Zeit ist Geld, sagt der Volksmund. Und offenbar auch die Fußballverbände, die ihre Nationalteams bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland von A nach B bringen müssen. Für 40 Prozent der Team-Reisen haben die Nationalverbände Flugzeuge gechartert – das ist teurer als ein Transfer mit Bus oder Bahn, aber eben schneller und (vermeintlich) stressfreier, gerade in der Endphase eines Turniers. So kam es unter anderem zu mehr als 70 Kurzstreckenflügen, die teils nicht einmal 30 Minuten dauerten.
Dabei hatten die Organisatoren um Turnierdirektor Philipp Lahm, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der europäische Fußballverband (UEFA) die nachhaltigste Fußball-EM aller Zeiten versprochen. So betonte UEFA-Vizepräsident Michelle Uva noch vor der EM: "Wir müssen den Worten Taten folgen lassen. Ich denke, es wird das nachhaltigste Event aller Zeiten werden."
Fußballteams bei EM keine Umweltschutz-Vorreiter
Die Taten der Nationalverbände sprechen allerdings eine andere Sprache. Den größten Anteil der CO2-Emissionen bei einem Turnier verursachen zwar die Flüge der Fans. Und um diese zu animieren, lieber den Zug zu nehmen, hatten Forscher des Öko-Instituts aber empfohlen, dass die Teams mit gutem Beispiel vorangehen – und nicht fliegen. Mit dieser Vorbildfunktion ist es nun nicht weit her.
Jan-Niclas Gesenhues (Grüne), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, lobte im Dlf-Gespräch zumindest das Bewusstsein der Organisatoren: "Zunächst mal ist es zu begrüßen, dass die UEFA diesen Anspruch deutlich gemacht hat, die nachhaltigste EM aller Zeiten zu organisieren. Auch vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit Sportgroßereignisse das Gegenteil davon waren, wo Menschenrechte und Ökologie keine große Rolle gespielt haben."
Allerdings sieht auch Gesenhues eine Vorbildfunktion der Fußballteams: "Mobilität spielt eine ganz wichtige Rolle für die Klimabilanz. Statistisch machen die Teamreisen nur einen geringen Anteil der Gesamtemissionen aus – unter einem Prozent. Aber trotzdem ist das ein wichtiger Vorbildcharakter. Deswegen finde ich auch: Gerade bei den kurzen Strecken, dass man mit dem Bus fährt oder dem Zug anreist, ist das ein wichtiges Signal nach draußen."
Gesenhues: Mobilität ist gesellschaftliches "Sorgenkind"
Der Grünen-Politiker wies darauf hin, dass sich aber die Gesamtbilanz, wie nachhaltig die Fußball-EM in Deutschland war, nicht unbedingt nach einem vorbildlichen Verhalten der Teams bemessen lässt. Gesenhues unterstrich: "Es wurde auf Mehrweggeschirr gesetzt, wo es möglich war. Es wurde Ökostrom eingesetzt, gab einen sparsameren Umgang mit Wasser, wurde ein Klimafonds aufgelegt, mit dem gezielt Klimaschutz-Projekte in den Vereinen unterstützt werden. Es ist eine ganze Menge passiert, es sind richtige Schritte."
Wobei auch Gesenhues klar betonte: "Aber wir sind natürlich noch nicht am Ziel. Wenn wir wirklich eine umfassend nachhaltige Europa- oder Weltmeisterschaft durchführen wollen, müssen wir insbesondere an das Thema Mobilität ran." Dieses Thema sei ein gesamtgesellschaftliches "Sorgenkind beim Klimaschutz". Bus und Bahn könnten dazu beitragen, Emissionen einzusparen – wenngleich die Deutsche Bahn "seit zehn, 20 Jahren kaputtgespart worden ist", so Gesenhues: "Wir korrigieren das jetzt an vielen Stellen."
Auch die UEFA hat vor der EM allen Nationalverbänden dringend geraten, Bus und Bahn zu nutzen, legte ihnen sogar CO2-Kalkulationen zu den jeweiligen Verkehrsmitteln vor. Auf fruchtbaren Boden fiel das alles nicht. Verbände wie Spanien und England ignorierten die Empfehlung fast völlig. Reicht freiwilliger Verzicht also vielleicht nicht mehr aus?
Angesprochen auf ein generelles Verbot für Kurzstreckenflüge, wich Gesenhues aus: "Das ist eine Entscheidung der Nationalverbände. Es wäre sinnvoll, wenn die Teams stärker auf klimafreundliche Mobiltät setzen. Ich will dazu aber auch nochmal sagen: Es ist ein ganz wichtiger Vorbildcharakter. Letztlich aber machen die Emissionen der Team-Mobilität unter einem Prozent aus. Deswegen bringt es nichts, nur über das eine Thema zu sprechen. Wir müssen schon die gesamtökologische Bilanz in den Blick nehmen."
Stirnrunzeln über klimaschädliche UEFA-Werbepartner
Diese "gesamtökologische Bilanz" ist das eine, zum Gesamteindruck zählen aber auch weitere Aspekte. Mindestens für Stirnrunzeln sorgt auch bei Gesenhues, dass bei einer als nachhaltig beworbenen EM die Fans bei den TV-Übertragungen Werbungen von alles andere als klimafreundlichen UEFA-Werbepartnern sehen müssen – etwa die Spots einer katarischen Fluglinie.
Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium macht deutlich: "Das ist eine Entscheidung, die die UEFA treffen muss. Aber ich denke, wenn man sich selbst den Anspruch gibt zu sagen, wir wollen für Nachhaltigkeit stehen, sollte man sich auch fragen, von wem man sich unterstützen lässt oder wo man das Geld investiert. Das hat am Ende des Tages eine ganze Menge mit der Glaubwürdigkeit zu tun."
jti