Etwas über eine Woche ist um bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Zeit, nicht nur eine Zwischenbilanz zum sportlichen Abschneiden der Nationalteams zu ziehen, sondern auch zu den Schiedsrichterleistungen.
Der Schweizer Urs Meier war lange selbst Schiedsrichter auf Top-Niveau. Im Deutschlandfunk-Interview bilanziert er zu den Unparteiischen bei der EM: "Ich würde ihnen gut bis sehr gut attestieren. Mir gefällt es. Die Linie, die sie anwenden, ist großzügig. Es wird akzeptiert vom Spieler, vom Umfeld."
Meier stärkt Schiedsrichter Makkelie den Rücken
Das dürften manche auch anders sehen: So gab es jüngst großen Unmut der Ungarn im Gruppenspiel gegen Deutschland, als Verteidiger Willy Orban im eigenen Strafraum vom deutschen Kapitän Ilkay Gündogan in einem intensiven Zweikampf der Ball geklaut wurde und der Ungar dabei zu Fall kam. Der von den Ungarn geforderte Foulpfiff des niederländischen Schiedsrichters Danny Makkelie blieb aus, daraufhin legte Gündogan Jamal Musiala das Führungstor auf.
Urs Meier stellt klar: "Strittige Situationen gibt es immer. Natürlich verstehe ich die Ungarn, wenn sie lieber den Pfiff gehabt hätten. Aber wenn man die ganze Linie anschaut bei dieser EM, ist das auf dieser Linie. Und ich glaube, dass der Spieler [Orban, d. Red.] schon nicht mehr fest gestanden hat, er ist schon im Fallen gewesen. Dieses Stoßen hat nicht dazu geführt, dass er aus dem Gleichgewicht gekommen ist."
Italiens Torwart Donnarumma nach neuer Regel bestraft
Ein Aspekt fällt Meier bei der Fußball-EM allerdings besonders positiv auf. Eine Neuerung, die Meier für "genial" befindet: "Dass nur noch der Spielführer mit dem Schiedsrichter reden kann, es keine Rudelbildungen mehr gibt - ich finde das ganz toll, was man da zum Teil sieht." Die Spieler hätten ganz klar Respekt vor einer möglichen Gelben Karte. Meier sieht darüber hinaus eine "Aufwertung des Spielführers". Der Ex-Unparteiische hofft außerdem, dass dieses Modell auch im Amateurfußball Schule macht.
Die neue Regel, dass nur noch der Kapitän mit dem Schiedsrichter reden darf, gilt erstmals bei dieser Fußball-EM. Rudelbildungen sollen der Vergangenheit angehören, wenn es nach der UEFA geht. Roberto Rosetti, ehemaliger Weltschiedsrichter und Vorsitzender der UEFA-Schiedsrichterkommission, sagte vor ein paar Wochen zur Einführung: "Eine Entscheidung zu begründen, wenn 22 Spieler auf einen einreden, ist ein Ding der Unmöglichkeit."
Mit der neuen Regel machte auch schon Italiens Torwart Gianluigi Donnarumma Bekanntschaft. Er wurde im Spiel gegen Spanien vom Unparteiischen Slavko Vincic mit Gelb verwarnt, nachdem er zu ihm gelaufen und sich meckernd vor ihm aufgebaut hatte. Zwar ist Donnarumma Kapitän, doch in seinem Fall griff ein Zusatz der neuen Regel: Wenn der Torwart der Kapitän ist, muss der Verband einen Feldspieler mit der Aufgabe betrauen, mit dem Schiedsrichter zu kommunizieren. Was Donnarumma offenbar nicht wusste, denn er blickte nach der Gelben Karte verwundert drein.
VAR hilft aus: Schiris sehen im Strafraum wenig selbst
Luft nach oben sieht Meier bei seinen Kollegen aber punktuell auf jeden Fall, etwa bei Strafraumszenen. "Was mir aufgefallen ist: Die Schiedsrichter sehen solche Sachen nicht, pfeifen sie oft gar nicht. Das überrascht mich, das ist ihre Hauptaufgabe, eben genau solche Situationen im Strafraum zu beurteilen. Das hat man schon im Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland bei Clément Turpin gesehen", betont der 65-Jährige.
Er nimmt Bezug auf den nach VAR-Intervention gegebenen Elfmeter für Deutschland nach einem Foul von Schottlands Ryan Porteous gegen Gündogan: "Wie der da reingegangen ist – diese ganze Brutalität, diese Dynamik, dass [der Schiedsrichter] das nicht gesehen hat, nicht einmal Foul gepfiffen hat, das verstehe ich nicht. Es gibt Situationen, die muss der Schiedsrichter sehen, da muss nicht der Videoassistent eingreifen."
jti