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Fußball in Sierra Leone
Schwieriger Neustart nach Ebola

Ebola, Korruption und politische Grabenkämpfe haben die Premier League in Sierra Leone vier Jahre lang lahm gelegt. Jetzt feiert das Land endlich die Wiederauferstehung der Liga. Nur die FIFA stellt sich quer.

Von Benjamin Moscovici |
Fußballtraining in Sierra-Leone
In dem westafrikanischen Land Sierra Leone spielt Fußball eine wichtige Rolle im Leben vieler Menschen (Deutschlandradio - Oliver Ramme )
Die Ansagen des Sprechers donnern über die voll besetzten Ränge des Freetown National Stadiums im Herzen der Hauptstadt Sierra Leones. Es ist die erste Saison seit Ebola. Eines der ersten Spiele. Mehr als vier Jahre lag die Premier League in dem westafrikanischen Land auf Eis.
Jetzt endlich feiert die Fußball-Liga ihr Comeback, ein Sinnbild für die Wiederauferstehung Sierra Leones nach dem verheerenden Ebola-Ausbruch 2014.
1:0 für den Underdog. Das Team der sierra-leonischen Armee am unteren Ende der Tabelle trifft gegen den legendären FC Kallon. Frenetischer Jubel auf der einen Seite, Zornesbrüllen bei den anderen.
Nach einem 0:2 Rückstand kämpft sich der FC Kallon in der zweiten Halbzeit mit viel Körpereinsatz wieder zurück. In der 86. Minute fällt endlich der Ausgleichstreffer. Die Fans des traditionsreichen Hauptstadtvereins liegen sich in den Armen.
Endstand: 2:2. Das Endergebnis: nach dieser Aufholjagd fast ein Sieg für die Kallon-Fans. Die Menge kocht, an allen Seiten springen jubelnde Fans über die Banden, rennen aufs Spielfeld und machen Selfies mit den Spielern. "Wir sind so glücklich! Der Neustart der Liga zeigt, dass wir hier in Sierra Leone wieder da sind wo wir vor Ebola waren. Jetzt hoffen wir auf noch mehr!"
Wiedereröffnung der Liga
Der Neustart der Liga - auch für Spieler wie Ibrahim Mansary eine Erlösung:
"Meine erste Premier League – das ist einfach überragend! Das ist eine riesen Herausforderung, aber auch eine große Chance." Noch ist die Liga hier sehr viel volksnaher als im europäischen Profifußball. Nach dem Spiel wimmelt es selbst in der Umkleidekabine von Fans.
"Ich begrüße die Wiedereröffnung der Liga. Wenn die Jungs kein Fußball spielen, können sie auch kein Geld verdienen. Und das heißt, dass sie ihre Familien nicht ernähren können", erklärt Aminou Kahim, der Trainer der Mannschaft:
"Wir haben viele gute Spieler, die deshalb mit Fußball aufgehört haben. Einige haben auf dem Bau angeheuert, andere haben als Klempner gearbeitet."
Aminou Kahim, selbst ehemals erfolgreicher Profifußballer, sieht die Lage realistisch:
"Schauen Sie sich das an – die Jungs haben seit vier Jahren nicht mehr richtig gespielt. Das ist nicht ihr Niveau."
Korruption, Bestechung, Verleumdung
Aber das Niveau ist das geringste Problem im Fußball hier in Sierra Leone. Wer die Probleme der Liga verstehen will, muss ins Hauptquartier der SLFA, der Sierra Leone Football Association.
Ein schlichter, etwas heruntergekommener Betonbau. Hinter dem Tor rostet auf dem Hof ein Autowrack vor sich hin. Hier tobt seit Jahren ein erbitterter Kampf um Macht, Posten und Geld, ein Kampf um den Thron in dem Fußballverband, ein Kampf, in dem alle Mittel recht scheinen. Korruption, Bestechung, Verleumdung – nichts bleibt unversucht.
Ihren Ursprung haben die Konflikte in einer historischen Wahl. Im August 2013 wird Isha Johansen zur Präsidentin der SLFA gewählt. Mohamed Kallon, der bekannteste Spieler in der Geschichte des Landes, Besitzer des FC Kallon und zwei weitere Gegenkandidaten, waren zuvor aus formalen Gründen von der SLFA disqualifiziert worden.
Im Verband hätten viele lieber ihn als neuen Präsidenten der Liga gesehen. In der FIFA hingegen ist man hoch erfreut über die Wahl der dynamischen und gut aussehenden Frau zur Präsidentin. Ein perfektes Feigenblatt für den fehlenden Fortschritt in einem Weltverband, der damals noch von Joseph Blatter geleitet wird und in dem sonst überall nur Männer das Sagen haben.
In der SLFA beginnt es zu brodeln. Aber noch bevor ihre Widersacher die neue Präsidentin vom Thron stoßen können, bricht Ebola über das Land herein und die Liga muss ausgesetzt werden. Während Johansen gegen die Epidemie kämpft, um die Welt reist und Gelder für Hilfsprojekte sammelt, werden zu Hause Intrigen geschmiedet.
Und als die Krise im Herbst 2015 vorbei, Ebola endlich besiegt ist und die Liga wieder anfangen soll, da weigern sich auf einmal zehn der vierzehn Vereine in der Premier League zu spielen, so lange Isha Johansen Präsidentin der SLFA ist. Ein Patt. Drei weitere Jahre wird nicht gespielt, weil die Konfliktparteien sich nicht einigen können.
Spieler und Fans können aufatmen
Erst als im März 2018 Julius Maada Bio zum Staatschef gewählt wird, kommt Bewegung in die Sache. Einige Monate nach seiner Wahl, erklärt der neue Präsident:
"Im ganzen Land bereichern sich Politiker aber auch normale Bürger schamlos, arrogant und ungestraft. Während meiner Wahlkampagne habe ich versprochen, unermüdlich gegen Korruption zu kämpfen.
Direkt nach meiner Wahl, habe ich dieses Versprechen eingelöst und unter anderem eine neue, junge und dynamische Führung der Antikorruptionsbehörde ernannt. Das hat der Kommission neue Energie gegeben, und ihre Glaubwürdigkeit wiederhergestellt."
Im Herbst durchsuchen Beamte eben dieser Antikorruptionsbehörde die Räume der SLFA und verhaften Johansen. Sie wird zwar bald wieder freigelassen, aber es wird weiter gegen sie ermittelt. Es geht um Korruption, Amtsmissbrauch und den Diebstahl von Spendengeldern.
Johansen bestreitet alle Vorwürfe, aber nach sierra-leonischem Recht muss sie dennoch, solange gegen sie ermittelt wird, von allen öffentlichen Ämtern zurücktreten. Nicht ausgeschlossen, dass politische Gegner die staatlichen Korruptionsbekämpfer auf die Fährte Johansens geführt haben, um die ungeliebte SLFA Präsidentin aus dem Weg zu räumen.
Im alten Büro von Isha Johansen sitzt jetzt Brima Mazola Kamara, Stellvertreter der vorläufig abgesetzten Präsidentin und seit einigen Monaten Übergangschef der SLFA. Unter seiner Führung wurde plötzlich möglich, was mit Johansen an der Spitze des Verbands unmöglich war: Die Wiedereröffnung der Premier League.
Seit diesem Frühjahr wird endlich wieder gespielt, die neue Regierung hat Geld zur Verfügung gestellt, Spieler und Fans können aufatmen.
Also Ende gut alles gut? Leider nicht
"Das bedeutet unglaublich viel für uns. Jetzt muss nur noch das Management in den Clubs funktionieren, damit das Geld auch bei den Spielern ankommt. Sie sind es, die als erste von der Wiedereröffnung der Liga profitieren sollten."
2026 hofft Kamara, könnte sich Sierra Leone sogar erstmals für die WM qualifizieren. Also Ende gut alles gut? Leider nicht. Der Machtkampf ist noch nicht zu Ende.
Ausgerechnet die FIFA könnte den Streit jetzt in die nächste Runde tragen. Denn der Weltfußballverband hält noch immer an Johansen als Präsidentin fest, hat die Mitgliedschaft der SLFA in der FIFA auf Eis gelegt.
Der Grund: Einmischung der Regierung in FIFA-Angelegenheiten. Das entspricht zwar den Statuten des Weltfußballverbandes, wird aber fast nie so angewendet. Und wenn dann nur in armen Ländern mit wenig Einfluss.
Erhebt sich die FIFA hier über die nationale Rechtsprechung und sabotiert den Kampf gegen Korruption? Stellt die FIFA ihre Kandidatin im Kampf um den SLFA-Thron über die Justiz? Korruptionsverdacht nicht so wichtig? Und wenn ja, warum?
Auf Presseanfragen des Deutschlandfunks reagiert der Fußball-Weltverband trotz mehrfacher Nachfragen nicht.