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Fußball im Nationalsozialismus
Die Erinnerungsarbeit wandelt sich

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung von Auschwitz. Auch im Fußball hat sich die Erinnerungsarbeit enorm entwickelt. Fans besuchen Gedenkstätten, Vereine knüpfen Partnerschaften mit Museen und Archiven, Sozialarbeiter organisieren Workshops. Doch noch gibt es Forschungslücken.

Von Ronny Blaschke |
"Gegen das Vergessen": Spruchband der BVB-Initiative Ballspiel-Vereint zum Holocaust-Gedenktag am 27.01.2018.
"Gegen das Vergessen": Fans der BVB-Initiative Ballspiel-Vereint erinnern am 27.01.2018 an die Opfer des Holocaust. (imago images / Thomas Bielefeld)
Der Karlsruher Fußballer Julius Hirsch, der Münchner Vereinspräsident Kurt Landauer, der Berliner Mannschaftsarzt Hermann Horwitz - in den vergangenen Jahren haben Fans Öffentlichkeit für jüdische Spieler und Funktionäre geschaffen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Die Berliner Historikerin Juliane Röleke beschäftigt sich seit langem mit Erinnerungsarbeit im Fußball und plädiert dafür, neben den Biografien auch auf die Stadien zu schauen:
"Was haben Fans gesehen, die damals ins Stadion gelaufen sind? Kamen die eigentlich an Zwangsarbeitslagern vorbei? Oder an KZ-Außenlagern? Wer nutzte das Stadion noch alles? War die SA oder die SS für Propagandaspiele eingeladen? Oder waren Sportstätten etwa Teil von Deportationen? Denn oft brauchte es ja große Sammelplätze. Und es kam nicht so selten vor, dass Sportanlagen für Deportationen genutzt worden sind."

Frühere NSDAP-Mitglieder verboten 1955 den Frauenfußball

Seit 17 Jahren prägt das Fußballnetzwerk "Nie Wieder" die Bildungsarbeit im Fußball. Auch in diesem Jahr finden etliche Veranstaltungen statt, allerdings meist digital. Doch noch gibt es Forschungslücken, findet Juliane Röleke, die mit Berliner Fans die Geschichte von Hertha BSC im Dritten Reich untersucht hat. Wie etwa gehen etwa deutsche Sponsoren von Bundesligaklubs mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus um?
"Es gehört schon fast zum guten Ton, sich mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen, aber es passiert in einer relativ unkritischen Art und Weise", sagt Röleke. "Und ich finde es verdammt wichtig, die Geschichten der Ermordeten zu erzählen und daran zu erinnern. Ich finde aber auch, es muss ein zentraler Bestandteil der Auseinandersetzung mit dem NS sein, eben sich auch anzugucken: Welche Akteure waren involviert? Und wo waren die eigentlich in unserem Verein vor 1945 und nach 1945? Und so lange das nicht passiert, würde ich sagen, ist es vielleicht auch nicht hundert Prozent aufrichtige Beschäftigung mit der Vergangenheit."
Schwarzwaldstadion: Zuschauer halten Plakate mit der Aufschrift "Nie wieder! Erinnern reicht nicht" in die Höhe.
Erinnerungskultur im Sport - "Über den Sport lässt sich eine emotionale Verbindung aufbauen"
Lange wollten Sportvereine ihre Verstrickungen im Nationalsozialismus nicht wahrhaben. Doch inzwischen hat sich eine lebendige Erinnerungsarbeit entwickelt.
Juliane Röleke hat an Bildungsmaterialen mitgearbeitet, die auch in der Gedenkstätte Sachsenhausen genutzt wurden. Sie wirbt dafür, auch die Jahre nach dem Krieg in den Blick zu nehmen. Das Verbot des Frauenfußballs 1955 etwa wurde größtenteils von DFB-Funktionären forciert, die einst in der NSDAP waren. Viele Fans bewerten die Geschichte mit großen Emotionen, sagt Juliane Röleke. Eine Herausforderung für die Bildungsarbeit.
"Es gibt schon die Gefahr einer zu starken Identifizierung oder auch Über-Identifizierung mit den im Holocaust ermordeten Menschen. Ich sehe, dass die im Fußball nochmal besonders groß ist. Oder aber auch die Erfahrung zu machen, dass dieser Verein aber im NS durchaus auch in Verbrechen involviert gewesen sein kann. Dass es einzelne Personen gab, die sich schuldig gemacht haben, das ist manchmal gar nicht so einfach. Ich glaube, da braucht es gerade im Fußball eine besondere Sensibilität."

Mitglieder mit Fluchterfahrung bringen sich ein

Die Erinnerungskultur wird sich weiter wandeln. Weil weniger Zeitzeugen berichten können. Und weil die Gesellschaft auch in Deutschland diverser geworden ist. In Mainz engagiert sich etwa der Freizeitverein FC Ente Bagdad seit 1973 für soziale Themen, auch mit Gedenkstättenfahrten. Der Klub hat zuletzt mit mehr als 150 geflüchteten Menschen zusammengearbeitet. Viele von ihnen beteiligten sich an einer Solidaritätsaktion mit Makkabi in Frankfurt, einem jüdisch geprägten Verein, der immer wieder angefeindet wird. Stefan Schirmer ist einer der prägenden Köpfe des FC Ente Bagdad und sagt:
"Alle Spieler und auch die Betreuer, die mit dabei waren auf dem Platz, sind alle mit Kippa aufgelaufen. Erinnerungsarbeit und Integrationsarbeit kombiniert. Wobei selbst die muslimischen Mitspieler, die, na ja, man kann sagen, aus mit Israel verfeinden Ländern stammen, wie Syrien und Ägypten, selbst die haben die Kippa aufgesetzt und haben gesagt: Das ist uns ganz egal. Wir machen da mit und wir sind dabei."
Jüdische Leichtathletinnen um 1930
Sporthistoriker: "Deutscher Sport war Wegbereiter der Arisierung"
Die deutsche Turn- und Sportbewegung sei der Wegbereiter der Arisierung innerhalb der deutschen Gesellschaft gewesen", sagte der Sporthistoriker Lorenz Peiffer im Dlf. Im vorauseilenden Gehorsam hätten die Vereine ihre jüdischen Mitglieder rausgeworfen.
Wie könnten neue Etappen der Erinnerungsarbeit aussehen? Der Berliner Verein "Gesellschaftsspiele", der Veranstaltungen zu Fußball, Politik und Kultur organisiert, pflegt den internationalen Austausch. Wie zum Beispiel 2018: Damals reisten 21 Fans aus Deutschland und der Ukraine nach Kiew. Sie besuchten dort auch die Schlucht Babyn Jar, wo die Nazis 1941 an zwei Tagen mehr als 33.000 Juden ermordeten.
Die deutschen Fans merkten allerdings in Diskussionen, dass sie ihre politischen Vorstellungen nicht ohne weiteres auf die Ukraine übertragen können. Auch für andere Regionen ist die Partnersuche eine Herausforderung, sagt Rico Noack von "Gesellschaftsspiele". Denn ausländische Projekte, die sich in der Gedenkkultur stark machen, lehnen mitunter Initiativen gegen Homophobie ab.
"Das kann durchaus der Umgang mit LGBTIQ-Rechten sein. Das kann ein völlig anderes Verständnis zu kolonialer Geschichte sein", sagt Noack. "Gleichzeitig sollte man aber auch nicht den deutschen Kompass oder den mitteleuropäischen Wertekompass auf die Partnerorganisationen anlegen. Es ist sicherlich nicht ganz einfach, selbst glaubwürdig zu bleiben, nach innen und nach außen, zu den eigenen Partnern und Förderern. Und trotzdem auch damit umzugehen."
Rico Noack und seine Mitstreiter möchten die anstehende Europameisterschaft im Sommer für internationale Begegnungen nutzen. Und auch die EM 2024 in Deutschland könnte der Erinnerungsarbeit im Fußball neue Aufmerksamkeit verschaffen.