EM 2024
Im Osten nichts Neues

Von 51 Spielen bei dieser EM fanden ganze vier in Leipzig und damit im Osten Deutschlands statt. Dazu noch sechs im Berliner Olympiastadion, das aber geografisch in West-Berlin verortet ist. Was bleibt vom Heimturnier im Osten?

Von Matthias Friebe | 07.07.2024
Der EM-Pokal ist im leeren Leipziger Stadion zu sehen.
Leipzig ist der einzige ostdeutsche Spielort bei der EM 2024: Ob das nachhaltige Effekte haben wird, ist ungewiss. Für mehr Spiele in den neuen Bundesländern fehlten vor allem aber auch die geeigneten Stadien. (dpa / picture alliance / motivio)
Noch einmal wurde vor dem Spiel Österreich gegen Türkei der Countdown im Leipziger Stadion gezählt. Das Achtelfinale mit dem umkämpften Sieg der türkischen Mannschaft ist der sportliche Schlusspunkt der EM in Leipzig.
„Das Losglück war auf unserer Seite. Wir hatten vier tolle Spiele", sagt ein sehr zufriedener Jörg Junhold. Der Leipziger Zoodirektor ist einer von drei EM-Botschaftern der Stadt.
„Unterm Strich hat sich das alles ausgezahlt, auf die Stimmung in der Stadt, die vielen Fans, die hier waren. Alles ist ganz großartig gelaufen und schon die Ansetzungen waren wirklich cool.“

Internationales Medienzentrum und Videokeller als Zusatz

Vorher gab es in Leipzig schon die Spiele Portugal-Tschechien, Frankreich-Niederlande und Kroatien-Italien. Dass es nur vier der insgesamt 51 EM-Spiele in Leipzig sind und nicht wenigstens fünf oder sechs, liegt auch daran, dass das Stadion das kleinste der zehn Arenen ist. Dafür wurde das Internationale Medienzentrum der EM in Leipzig eingerichtet und damit auch der sogenannte Videokeller, von dem aus alle strittigen Entscheidungen auf den zehn Plätzen überprüft werden.
„Die UEFA hat uns super Zeugnisse ausgestellt, hat gesagt, es läuft alles sehr sehr gut, wir gehören mit zu den besten Organisatoren. Das hört man natürlich auch gerne.“
Zufriedener könnte man nicht sein in Leipzig. Die Stadt hofft auf Effekte, die über das Turnier hinausgehen. Auf MDR-Anfrage teilt die Stadt mit, man rechne mit rund 59 Millionen Euro Mehr-Einnahmen, vorher seien 15 Millionen investiert worden, um die UEFA-Vorgaben in Sachen Fanzone oder Sicherheit zu erfüllen.
In der Wissenschaft ist es aber sehr umstritten, ob nach der kurzen Zeit des Events auch längerfristig die Wirtschaft angekurbelt werden kann. In jedem Fall habe man das Image der Stadt verbessert, findet auch Hermann Winkler.

In anderen ostdeutschen Städten fehlen die Stadien

„Das ist ja für uns auch wichtig, weil wir wissen, so viele Menschen aus Europa waren noch nicht in Leipzig, da waren mehr in Berlin oder Köln oder Hamburg und deshalb wollten wir da auch ein Stück glänzen und das ist sehr gut gelungen.“
Das Selbstbewusstsein ist groß nach der EM-Party, die Leipzig gefeiert hat. Winkler leitet den Sächsischen Fußball-Verband und ist gleichzeitig Präsident im Nordostdeutschen Fußballverband, dem Zusammenschluss der Verbände zwischen Ostsee und Erzgebirge. Wieviel Glanz des Turniers auch dorthin strahlt, ist fraglich nach der EM.
„Bis jetzt haben wir da keine Neiddiskussion, weil die Brandenburger und Thüringer und die Sportfreunde aus Meck-Pomm einsehen, dass Ihre Stadien leider zu klein sind.“
Nur in Leipzig gibt es ein Stadion, dass die Vorgaben und Kapazitätsgroßen der UEFA erfüllt. In allen anderen Städten hätte für viel Geld saniert und vergrößert werden müssen.
„Aber man muss hier auch an die Nachhaltigkeit denken, das muss nachgenutzt werden können. Aber natürlich sind Standorte wie Dresden, Rostock, Magdeburg, Cottbus schon Standorte, wo wir zumindest überlegen müssen, ob es nicht Sinn macht, für die Zukunft des Bundesliga-Fußballs beispielsweise es auch Sinn macht, Geld in die Hand zu nehmen und Stadien auf Vordermann zu bringen.“

Toni Kroos als ostddeutsche Identifikationsfigur

Ob und wann das passiert, steht aber in den Sternen. 350 Kilometer nördlich von Leipzig leitet Diana Räder-Krause hier den Fußballkreis Vorpommern-Greifswald. Nicht nur geographisch ist die EM weit weg für Sie.
„2014 war hier noch Stimmung, aber das ist nicht da. Jeder macht seins, auch was das Public Viewing angeht. Manche Vereine veranstalten was, auch die Gemeinden, aber ansonsten ist nicht viel zu merken davon.“
Und es wäre wohl noch weniger, wenn nicht Superstar Toni Kroos zurückgekehrt wäre, mit ihm identifizieren sich viele im Nordosten ganz besonders.
„Der ist noch mal extra so ein Bild, wo viele auf ihn gucken. Da ist auch Stolz, der kommt aus Greifswald, deshalb guckt man diese Spiele noch intensiver.“
Wirklich bleiben wird von dem Turnier aber nicht viel für die Vereine oder auch in der Region insgesamt, vermutet Diana Räder-Krause. Es gab zwar in Mecklenburg-Vorpommern eine von der Politik geförderte sogenannte „Kids-EM“, die im D- und E-Jugend-Bereich für einige Aufmerksamkeit sorgte. Ob es aber wie nach früheren Turnieren zu beobachten, einen Run im Kinder- und Jugendbereich geben wird, steht noch nicht fest.

Banger Blick auf die Wahlen im Herbst

Fußball-Regionalpräsident Hermann Winkler hofft zwar auf viele Neuanmeldungen, sieht aber politisch schwierige Rahmenbedingungen. „Ein politischer Skandal für mich“, sagt er mit Blick auf die Kürzung von Sportstätten-Förderprogrammen ausgerechnet im Jahr der Heim-EM, die gerade in vielen Kommunen auch in Ostdeutschland dringend benötigt werden.
Winkler hatte zwischen 1990 und 2019 für die CDU viele politische Ämter inne. Er saß unter anderem im Europaparlament und leitete die sächsische Staatskanzlei. „Da hoffe ich, dass die vielen Mitglieder der Bundesregierung und die politischen Entscheidungsträger, denen es jetzt bei den Fußball-Spielen gefällt, dass die sich auch danach bei ihren Entscheidungen in Berlin daran erinnern, wie wichtig und gut der Fußball ist.“
Aus der Politik waren ja vor dem Turnier viele Hoffnungen geäußert worden, gerade mit Blick auf das gesellschaftliche Klima. Diana Räder-Krause ist auch hier skeptisch: „Fußball ist schön, er lenkt im Moment ab von den Problemen ein bisschen. Aber sobald das weg ist, wird uns die Politik so schnell wieder einholen und die Verhältnisse, die gewachsenen Kosten, alles, was hier ansteht, die Schulproblematik – all das ist, glaube ich, stärker.“
In drei ostdeutschen Ländern wird im Herbst gewählt. Am 22. September in Brandenburg, drei Wochen davor in Thüringen und Sachsen. Leipzigs EM-Botschafter Jörg Junhold hofft, dass die EM zumindest beitragen kann zum Wahlergebnis.
„Ich wünsche mir auch, dass wir uns insbesondere am 1. September in Sachsen vor Augen halten, was sind demokratische Werte, dass wir weder nach rechts noch nach links abdriften.“

Auch in Zukunft als Veranstalter empfehlen

Umfragen vor der Landtagswahl in Sachsen sehen seit Monaten die AfD als stärkste Kraft. Eine Regierungsbildung könnte zu einer großen Herausforderung werden. Die tolle Stimmung könne aber durchaus aufs Wahlergebnis einzahlen ist Junhold überzeugt, denn man habe in der Zeit der EM auch gelernt, was möglich sei, wenn alle zusammenhalten in einer Stadt.
„Wir sind gute Gastgeber und sind professionell. Und wenn wir das als Leipzig zeigen, dann ist das vielleicht ansteckend, dass wir dann auch ein paar andere Städte noch haben, dass wir dann auch zeigen können im Osten Deutschlands, dass wir es auch können.“
Hier spricht das Selbstbewusstsein des EM-Gastgebers, der ausgelöst durch die guten Erfahrungen der letzten Wochen schon größer träumt. „Wenn wir noch bekannter werden international und das hat dazu gedient, dann ist das ein Pluspunkt und wir können uns für jedes Event im Sport, dass es auf der Welt gibt empfehlen und können das auch.“