Über die Boxen verkündet der Stadionsprecher: "Im Namen des Schweizerischen Fußballverbandes bedanken wir uns am heutigen Abend hier im Stadion Letzigrund zu Zürich bei sagenhaften 17.306 Zuschauerinnen und Zuschauern. Ganz herzlichen Dank für ihren Besuch und ihren Support - Hopp Schwiiz!" Und das Publikum antwortet: "Hopp Schwiiz""
17.306 Fans im Stadion - ein erstes Anzeichen, dass sich so langsam Vorfreude zur anstehenden EM in der Schweiz entwickelt: Waren zu Beginn von 2024 noch 3000 bis 5000 Zuschauer:innen bei den Heimspielen des Schweizer Nationalteams, haben sich die Zahlen über das Jahr von Rekord zu Rekord gesteigert: mit 10.800 Fans gegen Frankreich, 14.370 gegen Australien und zuletzt nun beim Testspiel gegen Deutschland in Zürich 17.306.
Acht Spielorte in der Schweiz
Das Stadion in Zürich gehört neben Basel, Bern, Thun, St. Gallen, Luzern, Sion und Genf zu den acht Host Citys.
"Ja, es ist erst mal schön, dass wir hier vor einer Rekordkulisse gespielt haben." Bei der deutschen Nationalspielerin Lea Schüller ist während des Spiels, trotz 6:0-Sieg, noch nicht ganz so viel EM-Stimmung angekommen: "Ich habe, um ehrlich zu sein, nicht ganz so viel mitbekommen. Ich finde es auch immer ein bisschen schwierig, wenn noch eine Tartan-Bahn drumherum ist. Aber trotzdem war es natürlich ein extrem schönes Bild."
Torhüterin Herzog: "Hoffen, dass dieser Trend anhält"
Aus dem Mund der Schweizer Spielerinnen klingt das doch etwas anders. Der Torhüterin Elvira Herzog ist die Begeisterung über die Rekordkulisse anzumerken: "Ja, unfassbar. Man hat auch in der zweiten Halbzeit die Welle ab und zu durchs Stadion hören und sehen gehen, was extrem gepusht hat. Es hat uns extrem viel bedeutet, dass wir schon vor dem Spiel mitgekriegt haben, wie viele Tickets schon verkauft sind und wie viele Fans da sein werden. […] Wir hoffen, dass dieser Trend jetzt trotzdem weiter anhält."
Die Begeisterung für den Fußball der Frauen ist für die Schweiz neu, sagt Turnierbotschafterin Lara Dickenmann - ehemalige Schweizer Nationalspielerin und vierfache Deutsche Meisterin mit dem VfL Wolfsburg: "Diese ganze Euphorie und positive Stimmung um den Frauenfußball herum. Ich habe das Gefühl, vieles, was den Frauenfußball anbelangt, war immer sehr negativ in der Schweiz und mit dem guten Resultat gegen Frankreich und auch dem guten Resultat gegen Australien hat man das erste Mal diese Euphorie auch so ein bisschen über uns Kernfunktionär:innen und Fußballerinnen hinaus gespürt in der Schweiz. Und diese Euphorie und diese positive Stimmung, die wird auf jeden Fall vorhanden sein, weil die wird von allen anderen Ländern auch mit in die Schweiz getragen."
Politik wollte Budget drastisch kürzen
Dabei hat es vor einem Jahr noch so ausgesehen, als würde die EM einen Dämpfer von politischer Seite bekommen: 15 Millionen Franken wollte der Schweizer Bundesrat zur Verfügung stellen. Im Januar 2024 sollte der Betrag dann plötzlich auf vier Millionen Franken reduziert werden. Spardruck, hieß es. In der Schweizer Gesellschaft hat das eine Debatte über den Wert des Frauenfußballs ausgelöst.
Fußballaktivistin und Fanforscherin Laura Rivas-Kaufmann findet, "dass das eine Häme ist, wenn man selbst 15 Millionen für zu viel Geld hält im Vergleich zu irgendwie 80 Millionen, die ausgegeben wurden für die Männer-EM 2008."
Laura Rivas-Kaufmann wollte die Budget-Kürzung nicht hinnehmen: Gemeinsam mit Sarah Akanji, Ex-Nationalspielerin der Schweiz, startet Rivas-Kaufmann im März 2024 eine Petition. Der Tenor: "Budgetkürzungen bei der EM? Rote Karte für den Bundesrat! Wir fordern, dass das Parlament die Frauen-EM mit einem angemessenen Beitrag unterstützt!" Am Ende unterschreiben 17.000 Personen die Petition in sechs Tagen.
EM soll Bild vom Fußball der Frauen in der Schweiz verändern
Ähnlich wie Turnierbotschafterin Dickenmann findet auch Rivas-Kaufmann, dass es in der Schweiz immer noch ein sehr angestaubtes Bild über den Fußball der Frauen gebe. Beide hoffen, dass die EM das verändern kann. Der Zulauf, den die Petition bekommen hat, ist für Rivas-Kaufmann ein erster Schritt: "Und einfach zu merken, so ein bisschen dieses 'Wir-sind-viele-Gefühl'."
Und dieses Gefühl, das zahlt sich am Ende auch aus: Im Sommer 2024 ändert der Schweizer Nationalrat die Pläne des Bundesrates und gibt die 15 Millionen doch frei. Rivas-Kaufmann: "Ich denke, es hätte immer noch mehr Geld sein dürfen, weil man ja in alles investieren muss. Also in jedes neue Produkt rein wirtschaftlich zuerst mehr investieren muss als zurückkommt. Einfachste Ökonomie."
Mehr als 300.000 Tickets verkauft
Aber erst mal ist der erhöhte Zuschuss etwas Positives – auch für die Fans: Dank des Zuschusses sind die Eintrittskarten für die Spiele jetzt auch gleichzeitig kostenlose Zugtickets innerhalb der Schweiz. Mittlerweile sind mehr als 300.000 Tickets verkauft. Neben der Schweiz vor allem an Fans aus Deutschland, Wales, Frankreich, Norwegen und England.
Was das Schweizer Nationalteam angeht, soll der Fokus aber beim Sport bleiben, sagt Nadine Angerer, Ex-Nationaltorhüterin Deutschlands und jetzt Torwarttrainerin beim Schweizer Team: "Ich glaube, wichtig ist, dass wir uns sehr gut vorbereiten auf der sportlichen Ebene. Aber wichtig ist auch, dass die Spielerinnen genug Ruhe bekommen und jetzt nicht von einem Medientermin zum anderen rennen. Weil wichtig ist, dass der Fokus auf dem Fußball bleibt, auch wenn es eine Heim-EM ist."