Marc Erdmann ist sauer. Der Vorstand des baden-württembergischen Oberligisten TSG Backnang 1919 nimmt kein Blatt vor den Mund:
"Da muss ich ganz klare Kritik auch ausüben am Verband, an der Politik, an den Behörden, dass solche Schlupflöcher einfach gewährt werden. Auf Antrag von zwei Vereinen wurde ja dann der Trainingsbetrieb dann fortgesetzt!"
Denn trotz des zurzeit herrschenden Wellenbrecher-Lockdowns haben Spitzenreiter Freiberg und Verfolger Stuttgarter Kickers mithilfe von städtischen Sondergenehmigungen den Trainingsbetrieb aufrechterhalten dürfen. Im Gegensatz zu den anderen Fünftligisten wie der TSG Backnang, die sich an die allgemeinen Regeln des Spiel- und Trainingsverbots im Amateurfußball gehalten haben:
"Für die TSG Backnang hat die Gesundheit der Spieler, der Trainer, aber auch der sonstigen Bevölkerung absolute Priorität. Gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir uns befinden mit steigenden Fallzahlen. Und ich denke, das sollte jeder Verein so handhaben. Es wird ja oft über Solidarität auch im Sport gesprochen. Doch wenn es wirklich darauf ankommt, steht jeder sich selbst am nächsten, und sucht seine Vorteile."
Freiberg und Stuttgarter Kickers verzichten nach Kritik auf Training
Immerhin: Durch die öffentliche Kritik verzichten Freiberg und die Kickers seit dieser Woche darauf, das Training fortzuführen. Doch nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass die viel beschworene Solidarität aktuell im deutschen Fußball abnimmt.
Denn während die Bundesliga und die Nationalmannschaft weiterspielen, teilweise in Hochrisikogebieten wie Spanien, muss der Amateurfußball pausieren. Als der Deutschlandfunk diesbezüglich beim DFB nachfragt, verweist uns der Verband auf ein Statement auf seiner Homepage. Darin heißt es unter anderem:
"Ansinnen des DFB ist es nicht, dass auch die Profiwettbewerbe den Betrieb einstellen, weil der Amateurbereich aktuell ruhen muss. Im Sinne des gesamten Fußballs ist vielmehr das Ziel, dass der Ball überall wieder rollen kann - unter gesundheitlich verantwortungsvollen Bedingungen."
Politik will Zusammenkunft und Austausch verhindern
Allerdings ist Fußball eben viel mehr als nur das eigentliche Spiel auf dem Platz. Er ist Zusammenkunft und Austausch untereinander, dazu gehört auch Geselligkeit vor oder nach dem Trainingsbetrieb. Aber genau dieses Zusammenfinden will die Politik mit den aktuellen Maßnahmen verhindern – wie zum Beispiel Hamburgs Staatsrat für Sport, Christoph Holstein, kürzlich im NDR erklärt hat.
"Das Problem ist die Kabine mit dem Bier hinterher, die Ansprache des Trainers ohne Mundschutz, längere Busfahrten, wo man den Eindruck hat, man ist ja hier zusammen, und ist ganz entspannt. Das sind die Sachen, die problematisch sind. Wenn man sich die Gesamtentwicklung anguckt mit den Zahlen, die wir jetzt zu verzeichnen haben, ist völlig klar, dass sich alle, über alle Ressortgrenzen hinweg, ganz schwer Gedanken machen müssen, um eine negative Entwicklung zumindest zu stoppen."
Dem kommt der Amateurfußball nach wie vor größtenteils nach. Aber auch wenn klar ist, dass Fußball in der Kreisliga Freizeit ist und kein Beruf wie in der Bundesliga: Für viele Amateurkicker stellt sich die Frage: Warum dürfen die, aber wir nicht?
Fehlende Wahrnehmung des Amateurfußballs beim DFB?
Diese weitere Entfremdung zwischen der Basis mit ihren Sorgen und Nöten, und den Akteuren des professionellen Fußballs, zeigt sich in dieser Woche wie durch ein Brennglas. Denn die DFB-Verantwortlichen für den Amateurfußball sind kaum wahrnehmbar. Der Fokus liegt auf dem Profifußball, zu hören auch bei Oliver Bierhoff, Direktor der Nationalmannschaft:
"Was passiert in der Bundesliga? Was passiert auch mit den ganzen positiven Fällen, die mehr und mehr auftreten, auch im Fußball, und wie ist da die Entwicklung? Insofern war da auch ein bisschen Bangen dabei, weil wir natürlich aus vielerlei Gründen diese Spiele durchführen wollten."
Der Amateurfußball versucht nun wenigstens selber entgegen zu steuern. Viele Landesverbände des DFB haben sich aktuell dazu entschlossen die Winterpause vorzuziehen, und wollen erst wieder 2021 kicken. Auch um zu zeigen, dass der Fußball keine Sonderrolle hat, sondern Teil der Gesellschaft ist, stellt der Präsident des Fußball- und Leichtathletik Verbandes Westfalen, Gundolf Walaschewski, klar:
"Es ist dringend geboten, einerseits den Vereinen Planungssicherheit zu geben und andererseits der Gesellschaft zu signalisieren, dass wir den Vorgaben der Politik unbedingt folgen werden und nicht ständig um privilegierte Regelungen für den Fußball nachsuchen."
Vorwurf aus Backnang: "DFB entfremdet sich von der Basis"
Auch Marc Erdmann von der TSG Backnang hält diesen Weg für richtig. Er kann kein Verständnis in der jetzigen Situation dafür aufbringen, dass DFB und Bundesliga eine Sonderrolle zugeschrieben wird. Er wünscht sich, dass der DFB genau deshalb wieder einen Schritt auf die Basis zugeht, und die Coronapandemie dafür nutzt:
"Der DFB bewegt sich momentan meiner Meinung nach auf sehr schmalem Grat, und verliert dadurch auch immer mehr den Bezug zur Basis. Der DFB ist Vorbild für viele Kinder und Jugendliche, denen es momentan nicht ermöglicht wird, trainieren zu dürfen. Und der DFB reist in Richtung Spanien ins so genannte Hochrisikogebiete, und trägt dort diese Spiele aus. Für mich absolut nicht nachvollziehbar, gerade in dieser Zeit!"