Wüsste man es nicht besser, würde man kaum auf die Idee kommen, dass Südkorea gerade bei der WM vertreten ist. Am Dienstag vergangener Woche etwa informierte der Auslandssender Arirang über das Turnier und die nationale Beteiligung: "Südkorea ist in Gruppe H und hatte sein erstes Spiel an diesem Morgen, verlor es aber mit 0:2 gegen Kolumbien. Mehr soll am Sonntag kommen und dann am nächsten Donnerstag", so die Ankündigung im TV.
Mittlerweile ist bekannt, dass die Südkoreanerinnen ein kleines Wunder bräuchten, um noch das Achtelfinale zu erreichen. Denn nachdem am Sonntag auch das zweite Gruppenspiel gegen Marokko mit 0:1 verloren ging, müsste Südkorea am Donnerstag gegen Deutschland mit fünf Toren Unterschied gewinnen – zugleich dürfte Marokko nicht gegen Kolumbien punkten.
Frauenfußball-WM im koreanischen Fernsehen nur Randthema
Wesentlich mehr Infos zur WM der Frauen brachte der Sender allerdings nicht, sondern wechselte bald das Thema: "Unterdessen werden immer mehr von Koreas männlichen Stars bei europäischen Topklubs unter Vertrag genommen: wie etwa Lee Kang-in bei Paris St. Germain und Kim Min-jae bei Bayern München. Was steckt dahinter und was können wir von ihnen erwarten?", so der O-Ton aus dem koreanischen Fernsehen.
Die Saisonvorbereitung der Männer sorgt in Südkorea für mehr Schlagzeilen als die Weltmeisterschaft der Frauen. Und der Sender Arirang ist hier kein Einzelfall. Generell fällt in Südkorea auf, wie wenig öffentliches Interesse das wichtigste Turnier im Frauenfußball bekommt.
Fragt man in Seoul nach der laufenden WM, blickt man fast immer in ratlose Gesichter. Die Ignoranz ist beachtlich. Denn zumindest nominell gehört Südkorea nicht wirklich zu den Außenseiterinnen: Bei den bisherigen drei WM-Teilnahmen sind die Südkoreanerinnen einmal über die Gruppenphase hinausgekommen.
Südkoreas Anführerin Ji So-yun – nur im Ausland ein Star
Und auf der FIFA-Weltrangliste belegte Südkorea vor dem WM-Start Platz 17. Mit der Offensivallrounderin Ji So-yun verfügt die Truppe auch über eine der besten Spielerinnen der Welt.
Als Leistungsträgerin des Londoner Topklubs FC Chelsea hat die heute 31-jährige Ji So-yun in acht Jahren 13 Titel gewonnen und wurde mehrmals zur Fußballerin des Jahres gewählt. Kein männlicher Spieler aus Südkorea ist derart erfolgreich. Seit vergangenem Jahr spielt Ji in Südkorea, um die heimische Liga zu pushen. Aber allseits bekannt ist die Top-Athletin trotzdem nicht.
Fußball als Teil des "Genderkriegs" in Korea
Kritische Stimmen interpretieren diese Ungleichheit gegenüber den Männern als Sexismus. Schon länger klagen Feministinnen und Feministen über Diskriminierung und Missachtung von Frauen in diversen Gesellschaftsbereichen. Der Konflikt ist so harsch, dass von einem "Genderkrieg" die Rede ist.
Damit Ji So-yun und ihre Mannschaft nun einmal die Nachrichten dominieren, müsste ihnen wohl eine Sensation gelingen: ein Kantersieg gegen Deutschland und das Erreichen des Achtelfinales. Dann wiederum stünden die Chancen auf nationale Euphorie ziemlich gut. Denn Sexismus mag existieren in Südkorea - aber auch Patriotismus ist allgegenwärtig.