Hunderttausende Menschen starben, Millionen flüchteten, doch der Fußball in Syrien ging weiter. Wenn auch in stark reduzierter Form. Der junge Filmstudent Rami aus Damaskus wollte das nicht mitmachen. Er blieb seinem Lieblingsverein Al Karamah in der bombardierten Stadt Homs fern. Nur einmal, 2014, besuchte er noch das Stadion.
"Ich bin da fünf Minuten geblieben, dann bin ich rausgegangen. Ich konnte nicht sitzen, ich habe das Gefühl nicht. Normalerweise sitzt neben mir ein Freund von mir, der ist nicht hier. Meine Gruppe war schon blockiert. Wir haben gesagt: Wir machen jetzt Pause."
Wenige Monate später ist Rami nach Deutschland geflohen, er lebt nun im Ruhrgebiet und möchte sein Studium fortsetzen. Mit seinen Gedanken ist er oft in Homs. Dort hatte er 2009 eine der ersten Ultra-Gruppen Syriens mitaufgebaut. Fast jeden Tag fuhr er mit dem Bus aus Damaskus zwei Stunden Richtung Norden. Auf Reisen nach Ägypten und Tunesien ließ er sich inspirieren. Dort waren die Ultras eine wichtige Stimme im Protest gegen die Machthaber gewesen. In Syrien war die Lage anders, sagt Rami.
"Wir durften nicht über Politik reden im Land. Wir konnten über alles reden, aber über Politik auf gar keinen Fall, über die Familie al-Assad auf gar keinen Fall."
Setzt die Regierung Spieler und ihre Familien unter Druck?
Fußball und Politik waren schon vor dem Krieg nicht zu trennen. Auf den Ehrentribünen in Damaskus oder Aleppo konnten sich Mitglieder der Herrscherfamilie präsentieren. Auch Vertreter aus Militär, Polizei und Klerus. Eine ähnliche Rolle spielt der Fußball in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Osten, sagt James M. Dorsey, Autor des Blogs und gleichnamigen Buches "The Turbulent World of Middle East Soccer".
"Für lange Zeit war Al Jaish der erfolgreichste Verein in Syrien. Übersetzt bedeutet Al Jaish: die Armee. Dieser Klub wurde von einem General geleitet, der Technische Direktor war ein Oberst. Die Mannschaft trainierte auf einem Militärgelände, und ihr wurden die besten Spieler zugewiesen."
Inzwischen sind die Spitzenspieler im Ausland unter Vertrag, in Kuwait oder Jordanien. Während des Krieges sind hunderte Spieler geflohen. Leistungsträger verließen aus Boykott gegen das Regime das Nationalteam. Doch einige wie Firas Al Khatib kehrten für die entscheidenden Qualifikationsspiele für die WM 2018 zurück. Setzte die Regierung sie oder ihre Familien unter Druck? Das amerikanische Sportportal ESPN recherchierte Monate lang zu den Hintergründen und schreibt, dass wohl Reisepässe etlicher Spieler einbehalten wurden. Der Bericht bilanziert:
"Die syrische Regierung hat den Sport für ihre brutale Unterdrückung benutzt. Mindestens 38 Spieler aus den ersten beiden Ligen und Dutzende weitere aus den unteren Ligen wurden erschossen, bombardiert und gefoltert. Das Militär nutzte mehrere Stadien als Standorte und Internierungslager. Zwei Videos zeigen, wie Raketen aus einem Stadion in Damaskus gefeuert werden."
Zuschauer entrollten im Exil Banner des Präsidenten Assad
Baschar al-Assad war vor dem Krieg nicht als Fußballfan aufgefallen. Doch in den vergangenen Jahren ließ er sich mit der Nationalmannschaft filmen, insbesondere nach dem Gewinn der Westasien-Meisterschaft 2012, aber auch im Rahmen der knapp verpassten WM-Qualifikation gegen Australien im Oktober 2017.
Bei Heimspielen und Trainingseinheiten im Exil, in Malaysia oder Singapur, trugen Nationaltrainer und Spieler mehrfach T-Shirts mit Fotos von Assad. Überdies entrollten Zuschauer Banner des Präsidenten. Es sind Gesten, die das Regime in den Staatsmedien als Einigkeit beschreibt, sagt die Journalistin Kristin Helberg, die mehrere Bücher über Syrien veröffentlicht hat, zuletzt: "Der Syrien-Krieg: Lösung eines Weltkonflikts".
"Das Regime arbeitet ja vor allem daran, zurückzukehren in die internationale Gemeinschaft. Man versucht Gelder zu beschaffen für den Wiederaufbau. Und deswegen nutzt man alle möglichen Ebenen, um sich zu präsentieren als ein Land, in das man wieder investieren sollte, das bereit wäre, wieder Flüchtlinge zurückzunehmen. Ein Symbol wie die Fußball-Nationalmannschaft ist eine dankbare Möglichkeit, um klar zu machen: Wir, das syrische Regime, repräsentieren das syrische Volk. Unsere Nationalmannschaft, das sind unsere Helden."
Geflohene Spieler sollen enteignet worden sein
Die Fifa verbietet eigentlich die Einmischung der Politik. Doch auch nach mehrfacher Aufforderung von Menschenrechtlern hält sich der Weltverband gegenüber Syrien zurück und spricht keine Sanktionen aus. Obwohl Assads Gefolgsleute die Familien von geflüchteten Spielern enteignet haben sollen. Und auch die wachsende Ultra-Bewegung wird von der syrischen Polizei genau beobachtet, erzählt Nadim, er ist Fan des Vereins Hutteen in der Hafenstadt Latakia.
"Und die dürfen sich nicht Ultras nennen, sondern Fanklubs. Weil die ein Problem mit der Bezeichnung Ultras haben. Die haben halt Angst gehabt, dass wir uns dem Vorbild Ägypten anschließen. Und keine Zaunfahnen auf Englisch, sondern nur auf Arabisch. Es gab ja dann den Versuch, dass Leute sich in die Gruppen und in die Massen von Menschen reingeschmuggelt und Steine auf die Polizei geworfen haben. Damit der Verband einen Grund hat, diese ganze Ultras-Geschichte zu verbieten."
Der Student Nadim lebt inzwischen im Südwesten Deutschlands. Flüchtlinge aus der syrischen Bevölkerungsmehrheit der Sunniten werden in den Fankurven ihres Heimatlandes mitunter als Feiglinge beschimpft, vornehmlich von Alawiten, jener Minderheit, der auch die Familie Assad angehört. Sollte das Nationalteam nun bei der Asienmeisterschaft die politischen und religiösen Konflikte für eine Weile verdrängen, dann wäre das wohl vor allem ein Erfolg für das Regime.