Dieses Spiel darf Botafogo nicht verlieren: Kurz vor Saisonende in der ersten brasilianischen Liga droht dem Traditionsverein aus Rio de Janeiro der Abstieg. Obwohl die Ticketpreise auf bis zu 1,60 Euro gesenkt wurden, sind nur rund 8.000 Fans im ehrwürdigen São-Januário-Stadion. Nicht mal der Vereinsvorstand ist da. Botafogo verschießt einen Elfmeter und bekommt drei Minuten später das 0:1. Der Endstand. Die Fans sind verzweifelt:
"Trauer, Trauer, gerade fühle ich nur Trauer!", sagt einer. Ein anderer: "Eine totale Enttäuschung! Der Präsident hat den Club in den Sand gesetzt!" Und noch einer: "Sie haben die besten Spieler rausgeworfen und das ist das Resultat!"
Der Rauswurf der vier teuersten Spieler war der Höhepunkt offener Streitigkeiten zwischen Vereinsführung und Spielern. Monatelang hatte ihnen der Verein kein Gehalt bezahlt, so klamm war er bei Kasse. Schon das Jahr 2013 schloss er mit 220 Millionen Euro Schulden ab, aber investierte trotzdem munter weiter - ein System, wie es alle brasilianischen Clubs betreiben, sagt Ricardo Borges Martins von der Spielergewerkschaft "Bom Senso".
"Es gibt kaum eine Regulierung der Finanzen brasilianischer Clubs, aber eine große Konkurrenz unter ihnen bei der Spielerverpflichtung. Deshalb erhöhen sie die Angebote für Gehälter immer weiter, auch wenn sie absolut keine Garantie haben, dass sie die bezahlen können."
Allein beim brasilianischen Staat haben die Fußballvereine Steuerschulden in Höhe von umgerechnet weit über einer Milliarde Euro. Über 300 Millionen allein die Top-Clubs Flamengo und Atlético Mineiro. In Deutschland hätten die meisten brasilianischen Vereine bereits Konkurs anmelden müssen. Aber in Brasilien haben sie eine Sonderstellung, sagt der deutsche Anthropologe Martin Curi, der Rio de Janeiro lebt und über den brasilianischen Fußball promoviert hat.
"In Deutschland, wenn ein Verein pleite ist, ist er pleite und muss die Tore schließen, in Brasilien ist es einfach nicht so, weil die Vereine eine soziale Macht haben. Wenn Du als Regierung einen Verein wie Flamengo, Fluminense, Vasco dicht machst, kriegst Du die Wählerstimmen nicht mehr. Von daher macht das keiner."
So versucht die Politik anders entgegen zu steuern. Gerade wird ein Gesetzesentwurf zur sogenannten steuerlichen Verantwortung im Sport vorbereitet. Die Idee: Zum Abstottern ihrer Steuerschulden bekommen die Vereine Sonderkonditionen und 25 Jahre Zeit - dafür lassen sie ihre Finanzen kontrollieren. Eigentlich sollte die Vorlage schon im August ins Parlament gehen, allerdings forderte die Spielervereinigung "Bom Senso" Nachbesserungen. Die Vereine müssten nämlich mehr in die Verantwortung genommen werden, sagt Direktor Ricardo Borges Martins:
"Wir wollen, dass der brasilianische Fußballverband eine Abteilung schafft, die die finanzielle Situation der Clubs beaufsichtigt. Und dass die Clubs bestraft werden, die definierte Kriterien nicht erfüllen. Denn ohne Maßnahmen zur Verminderung der Schulden, werden die Clubs irgendwann kollabieren, wie es jetzt bei Botafogo der Fall ist."
Das bedeutet auch, dass Manager für ihre Schulden haftbar gemacht werden - und den Berg nicht ganz legal an ihre Nachfolger weitergeben können. Diese und andere Kriterien will "Bom Senso" - übersetzt gesunder Menschenverstand - gesetzlich festschreiben lassen. Sonst gebe es keinerlei Erfolgsgarantie. Als höchste Strafe würde ein Zwangsabstieg drohen. Eine gesetzliche Regelung lehnt aber der korruptionsumwitterte Fußballverband ab. Der CBF befürchtet einen Machtverlust und kann sich bei der Abstimmung wohl auf seinen Einfluss im Parlament verlassen. In Sachen Finanzregulierung im Fußball sei die Regierung immer gescheitert, sagt Steuerfachmann Pirací Oliveira.
"Es ist die alte Geschichte von Brot und Spielen. Das Brot sind in dem Fall Sozialprogramme, die Spiele sind der Fußball. Wenn es der Staat drauf ankommen ließe, gebe es keine Meisterschaft, weil der große Teil der Clubs technisch Konkurs ist."
Aber soweit traue sich kein Politiker. Deshalb sind der Verband und die Clubs in der besseren Position. Und die sind nicht an Änderungen interessiert. Denn die Qualität der Série A ist nicht das Entscheidende, sagt der deutsche Anthropologe Martin Curi.
"Die erste Liga in Brasilien ist vielmehr eine Vitrine, um Spieler auflaufen zu lassen und sie dann zu verkaufen. Beim Spielerverkauf kann man viele Gelder durch dunkle Kanäle fließen lassen."
Noch funktioniere beim Spielerhandel die Marke: brasilianischer Fußballer.
"Es müsste noch viele 7:1-Niederlagen folgen, dass man diesen Ruf wirklich ruinieren würde und dann würde das System tatsächlich kollabieren."
Die traumatische Niederlage hat zumindest den Einfluss der Spielervereinigung Bom Senso gestärkt. Und auch die Spieler selbst beschweren sich zunehmend. Im September erregte Botafogos Stürmer Emerson Sheik landesweit Aufmerksamkeit. Auf dem Weg vom Platz eilte er direkt zur nächsten TV-Kamera und rief:
"CBF, Você é uma vergonha! Uma vergonha! - CBF, Du bist eine Schande, eine Schande!"" machte er sich Luft über die Situation im brasilianischen Fußball. Wenige Wochen später wurde er als Rädelsführer der unbezahlten Botafogo-Spieler raus geworfen. Das, obwohl er im Verein der beste Torschütze der Saison war. Laut cleverer Mathematiker hat Botafogo noch eine vierprozentige Chance, die Klasse zu halten. Wenn ihnen nicht nochmal sechs Punkte vom CBF abgezogen werden. Denn auch bei einem Mitbewerber hat Botafogo die Rechnung eines Transfers nicht bezahlt. Wert: rund 260.000 Euro. Millionen Steuern ignorieren ist eine Sache - aber da kennt der brasilianische Verband keinen Spaß.