Archiv

Fußball in Großbritannien
Ein Staat, vier Nationalteams

Es ist einer der Höhepunkte der EM-Vorrunde: Im Londoner Wembley-Stadion treffen England und Schottland aufeinander. Das Spiel erinnert auch an eine Besonderheit im Weltfußball: Der Staat Großbritannien ist mit vier Nationalmannschaften aktiv. Drei von ihnen sind bei der EM dabei.

Von Ronny Blaschke |
Scotland Fans - Glasgow A stall holder on Buchanan Street, Glasgow, selling Tartan Army flags and scarves to Scotland football fans ahead of the UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2020 Group D match between England and Scotland at Wembley Stadium. Picture date: Thursday June 17, 2021. Use subject to restrictions. Editorial use only, no commercial use without prior consent from rights holder. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xJanexBarlowx 60411040
Ein Mann verkauft in Glasgow englische und schottische Fan-Artikel. (IMAGO / PA Images)
Mitte des 19. Jahrhunderts ist die britische Kolonialmacht auf dem Zenit ihrer Macht. Auf der Insel dominiert eine Wahrnehmung der Überlegenheit: in Wirtschaft, Kultur, Sport. 1863 wird in England der weltweit erste Fußballverband gegründet, die Football Association FA. Zehn Jahre später formiert sich der schottische Verband. Kurz danach entstehen zwei weitere Organisationen in Wales und Irland, das damals noch zum Vereinigten Königreich gehört.
Players - Der Sportpodcast
Spiele in elf Ländern, quer über den Kontinent. Wer profitiert von der EM in Pandemie-Zeiten? Spielt Klimaschutz überhaupt eine Rolle? Funktioniert das Corona-Schutzkonzept? "Players – der Podcast zur EM" beantwortet diese und viele weitere spannende Fragen.
Die vier Verbände vernetzen sich in einem Regelkomitee, das bis heute über die Spielregeln wacht, erzählt der britische Fußballexperte David Goldblatt, und dann: "Als die Fifa 1904 gegründet wurde, existierten die Verbände der vier britischen Landesteile bereits. Die Fifa wollte England und Schottland unbedingt dabeihaben. Also erlaubte sie, dass ein Land mit mehreren Nationalverbänden vertreten ist. Das wurde später sogar in die Fifa-Satzung aufgenommen."

Spannungen bei Olympia

In der Fußballgeschichte waren die vier "Home Nations" England, Schottland, Wales und Nordirland erst einmal komplett bei einem Turnier vertreten, bei der WM 1958 in Schweden. Anders ist die Lage bei den Olympischen Spielen, wo Fußballverbände keine zentrale Rolle spielen. Dort gibt es nur eine vereinte Mannschaft für das Vereinte Königreich. Ein solches Team war bisher nur acht Mal bei olympischen Turnieren dabei.
Die englischen Spieler knien vor dem Spiel der Fußball-EM gegen Kroatien.
"Hoffe, dass die EM einen positiven Einfluss hat"
Vor dem Spiel gegen Kroatien haben sich die englischen Spieler mit der Black-Live-Matter-Bewegung solidarisiert. Dafür gab es auch Pfiffe. "Da herrscht ein Defizit an Verständnis für die Bewegung", sagte Liverpool-Fanvertreter André Völkel.
Ab den 1970er Jahren verzichtet Großbritannien im Fußball sogar auf die Teilnahme an der Olympia-Qualifikation. Erst als Gastgeber für die Sommerspiele 2012 in London wächst das Interesse wieder, sagt David Goldblatt, allerdings mit Konflikten: "Der englische Fußballverband sagte: Kein Problem, wir beteiligen uns an einem gemeinsamen Olympiateam. Nordirland und Wales waren wesentlich skeptischer. Der schottische Verband lehnte eine Zusammenarbeit strikt ab. Man fürchtete, dass ein britisches Nationalteam die Eigenständigkeit der vier Verbände aufweichen würde. Da sah man erneut, wie wichtig der Fußball als Symbol für die regionale Identität ist."
Am Ende besteht das Olympiateam des Gastgebers vor allem aus englischen Spielern, mit Unterstützung aus Wales. Weniger streng fällt dagegen die Rekrutierung aus: Spieler, die zum Beispiel in Wales geboren sind, aber familiäre Wurzeln in England haben, können zwischen beiden Teams entscheiden. Gareth Bale hat sich für Wales entschieden. Bei der EM 2016 führt er sein Team ins Halbfinale. Favorit England ist da längst zu Hause.