Blatter füllt die Rolle des Schurken wirklich mittlerweile besser aus, als das, glaube ich, Macbeth bei Shakespeare konnte. Wenn man ihn auf der Tribüne in Sao Paulo sah bei der Eröffnung der WM, dann sitzt er Salznüsschen kauend dort, die Pfiffe nimmt er eher belustigend entgegen. Das ist so quasi der Mörder kurz vor Beginn des fünften Aktes, der sich noch mal seine letzten Opfer ausguckt und sie belächelt.
    Meurer: Jetzt gibt es ja Kritiker, die sagen, Sport ist alles nur noch Kommerz, Sepp Blatter steht dafür, aber der Sport, der Fußball ist durch und durch kommerzialisiert. In Katar werden die Arbeiter als Sklaven ausgebeutet, die sozialen Probleme in Brasilien, die werden weggewischt. Folgern Sie auch wie andere, schafft die Fußball-Weltmeisterschaft ab?
    Mit der Autoren-Nationalmannschaft in Brasilien
    Rinke: Das wäre natürlich eine schreckliche Frage, die Sie stellen, weil wie soll man die eigene Liebe abschaffen, wie soll man das, was man am heißesten begehrt, wie soll man sich davon trennen? Und das Perverse ist, dass die FIFA das weiß, dass wir uns alle davon nicht trennen können, und so liegt diese schwarze Hand auf diesem großen Herzen und das ist etwas, was immer mehr die Sache verdunkelt. Lassen Sie es mich so sagen: Ich war jetzt in Brasilien mit der Autoren-Nationalmannschaft und wir haben gemerkt, wie sehr die Menschen dort unter dieser WM leiden, weil der Fußball nicht mehr bei ihnen ankommt, sondern weil der Fußball bei ganz wenigen nur noch ankommt, und der Fußball hatte ja immer eine unglaubliche Kraft, die Welt auf den Kopf zu stellen, dass die Armen die Eliten besiegten und damit Selbstbewusstsein erlangten, und der brasilianische Fußball ist ein solcher Fußball, der von unten nach oben kommt oder von unten entstand. Und dass dieser Fußball jetzt wirklich nicht mehr bei den Menschen ist, sondern nur noch bei den Eliten, das ist sehr schade.
    !!Meurer:! Die Liebe bei Ihnen zum Fußball, Herr Rinke, kommt dadurch, dass Sie, wie Sie gesagt haben, selber Fußball gespielt haben, noch spielen. Sie waren Torschützenkönig bei der Europameisterschaft der Autoren-Nationalmannschaften. Wie finden Sie eigentlich die Idee von Jogi Löw, ohne Mittelstürmer zu spielen?
    Ratschläge an Jogi Löw
    Rinke: Ja ich glaube, das ist ein Fehler, weil es in Brasilien bei den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit darauf ankommt, auch schnell umschalten zu können, das Spiel variabel zu halten, und ich glaube, dass ein Guardiola-System, in Überzahl immer in Ballnähe zu sein, das wird schwer zu halten sein. Darum braucht man auch mal lange Bälle und dann braucht man einen Stürmer, der auch mal Bälle abschirmen kann und warten, bis die Mittelfeldspieler aufrücken. Das wird schwierig ohne wirklich einen zentralen Stürmer. Klose ist nicht mehr der Fitteste mit seinen 36, der wird nicht auf die ganze Distanz gehen können.
    Meurer: Noch mal der Vergleich zum Theater: Eine Mannschaft ohne Mittelstürmer ist so ein bisschen wie ein Schauspieler, der den Kopf unter dem Arm trägt?
    Rinke: Ja! Nicht für jedes Spiel, aber ich glaube, für so eine lange WM, eventuell sieben Spiele – und sieben Spiele wird es geben, wenn man den Titel haben möchte -, da braucht man schon vielleicht auch irgendwann mal einen Stürmer.
    Meurer: Moritz Rinke, Dramatiker und Stürmer der deutschen Autoren-Nationalmannschaft, zum Spiel heute Abend Portugal gegen Deutschland. Herr Rinke, viel Spaß beim Spiel und danke schön!
    Rinke: Ja! Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.