Strammstehen und die Nationalhymne singen. So beginnt für Ryu Seungwoo seit einem Jahr jeder Tag. So auch heute. Der 25-jährige Mittelfeldstar, der in seiner Karriere schon für Bayer Leverkusen und Eintracht Braunschweig gespielt hat, ist jetzt Soldat. Als Südkoreaner ist das Ryus Pflicht. 20 Monate muss jeder Mann an der Waffe dienen. Damit für den Fall, dass mit dem verfeindeten Bruderstaat Nordkorea doch wieder ein Krieg ausbricht, jeder vorbereitet ist.
"Ich wollte so früh wie möglich meine Verantwortung für das Land erfüllen und dienen. Deshalb habe ich mich letztes Jahr an meinen Klub Jeju United gewandt und dort gesagt, dass ich die kommenden eineinhalb Jahre nicht zur Verfügung stehe."
Was anderswo für eine Suspendierung sorgen würde, erntet hier Verständnis. Zumal sich Ryu Seungwoo erfolgreich in Sangju beworben hat, einer 100.000-Einwohnerstadt im Zentrum des Landes. Er hat einen Platz im Militärklub Sangju Sangmu FC, der Soldatentruppe der K-League, Südkoreas oberster Spielklasse, und muss so seine Karriere nicht unterbrechen.
Fußballstars werden zu Rekruten
Es ist ein seltenes Konstrukt, das es wohl nur auf der koreanischen Halbinsel gibt. Seit fast 70 Jahren herrscht hier formal der Kriegszustand. Der Koreakrieg, der ab 1950 in drei Jahren mehrere Millionen Tote forderte, mündete 1953 nur in einen Waffenstillstand. Seitdem gab es immer wieder Drohgebärden und Provokationen von beiden Seiten.
Über die Jahrzehnte hat sich dieser dauerhafte Ausnahmezustand irgendwie normalisiert. Ein Ausdruck davon ist Sangju Sangmu FC, der Erstligaklub, der ausschließlich aus Südkoreanern besteht, die gerade ihren Militärdienst abhalten. So entwickeln sich hier Fußballstars zu Rekruten. Das ist eine herbe Umgewöhnung:
"Vorher konnte ich morgens so lange schlafen wie ich wollte, meine Wohnung unaufgeräumt lassen, endlos mein Smartphone benutzen. Hier geht das alles nicht mehr, der Alltag ist sehr streng organisiert. Am deutlichsten merke ich das am frühen Aufstehen", sagt Ryu Seungwoo und wird dabei gleich unterbrochen von Young Chaji.
Fragen nach Angst vor Krieg sind tabu
Die Majorin ist von Militärseiten für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und ist bei dem Gespräch dabei. Wie das Leben in der Kaserne aussieht, das erklärt sie lieber selbst:
"Der Tag beginnt um 6:30 Uhr mit dem Wecken. Bis 6:50 Uhr muss man angezogen zum Morgenappell erscheinen. Wir singen dann die Nationalhymne und unsere Teamhymne, zusammen mit allen Athleten hier. Dann wird trainiert. Übungen an der Waffe machen unsere Athleten nur alle drei Monate."
Es ist eine ernste Angelegenheit. Für den Besuch in der Kaserne war die Genehmigung des Verteidigungsministeriums nötig. Fragen über Angst vor einem möglichen Krieg sind tabu. Dafür erklärt Majorin Young Chaji gern, wie die Soldaten auf so einen Ernstfall vorbereitet werden.
"Wir haben regelmäßig Patriotismuslehre. Da lernen wir, was einen Feind ausmacht und was es bedeutet, Soldat zu sein. Regelmäßig sehen wir das Programm des militärischen Fernsehsenders, in dem wir uns maßgeblich über Nordkorea informieren. Es ist wichtig, dass alle gut informiert sind."
Doch nicht nur der Lebensstil ist ein anderer, die Spieler müssen auch mit einem Rekrutensalär von einigen hundert Euro pro Monat leben. Hier gelten auch andere Hierarchien als im Sport. Das musste der 28-jährige Außenspieler Kim Kyungjung erfahren.
"Ich bin meinen Dienst erst mit 27 angetreten. Dann kam ich her und musste plötzlich vor jüngeren Mitspielern salutieren. In jedem anderen Klub in Südkorea würde das genau andersrum funktionieren. Das hat mich schon viel Überwindung gekostet."
Umstellung im Lebensstil schweißt zusammen
Mittlerweile ist Kim Kyungjung Kapitän der Truppe, die normalerweise gegen den Abstieg spielt, in dieser Saison, die im Dezember endet, aber bereits den Klassenerhalt locker erreicht hat.
"Die Truppe reagiert gut auf die Anreize, die uns gesetzt werden. Wenn wir gewinnen, erhalten wir oft Freigang und dürfen die Kaserne verlassen. Aber wir sind überhaupt eine eingeschworene Gemeinde. Diese krasse Umstellung im Lebensstil schweißt schon zusammen. Dann ist da noch der Stolz, hier sein zu dürfen. Es ist ja ein Privileg, seinen Militärdienst auf diese Weise leisten zu können."
Es gibt allerdings Spieler, die müssen überhaupt nicht antreten. Wer für Südkoreas A-Nationalmannschaft eine Goldmedaille gewinnt, wird befreit. Son Heungmin, Rekordtorschütze und Leistungsträger bei Tottenham Hotspur, erhielt so seine Freistellung durch Südkoreas Sieg bei den Asian Games. Das ganze Land atmete damals auf. Es war nicht nur der Turniersieg, über den man sich freute, sondern auch die Gewissheit, dass die allerbesten Spieler so weiterhin auf höchstem Niveau spielen konnten und nicht zum Militärdienst mussten.
Militär stellt Mannschaft zusammen, Verein führt Geschäfte
Eine halbe Autostunde von den Trainings- und Übungsplätzen entfernt, im Ortszentrum von Sangju, blickt Kang Jiwoong von seinem Büro aus ins Stadion. Kang ist für das Management des Klubs zuständig. Statt Camouflage trägt er Trainingsjacke. Denn der Verein führt die Geschäfte des Erstligaklubs, während das Militär die Mannschaft zusammenstellt. Manchmal gelinge es nicht, erklärt der Manager, deshalb taktische Feinheiten zu bedenken.
"Das größte Problem ist für uns aber die Militärdienstzeit. Jedes Jahr verlieren wir mitten in der Saison einige Spieler, die wieder zu ihren vorigen Vereinen zurückgehen, und bekommen dafür Neuzugänge. Und für die neuen Spieler ist es am Anfang oft schwierig, hier Fuß zu fassen."
Voll wird das Stadion selten, wegen der ständigen Personalwechsel hat es Sangju Sangmu FC zusätzlich schwer, eine populäre Mannschaft zu werden. Aber Manager Kang Jiwoong ist davon überzeugt, trotzdem wichtige Arbeit zu leisten.
"Wenn die neuen Spieler kommen, sind sie anfangs oft etwas arrogant, grüßen kaum, sind von vielem hier genervt und laufen auf dem Platz weniger. Es dauert ein paar Monate, dann sind sie wie ausgewechselt. Dann sind sie richtige Vorbilder. Und diese Einstellung nehmen sie wieder mit in ihre Heimatvereine. Wenn wir auf diese Weise einen Beitrag leisten können, dann ist das schon etwas Besonderes."
Und so, dass Sangju Sangmu FC gar keine Fans hat, ist es auch nicht. Die Unterstützer des Kasernenklubs sind landesweit bekannt für einen Schlachtruf, der sich ins Deutsche übersetzt mit: "Lieber Tod als Niederlage!" Der drohende Krieg ist hier immer präsent.