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Fußball im Frühling

Bald ist es ein Jahr her, dass der arabische Frühling in Tunesien seinen Anfang nahm, und wenn die Welle des Umbruchs irgendwann zu Ende ist, wird diese Welt wahrscheinlich eine andere sein. Natürlich auch die Welt des Sports, die selten unberührt bleibt von großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Libyens Fußballteam repräsentiert ein neues Land, was die Menschen in einen Zustand größter Begeisterung versetzt, und in Ägypten waren der Fußball und seine Anhänger sogar eine treibende Kraft in den Tagen des Umsturzes.

Von Daniel Theweleit |
    Wahrscheinlich war dieser 2. Februar, an dem CNN und alle anderen großen Nachrichtensender des Planeten live aus Kairo berichteten, der Tag an dem sich die Revolution in Ägypten entschied. Diktator Hosny Mubarak schickte bewaffnete Söldner, um die Proteste auf dem Tahrir-Square zu zerschlagen. Der zentrale Platz im Herzen von Kairo war bevölkert mit jungen Leuten, die Facebook-Generation heißt es oft. Internetaktivisten und auch die islamistischen Moslembrüder waren vor Ort. Dass die gewaltbereiten Anhänger der beiden großen Kairoer Fußballvereine Zamalek und Al Ahly an diesem Tag eine zentrale Rolle spielten, hat die internationale Presse hingegen kaum wahrgenommen. James Dorsey, ein Experte für den Fußball des mittleren Ostens, der als Forschungsbeauftragter an der Rajaratnam School of International Studies in Singapur arbeitet, glaubt dass die Revolution ohne diese Ultras möglicherweise niedergeschlagen worden wäre, als Mubaraks Schergen angriffen.

    "Die Frage für viele, die in diesem Augenblick entstand war: Was tue ich? Streite ich, oder will ich vor dem Risiko weglaufen. Die Tatsache, dass sich in dem Moment die Fußballfans an die Frontlinie gesetzt haben, Leute, die den Respekt vieler Demonstranten hatten, weil man wusste, dass die sich jede Woche gestritten haben, und dadurch Erfahrung hatten in Straßenkämpfen, die Tatsache, dass die da waren, führte dazu, dass das war übrig war von der Barrikade der Angst dann völlig abgebrochen ist."

    Es ist eine These, die Leute auf dem Tahrir-Platz waren nicht als Fußballanhänger erkennbar. Doch auf ihren Internetseiten hatten sie zum Protest aufgerufen. Sie waren jung, unerschrocken gut vernetzt, und sie hatten sich über Jahre regelmäßig Schlachten geliefert. Es scheint schlüssig, dass sie so etwas wie der professionelle Flügel des Straßenkampfes waren. Und es waren viele.

    "Das sind die zwei wichtigsten Klubs, sowohl in Ägypten als auch in ganz Afrika. Sie haben auch den größten Anhang. Ahly hat in einem Land von 80 Millionen Einwohnern ungefähr 50 Millionen Anhänger. Also man spricht von großen Zahlen. Da haben sich die militanten Gruppen geformt 2006 2007 und kamen erstens in Konflikt miteinander, weil die beiden Klubs politisch sehr verschiedene und sehr gegenüberstehende Geschichte haben und einander hassen. Und zweitens mit der Sicherheitspolizei. Und dadurch gab es beinahe jede Woche mit den Fans von der anderen Seite und den Sicherheitsbehörden."


    Im Moment der Revolution schlossen sie sich zusammen und leisteten einen wichtigen Beitrag zum Sturz des Diktators. Und das war kein Zufall, denn das Fußballstadion ist im gesamten mittleren Osten ein Ort, an dem Politik gemacht wird. In den großen Arenen messen sich die Kräfte der Regierungen mit der Macht des Volkes, sagt der Forscher Dorsey, ganz besonders gilt das auch für Libyen, wo Saadi, der drittälteste Sohn des gestürzten Diktators Muammar al Gaddafi, einst selbst versuchte eine Karriere als Fußballprofi einzuschlagen.

    "Im mittleren Osten und auch in Libyen ist das Fußballstadion ein Schlachtfeld. Es ist ein Schlachtfeld, wo die Diktatoren versuchen, ihr Ansehen zu mehren, durch die Assoziation mit dem Spiel. Und sie probieren auch die Aufmerksamkeit abzulenken, vom Ungenügen, das besteht und der Regierungspolitik, die nicht populär ist. Und auf der anderen Seite ist das Stadion – neben der Moschee – der einzige Ort, wo man sich ausdrücken kann, wo man Frustrationen loslassen kann. Und in Libyen war das besonders gefährlich. Das ging in Libyen sogar so weit, dass man im Radio nicht mehr die Namen der Spieler nennen durfte, weil die konnten ja vielleicht bekannter werden, oder populärer als Saadi, der Sohn, oder Ghaddafi selbst."

    Der ist nun gestürzt, was dem Fußball eine neue politische Funktion aufbürdet. Beim 1:0-Erfolg gegen Mozambique Anfang September in Kairo wurde dem libyschen Nationalteam die Ehre zuteil, erstmals bei einer internationalen Veranstaltung die neue Fahne und die neue Hymne der jungen Nation zu präsentieren. Der Fußball soll Libyen dabei helfen, eine neue Identität zu finden.

    "Das neue Libyen ist ja noch nicht da. Es gibt sehr viele Entscheidungslinien zwischen den verschiedenen Provinzen, Bengasi gegen Tripoli, es gibt Scheidungslinien zwischen Bevölkerungsgruppen, Araber, versus Berber Und in dem Sinne kann das Nationalteam eine integrierende Funktion haben."

    Doch diese Aufgabe ist wohl noch ein Stück komplizierter, als rivalisierende Fans in Kairo in gemeinsam kämpfende Revolutionäre zu verwandeln.