"Gib meinem Herzen eine Freude - die Copa Libertadores ist meine Leidenschaft." So besingen Fans in ganz Südamerika den wichtigsten Vereinswettbewerb des Kontinents. Eigentlich. Denn es geht nach einem halben Jahr Stillstand zwar wieder los, aber - natürlich - ohne Zuschauer im Stadion.
"Für uns hier in Südamerika ist der Pokal total wichtig. Es ist das kontinentale Pendant zur Champions League und wird mit riesiger Begeisterung gelebt. Ohne Fans wird das für uns natürlich ohne Zweifel ziemlich ungewöhnlich", sagt der Argentinier Gastón Ramondino. Er ist Co-Trainer beim bolivianischen Meister Club Jorge Wilstermann aus Cochabamba. Sein Team empfängt im Auftaktspiel nach der Coronapause Athletico Paranaense aus Brasilien. Seit März haben die Spieler des bolivianischen Teams nicht gespielt, erst seit Ende Juli wieder trainiert.
Ungleiche sportliche Bedingungen
"Wir starten unter sehr ungleichen Bedingungen. Die brasilianischen Mannschaften haben 15, 16 Pflichtspiele absolviert. Wir steigen ohne ein einziges Freundschaftsspiel in den Wettbewerb ein. Ähnlich ist es in Argentinien, wo erst seit wenigen Tagen wieder trainiert wird."
Ähnlich wie in Bolivien ruht der Ball in Argentinien und Kolumbien seit sechs Monaten vollständig. In Brasilien dagegen war der Spieltrieb nur für wenige Wochen ausgesetzt - auf Linie der passiven Corona-Politik von Präsident Jair Bolsonaro. In Chile und Peru läuft die Liga seit kurzem wieder. Und auch Paraguay ist mitten im Spielbetrieb. Rubén Di Tore, Präsident des Club Libertad aus Paraguays Hauptstadt Asunción, in von Beruf Kieferchirurg und lässt durchklingen, was er als Mediziner eigentlich über die Fortsetzung des internationalen Turniers denkt.
"Unter gesundheitlichen Aspekten und angesichts des Voranschreitens des Virus in ganz Südamerika, sind sicherlich nicht die besten Bedingungen gegeben. Aber die Conmebol hat natürlich Verpflichtungen gegenüber Sponsoren und Fernsehanstalten, die erfüllt werden müssen. Ich als Mediziner denke natürlich immer zuerst an die Gesundheit, nicht nur der Spieler. Aber ich halte die Situation für einigermaßen unter Kontrolle und ich glaube, dass die Spiele stattfinden können. Hoffentlich irre ich da nicht!"
18 Corona-Infizierte bei Boca Juniors
Wenngleich die Infektionskurven mancherorts langsam nach unten zeigen, sind die Zahlen weiterhin beunruhigend: Sechs der weltweit zehn Länder mit den meisten Corona-Todesfällen in der vergangenen Woche liegen in Südamerika. Besonders stark betroffen ist mittlerweile auch Argentinien, von wo der Club Libertad zum Wieder-Auftakt prominenten Besuch empfängt: Titelanwärter Boca Juniors. Nur wurden beim argentinischen Meister vor zehn Tagen 18 Spieler positiv auf Corona getestet, darunter vier Torhüter und eine ganze Reihe Stammspieler.
"Ich hatte sogar die Sorge, dass das Spiel aufgrund der vielen Infizierten abgesagt werden müsste. Und das, obwohl die Conmebol ein umfassendes Hygieneprotokoll vorschreibt, was nach einem Anstieg der Fälle in der Region nochmal verschärft wurde."
Schiedsricher müssen in Quarantäne
Ein Protokoll was laut Medienberichten bei Boca teilweise nicht erfüllt wurde. Bis zum Anpfiff werden wohl die meisten Spieler das Virus überstanden haben. Laut Conmebol soll Trainingskleidung bei 60 bis 90 Grad gewaschen werden. Spieler dürfen den Ball nicht küssen und Schiedsrichter werden aus Nachbarländern des Austragungsortes berufen, müssen vor ihrem Einsatz in 14-tägige Quarantäne und bleiben dann bis zum nächsten Spieltag gleich im Land. Schließlich sind viele Grenzen in Südamerika offiziell noch geschlossen, was auch die Anreise der Mannschaften beeinflusst, erzählt Wilstermann-Co-Trainer Ramondino: "Geflogen wird mit Chartern und vor Ort gilt dann überall die gleiche Prozedur: Keinen Kontakt, vom Flughafen zum Hotel, zum Spiel ins Stadion und nach spätestens 72 Stunden wieder per Charter zurück ins Heimatland."
Die Distanzen, die die Libertadores-Teilnehmer zurücklegen müssen, sind derweil nicht zu unterschätzen. Bis zu sechs Flugstunden sind normal und fallen im Privatjet für kleinere Vereine wie Jorge Wilstermann und Libertad bei einem Jahresetat um die zehn Millionen Euro durchaus ins Gewicht. "Die Conmebol kompensiert jetzt die Reisekosten je nach Flugdistanz. Das reicht ungefähr um den Charter zu bezahlen." Sagt Rubén Di Tore von Club Libertad. Laut eigenen Angaben schüttet der Dachverband fast 100 Millionen Dollar Corona-Unterstützung über die zehn Landesverbände an die Vereine aus.
Auch Gerüchte von einem Turnier ab der KO-Runde an einem Standort ähnlich der diesjährigen Champions-League gibt es. Diese wurden bisher aber zurückgewiesen.